von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr Siegl, in den letzten sieben Jahren hat die Hochdorf AG nicht nur mit Milchpulver, sondern auch in der Vermarktung von Baby Care – hier in Afrika und dem Nahen Osten – viel Geld in den Sand gesetzt. Was lässt Sie so optimistisch werden, weiterhin voll auf Babynahrung zu setzen?
Ralph Siegl: Babynahrung ist ein attraktives Segment mit weltweit sehr interessantem Potential. Die erfreulichen Wachstumszahlen der letzten Monate bestätigen unseren strategischen Kurs. Frühere Fehler hatten weniger mit dem Marktsegment zu tun als mit der Umsetzung.
In Sulgen wird Baby Care produziert, in Hochdorf Milchpulver. Die Tage von Hochdorf als Produktionsstandort sind aber gezählt. Wann wird nur noch in Sulgen gewalzt und sprühgetrocknet?
Wir werden die Produktion in Hochdorf bis Ende 2026 schliessen und nur diejenigen Anlagen nach Sulgen verlagern, die wir für die Produktion und Verpackung von Babynahrung brauchen.
«Frühere Fehler hatten weniger mit dem Marktsegment zu tun als mit der Umsetzung.»
Baby-Nahrung ist ein «ethisches» Produkt und daher in der Zulassung sehr aufwendig. Ist da die Line Extension auf Lebensmittel mit Zusatznutzen, wie erhöhtem Proteingehalt, funktionalen Inhaltsstoffen oder das Wohlbefinden fördernden Ingredienzen, ein schnelleres Geschäft?
Die Registrierung von Babynahrung in den verschiedenen Märkten der Welt ist sehr aufwändig und streng kontrolliert. Das muss so sein. Denn es handelt sich ja um lebenswichtige Nahrung für unsere Kleinsten. Das ist in keiner Weise vergleichbar mit einem Angebot entlang von hippen Ernährungstrends. Unsere Spezialpulver verfügen über definierte ernährungstechnische Funktionalitäten. Wir möchten aus der Stärke unserer Babynahrungskompetenz heraus dort Synergien nutzen, wo es Sinn macht – auch für das sich wandelnde Ernährungsbedürfnis von Erwachsenen und Senioren.
Wann wird Sprühturm Nummer 9, der 90 Millionen Franken gekostet hat, aber jahrelang nicht in Betrieb ging, aktiviert?
Wir arbeiten daran, diese Grossinstallation wieder für die Produktion von Babynahrung in Betrieb zu nehmen. Unser Turm 8, der Vorgänger, ist fast vollständig ausgelastet. Die Dimensionen des Turm 9 sind für einen Spezialitätenhersteller aber sehr gross und waren damals für den chinesischen Markt gedacht. Eine solche Investition würde man heute in der Form nicht mehr machen.
Gehen wir von Säuglingen zu älteren Personen. Molke als Proteinlieferant ist, allem Veganismus zum Trotz, ein wichtiger Gesundheitsfaktor. Allerdings wachsen die Bäume da auch nicht in den Himmel, wie Danone mit seinen ganzen High Protein – Produkten erfahren musste…
Die funktionale Ernährung wird auch bei Erwachsenen zunehmend Teil ihrer Gewohnheit. Aber auch hier gilt: die Gewohnheiten ändern sich nicht rasch. Bei den Jungen geht es schneller. Und niemand will das Gefühl haben, Medizin zu sich zu nehmen – da haben molke- und milchbasierte Produkte einen klaren Vorteil.
Ist Hochdorf für die Milchüberschussverwertung systemrelevant?
Hochdorf veredelt aktuell rund 250 Millionen Kilogramm Milch pro Jahr und ist drittgrösster Milchverarbeiter. Diese Milchmenge produzieren rund 1’200 bäuerliche Milchbetriebe. Mit der Produktion von klassischem Milchpulver haben wir jahrelang auch massgeblich mitgeholfen, den Markt stabil zu halten und die saisonalen Milchüberschüsse haltbar zu machen.
Milchpulver macht zwei Drittel des Hochdorf-Umsatzes aus, aber die Marge ist seit Jahren unter Druck. Ist da wirklich keine nennenswerte Besserung in Sicht?
Wir sehen keinen Trend dazu. Im Gegenteil. Die Welt- und Europapreise rauschen aktuell in den Keller, während in der Schweiz der Milchpreis unverändert hoch bleibt. Die Agrarpolitik lässt erwarten, dass die Milchbauern zugunsten des Ackerbaus aus dem Mittelland vertrieben werden. Das lässt keine Kostenentspannung bei der Milchproduktion erwarten. Man spricht in der Politik von einer künftigen Reduktion des Nutztierbestands, was den Futtermittelmarkt und damit Absatzpotentiale für Milchpulver belastet. Der Käse steht angesichts voller Lager, einem starken Schweizer Franken und zunehmenden Importen unter Druck und wird wohl nur über eine Subventionierung via Verkäsungszulage attraktiv gehalten werden.
«Die Agrarpolitik lässt erwarten, dass die Milchbauern zugunsten des Ackerbaus aus dem Mittelland vertrieben werden.»
Eigentlich verrückt, bereits vor einem halben Jahrhundert redete man überall in Europa von Milchschwemmen und Butterbergen…
Die Buttermengen aus inländischer Produktion haben sich erhöht, ein weiterer Aufbau lässt einen Butterberg erwarten. Der Flüssigmilchkonsum steht unter Druck aufgrund pflanzlicher Alternativen. Die Kühlketten für Frischprodukte leiden unter wachsenden Energiekosten. Unsere Schlussfolgerung ist, dass wir unsere Zukunft klar in hochwertigen und technologisch anspruchsvollen Nischenprodukten in Pulverform sehen. Zum Beispiel indem wir Schweizer Milchprotein für Babynahrung aufwerten und mit Partnern als Private Label in die ganze Welt exportieren – und mit unserer Marke Bimbosan unsere führende Position in der Schweiz ausbauen.
Sie kritisieren den agrarpolitisch motivierten Milchpreis von 81 Rappen, weil er den Rohstoff für die Hochdorf AG zu teuer macht. Wie sähe denn ein vernünftiger Kompromiss in der Milch-Wertschöpfungskette bis hin zur Schweizer Schoggi aus?
Wohlgemerkt, ein fairer Schweizer Milchpreis für die Bauern ist für uns selbstverständlich: Die Schweizer Bauern leisten viel. Schweizer Milch hat beispielsweise auch eine bessere CO2-Bilanz als europäische. Wir exportieren den weitaus grössten Teil unserer Produktion direkt oder indirekt ins Ausland. Das bedingt aber auch, dass der Rohstoff-Preisausgleich im Export vorbehaltlos und planbar funktioniert und wir uns auf den Wettbewerb in der Wertschöpfung konzentrieren können. Im heutigen Milchsystem der Schweiz ziehen derzeit alle für sich und mit zu kurzfristigen Perspektiven am Tischtuch. Ich denke, dass wir die Vorzüge der Schweizer Milch mit Graslandfütterung, ESG-Argumenten, Rückverfolgbarkeit und Qualität noch besser in Preisprämien umsetzen müssen. Ansonsten wird es schwer, Schweizer Milch dort als interessanten Rohstoff einzubinden, wo er austauschbar ist wie bei vielen Schokoladeprodukten.
Der inländische Milchpreis wäre Ihnen sicher egal, solange der Rohstoffpreisausgleich beim Exportpulver hoch genug ist. Aber wo liegt da für alle Beteiligten die Schmerzgrenze?
Persönlich wäre ich für eine Orientierung am Markt ohne ein System für die diversen Markteingriffe und Ausgleichskassen. Aber die Agrarwirtschaft ist stark politisiert und die Preisbildung letztlich ein politischer Prozess.
«Die Agrarpolitik ist ein Haupttummelplatz für die Frage der angemessenen und sinnvollen Steuerverwendung.»
Mittlerweile betreiben ja alle Industrieländer rücksichtslos versteckte Subventionspolitik. Könnte letzthin der Steuerzahler mithelfen?
Die Agrarpolitik ist ein Haupttummelplatz für die Frage der angemessenen und sinnvollen Steuerverwendung. Man kann den Bauern nicht politische Forderungen zur Produktionssteuerung aufs Auge drücken, die hohe Kosten verursachen, welche die Konsumenten nicht einmal im Inland zu zahlen bereit sind, geschweige denn im Export. Andererseits möchte man eine bestimmte Versorgungssicherheit und Planbarkeit in der Landwirtschaft schaffen. In den letzten Jahren verlagert sich die Debatte auch hinein in Umweltthemen und Ernährungserziehung. Das ist, ungesehen von Sinnfragen solcher Eingriffe, nicht gratis. Für uns als Industrie sollte der Wettbewerb in der Wertschöpfung stattfinden und nicht agrarpolitisch verklärt werden.
Bei jungen Leuten hat die Kuh oft einen schlechten Ruf. Ich persönlich ärgere mich immer, wenn ich meinen Kindern Hafer-, Mandel- oder gar Sojamilch vom Einkauf mitbringen muss. Wie sehen Sie das?
Ich bin sehr dafür, dass man zuerst von der Nachfrage und Kundennutzen her denkt und nicht vom Angebot ausgeht. Ich sehe diese Entwicklungen sehr entspannt und mit Interesse. Letztlich geht es um Ernährung, und die muss zuerst einmal gut schmecken und ernährungstechnischen Nutzen bringen. Dass dabei sich wandelnde Wertesysteme kurzzeitige Marketingtrends bespielen oder gar langfristige Veränderungen im Ernährungsverhalten fördern, das gehört zum Markt und der gesellschaftlichen Entwicklung dazu. Abgesehen davon hat die Kuh gemäss meinem Kenntnisstand eine bessere ESG-Bilanz als die meisten anderen Nutztiere.
Wieviel Hype ist da im Lebensmittelmarkt drin?
Ich sehe derzeit viel Lärm und sehr viel ideologisches Engagement in Startups zum Umbau der Ernährung und ihrer Produktionsmethoden. Gleichzeitig sitzt das Geld bei Investoren angesichts der gestiegenen Zinsen nicht mehr so locker wie auch schon. Nur wenigen neuen Rezepten wird es gelingen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Viele Hypes haben sich wieder normalisiert, wie einige Hafermilchmarken oder Laborfleisch. Der Weg ist lang und beschwerlich. Aber der Markt wird es regeln. Ich habe grossen Respekt vor diesen Innovatoren. Zudem: Unsere Erste-Welt-Probleme und -Chancen sind nicht repräsentativ für den Rest der Welt, wo es einfach nur um lebenswichtige Nahrungsmittel im Hier und Jetzt geht.
An Spezialitäten bietet Hochdorf als einziger Schweizer Produzent lactosefreies Milchpulver und sogar vegane pflanzliche Milchersatzprodukte an. Wie stark wächst diese Nische?
In den entwickelten Märkten ist der Trend zu vermehrten Ernährungsintoleranzen oder Unverträglichkeiten sehr real. Die Technologie hinter diesen Spezialitäten ist höchst anspruchsvoll – und wir haben das interne Know-how und die Fachleute dazu, sie herzustellen. Das stösst im Markt auf Interesse. Die ganze Nischenpalette von lactosefreien und pflanzlichen Produkten bietet ein interessantes zusätzliches Potential zur Schweizer Milch- und Proteinveredlung in Spezialitäten – vor allem in der Babynahrung.