Remo Hansen, CEO ORIOR. (Foto: ORIOR)
von Bob Buchheit
Moneycab: Herr Hansen, 12 Marken und zahlreiche vertikal integrierte Produkte, wie behalten Sie da als CEO den Überblick?
Remo Hansen: In den 15 Jahren, die ich nun bei Orior bin, konnte ich die Entwicklung der Orior-Marken aus nächster Nähe mitgestalten. Die Markenführung gehört zu den Kernkompetenzen und ist regelmässig Thema an den Konzernleitungssitzungen. Ein besonderes Augenmerk gilt unseren Flagship-Marken Rapelli, Ticinella und Albert Spiess of Switzerland. Ich sorge also schon dafür, dass ich den Überblick behalte.
Orior hat in der Schweiz genau ein Dutzend Standorte. Sie haben sicherlich ein Generalabonnement. Wieviele Kilometer legen Sie so im Jahr zurück?
Als CEO bin ich natürlich oft in unseren Kompetenzzentren. Auch regelmässige Sitzungen finden nach Möglichkeit in den Produktionsfirmen statt. In Kilometer ist es schwierig zu sagen. Mit dem Auto sind es um die 30’000 Kilometer pro Jahr und dann kommen noch einige Tausend Kilometer Zugstrecke dazu.
Sie waren früher Produktemanager. Nehmen Sie heute als CEO Einfluss, sagen wir mal als Beispiel, auf den Inhalt einer Pastete von „le Patron“?
Nein, direkt Einfluss nehme ich nicht. Wir haben Profis in allen Betrieben, die machen ihre Sache hervorragend. Letztlich entscheidet der Kunde, denn Geschmäcker sind bekanntlich verschieden. Das Produkt muss also nicht meinen, sondern den Wünschen der Kunden entsprechen.
«Unter dem Motto „Jugend forscht“ geben wir unseren Entwicklern Zeitfenster und Möglichkeiten, verrückte Dinge auszuprobieren.»
Remo Hansen, CEO ORIOR
Woher kommen die meisten Impulse für gastronomische Neuschöpfungen?
Einerseits reisen wir sehr viel in Europa und lassen uns durch Länder und Themen inspirieren. Andererseits erhalten wir wie bereits gesagt wertvolle Impulse von unseren Kunden. Unter dem Motto „Jugend forscht“ geben wir unseren Entwicklern Zeitfenster und Möglichkeiten, verrückte Dinge auszuprobieren. Da sind schon ganz tolle Ideen und Produkte entstanden, vor allem im vegetarischen Bereich und bei Pasta.
Letztes Jahr kaufte Orior die Tessiner Spezialitätenfirma Keller in Maroggia. Wie gut hat sich das kleine Traditionsunternehmen in die grosse Unit Rapelli integriert?
Wir sind sehr zufrieden. Rafaelle Keller steht uns nach wie vor mit Rat und Tat zur Seite. Es ist uns ein grosses Anliegen, sorgsam mit neuen Firmen umzugehen. Schliesslich braucht eine Integration eine gewisse Zeit. Es geht hier immer um Menschen.
Ihr genehmigtes Kapital lässt bis 2014 Zukäufe im Umfang von rund 50 Millionen Franken zu. Was macht Sinn?
Es gibt in der Schweiz noch sehr viele „kleinen Perlen“. Im Segment Refinement verhalten wir uns eher zurückhaltend. Aktiver sehen wir uns nach neuen Kompetenzzentren im Segment Convenience um. Darüber hinaus sind wir auch permanent mit potenziellen Firmen im grenznahen Ausland in Kontakt. Leider hat uns hier unsere Wunschbraut noch nicht geküsst.
Wie akquirieren Sie ihr Führungspersonal generell und speziell im Tessin?
Wir haben das Privileg, einen ausgezeichneten Ruf zu geniessen. Normalerweise geben wir dem hauseigenen Nachwuchs eine Chance. Sehr viele der heutigen Geschäftsleitungs-Mitglieder haben ihre Karriere auf der zweiten, dritten oder gar vierten Führungsstufe angefangen. Wenn wir intern niemanden mit den geeigneten Qualifikationen haben, schalten wir in der Regel ein Inserat. Mit Personalvermittlern arbeiten wir eher selten.
«Es gibt in der Schweiz noch sehr viele „kleinen Perlen.“
Gibt es genug Talente in der Schweiz?
Definitiv! Ich würde sogar behaupten, es gibt genug Talente bei der Orior. Das macht mich stolz.
Ist eine grosse Auslandsexpansion irgendwo für Orior ein Thema? Im schönen Elsass haben Sie ja schon mal eine grosse Exportplattform.
Das Ausland ist ein wichtiges Thema für uns. Das betonen wir seit dem IPO immer wieder. Wir lassen uns allerdings in keiner Art und Weise unter Druck setzen und haben die nötige Geduld, bis das richtige Target kommt. Für uns sind auch die Menschen ein zentrales Entscheidungskriterium, nicht nur die Zahlen.
Wieviel schätzen Sie, knabbert Ihnen der wachsende Einkaufstourimus der Schweizer im Ausland vom Umsatz weg?
Das ist schwer zu beantworten. Die Treue der Kunden ist Teil unseres Erfolgs. Wie stark sich der Einfkaufstourismus tatsächlich auswirkt, hängt jedoch auch stark vom Schweizer Retailmarkt und deren Aktivitäten ab. Wir erzielen 75 Prozent des Umsatzes mit Retailern, wenn diese also keinen „guten Job“ machen, so trifft uns dies natürlich auch. Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir den Höhepunkt des Einkaufstourismus gesehen haben. Diejenigen Leute, welche vor einem Jahr schon mit ihren Autos, zum Teil hunderte von Kilometern, gefahren sind um einzukaufen, werden dies auch in Zukunft tun. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Käuferschaft noch zunimmt.
Orior setzt sehr stark auf Fleisch. Ich denke nur an die Übernahmen von Spiess oder Möfag. Könnte daraus mal ein Klumpenrisiko werden? Ernährungstrends wechseln ja hin und wieder.
Nein, ich denke nicht. Es wird ja wieder mehr Fleisch gegessen als in der Vergangenheit. Skandale wie BSE wird es wohl nicht mehr geben. Zudem wird in der Schweiz grossen Wert auf eine tierfreundliche Haltung, beginnend bei der Aufzucht bis hin zur Schlachtung, gelegt. Dies hat auch seinen Preis. Nicht umsonst haben die letzten Tierskandale in Ländern stattgefunden, wo fast nur noch der Preis das matchentscheidende Kriterium ist. Wir sind aber auch in andern Produktgruppen sehr stark; Orior ist zum Beispiel auch grösster Hersteller von vegetarischen Convenience-Produkten in der Schweiz. Wir haben also auch andere Standbeine, das widerspiegelt auch unsere Gruppenaufstellung nach Segmenten sehr deutlich.
Werden Sie auf Ende Jahr die zweistellige EBITDA-Marge packen?
Ich gehe davon aus, Ja.
Wie stark wird der hochmargige Convenience-Bereich wachsen können?
Wir können umsatzmässig sicher noch zulegen. Allerdings hatten wir 2011 ein wirklich aussergewöhnlich gutes Jahr in diesem Segment. Wir wollen unseren Kunden konkurrenzfähige Preise anbieten und nicht nur die Marge optimieren. Deshalb geben wir Preisabschläge auf den Rohstoffen an die Kunden weiter. Schliesslich erwarten wir von den Kunden auch Verständnis, wenn wir einen Preisaufschlag durchsetzen müssen. Es ist ein Geben und Nehmen.
Zur Person:
Remo Hansen absolvierte das SKU Advanced Management Programme sowie 2005 das INSEAD Advanced Management Programme in Singapur. Er war von 1985 bis 1993 in verschiedenen Funktionen im Produktmanagement des Migros-Genossenschafts-Bundes tätig, davon mehrere Jahre in Südamerika und Österreich. Von 1994 bis 1995 war Hansen Manager bei der European Marketing Distribution. 1995 übernahm er die Leitung des Bereichs Marketing und Verkauf bei Traitafina, bevor er 1997 in der gleichen Funktion zur Rolf Hügli AG wechselte. 1998 übernahm Hansen die Leitung der Fredag Gruppe und nahm 2001 Einsitz ins Management Board der ORIOR. Von 1998 bis 2004 war er verantwortlich für den Aufbau und die Führung des ORIOR Produktions-unternehmens Fresico in China sowie für die Verkaufsorganisation in Singapur. Ab Oktober 2006 führte er zusätzlich die Pastinella Gruppe als deren Leiter. Am 1. Mai 2011 übernahm Hansen die operative Leitung als CEO der ORIOR Gruppe von Rolf U. Sutter.
Zum Unternehmen:
ORIOR ist eine traditionsreiche Schweizer Lebensmittelgruppe, spezialisiert auf Frisch-Convenience Food und Fleischveredelung. Mit ihren Marken Rapelli, Ticinella, Spiess, Le Patron, Pastinella, Fredag und Natur Gourmet besetzt sie führende Positionen in rasch wachsenden Nischenmärkten im Schweizer Detailhandel und in der Gastronomie sowie in ausgewählten Absatzkanälen im benachbarten Ausland. Im Geschäftsjahr 2011 erzielte die ORIOR Gruppe mit rund 1’250 Mitarbeitenden einen Umsatz von rund CHF 500 Mio. ORIOR ist an der SIX Swiss Exchange kotiert.