Reto Rigassi, Geschäftsführer Suisse Eole.
Von Patrick Gunti
Moneycab: Herr Rigassi, die Produktionskapazitäten der Schweizer Windbranche sind im vergangenen Jahr um nahezu 150 % gestiegen. Worauf ist das massive Wachstum zurückzuführen?
Reto Rigassi: Generell kann man sagen, dass hinter dem Ausbau der Windenergie der Wille der Stromkonsumenten steht. Einerseits äussert sich dies in einer steigenden Nachfrage nach Stromprodukten aus erneuerbaren Energien, andererseits im politischen Willen. Zahlreiche Städte von St. Gallen bis Genf fahren – oft auf Basis von Volkabstimmungen – eine Energiestrategie, die klar auf erneuerbare Energien setzt. Neben einigen grossen Stromversorgern sind es die EW der grossen Städte, welche den Ausbau der Windenergie vorantreiben. Zur Abfederung des Investitionsrisikos trägt die 2008 eingeführte kostendeckende Einspeisevergütung bei.
Wie viel Windstrom kann mittlerweile generiert werden?
Die heute installierten Anlagen produzieren in einem durchschnittlichen Windjahr rund 74 GWh. Das ist so viel wie die Haushalte der Städte Delémont und Neuenburg verbrauchen. Windenergie steht in der Schweiz aber erst am Anfang. In zehn Jahren erwarte ich rund eine Verzehnfachung der Produktion.
«Der Vorstoss passt aber ins Bild, das die SL abgibt. Sie fährt seit Jahren einen kompromisslosen Kurs gegen Windenergieanlagen.»
Reto Rigassi, Geschäftsführer Suisse Eole
Wie sehen die Ziele von EnergieSchweiz hinsichtlich Windenergie für die nächsten Jahre aus und welches Potenzial ist mittel- und langfristig vorhanden?
Das im März 2008 revidierte Energiegesetz setzt im Bereich erneuerbare Energien für die Schweiz neue Massstäbe: So soll die Produktion von Strom aus erneuerbaren Quellen bis im Jahr 2030 gegenüber dem Stand von 2000 um 5’400 GWh erhöht werden. Gemäss Bundesamt für Energie (BFE) soll die Windenergie zu diesem Zeitpunkt einen Beitrag von gut 10% oder rund 600 GWh leisten. Aufgrund der dynamisch verlaufenden Entwicklung und der Resultate der kantonalen Planungen erachte ich weiter gehende Ziele als realistisch: Das Ziel des BFE werden wir voraussichtlich wesentlich früher erreichen, bis 2035 sind nach unseren Schätzungen 1’500 GWh realisierbar. Die anvisierte Strommenge entspricht 2,5% des heutigen Strombedarfs der Schweiz und entspricht den Windstromzielen der Umweltverbände. In den Westschweizer Kantonen kann Windstrom bis zu einem Viertel des gesamten Elektrizitätsbedarfs decken (z.B. NE: 20%, VD: bis 25%, gemäss kant. Planung). Langfristig ist bei vorhandenem Willen ein wesentlich höheres Potenzial nutzbar, nämlich maximal etwa 8% des heutigen Stromverbrauchs der Schweiz.
Mit dem Bau von neuen Windturbinen hapert es allerdings. Viele geplante oder angekündigte Windparks sind bisher noch nicht realisiert worden. Was sind die Gründe?
Das Schweizer Planungsverfahren ist mehrstufig mit kantonaler Richtplanung, kommunaler Nutzungsplanung und Baubewilligung. Das Verfahren garantiert sehr weitgehende Mitspracherechte der betroffenen Bevölkerung sowie Einsprachemöglichkeiten für berechtigte Einzelpersonen und Organisationen. Dies braucht sehr viel Zeit, stellt aber eine gute Akzeptanz der Anlagen sicher. Verbesserungsmöglichkeiten sehe ich bei der Koordination der Bewilligungsbehörden untereinander. Anlässlich der Einweihung des erweiterten Windparks auf dem Mont-Crosin wurde von den Bernischen Kraftwerken (BKW-FMB AG) das im Vergleich zu Deutschland sehr aufwendige Planungsverfahren kritisiert. In der 9-jährigen Projektierungsphase mussten über 30 Behörden begrüsst werden.
Bedingung für das angestrebte Wachstum beim Windstrom ist der starke Ausbau der Windenergieanlagen. Wo und in welchem Zeitraum sollen neue Anlagen entstehen?
Sehr gute Windgebiete sind die Höhen von Jura und Voralpen, etliche Alpentäler und Alpenpässe. Einige Standorte können es mit Küstengebieten Norddeutschlands aufnehmen. Der Unterschied zu den Nachbarländern: Aufgrund der Topografie können stark bewindete Standorte nicht grossflächig genutzt werden. Der Ausbau wird stufenweise erfolgen, so dass die Bevölkerung sehr genau bestimmen kann, wie weit das vorhandene Potenzial genutzt werden soll.
Vor allem gegen grosse Windanlagen gibt es Vorbehalte, ja ist eine eigentliche Diskussion um saubere Stromproduktion oder unverbaute Natur entstanden. Wie schätzen Sie die Akzeptanz der örtlichen Bevölkerung für neue Anlagen ein?
Jedes Bauprojekt bedeutet Veränderung, und mit Veränderungen gehen die Leute unterschiedlich um. Es wird nie ein Bauvorhaben geben, mit dem 100% der Bevölkerung einverstanden sind. So gibt es auch Leute, die gegen ein bestimmtes Projekt oder grundsätzlich gegen Windenergie opponieren. Dies sollte aber nicht überbewertet werden, denn generell herrscht die Meinung vor, dass Windenergie ein zuverlässiger, kostengünstiger und für die Schweiz geeigneter Beitrag zur weltverträglichen Lösung der Energiefrage ist. Dies zeigen immer wieder Umfragen und Volksabstimmungen (Städte Zürich und Winterthur), wo Windenergie hohe Akzeptanzwerte erreicht. Die jüngste Umfrage im Kanton Neuenburg, einem wichtigen Standortkanton, brachte Zustimmungswerte von 93%. Davon liegen andere Technologien weit entfernt.
Die gute Akzeptanz ist auch ein Resultat unseres differenzierten Planungsverfahrens, das zusammen mit den Qualitätsstandards der Branche und den Empfehlungen des Bundes gewährleistet, dass Windenergie mit Rücksicht auf Natur- und Landschaftswerte genutzt wird. Zudem darf man nicht vergessen, dass Windenergieanlagen nicht in unberührten Landschaften gebaut werden, sondern in der Regel in vorbelasteten Gebieten, wo bereits Strassen, Restaurants, Hochspannungsleitungen, Skilifte oder Chalets stehen (z.B. Collonges, Mont-Crosin, Gütsch/Andermatt).
Die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL) beklagt, dass die heute gültigen Reglementierungen nicht mehr genügten, vor allem die Distanz von Grosswindkraftanlagen zu Wohnhäusern von 300 Metern sei zu gering. Wie stellen Sie sich zu dieser Kritik?
Die Forderung der SL nach grossen Pauschalabständen erscheint mir ziemlich fragwürdig. Bezüglich der Schallemissionen gelten für Windenergieanlagen dieselben strengen Anforderungen wie für alle anderen Neuanlagen. Es kann ja nicht sein, dass bei der Erzeugung von sauberer Energie strengere Auflagen gelten sollen als sonst. Zudem haben wir in der Schweiz ein Planungsverfahren, mit dem bezüglich Orts- oder Landschaftsbild auf lokale Gegebenheiten Rücksicht genommen werden kann. Nun will die SL, die bei anderer Gelegenheit immer wieder betont, wie sehr eben nur der Einzelfall vor Ort beurteilt werden könne, eine pauschale Erhöhung der Minimalabstände auf 1000 m durchsetzen. Das wäre ein wirklicher Rückschritt im etablierten Planungsverfahren.
Der Vorstoss passt aber ins Bild, das die SL abgibt. Sie fährt seit Jahren einen kompromisslosen Kurs gegen Windenergieanlagen. Die jüngste Forderung reiht sich in eine lange Liste wenig überzeugender Vorschläge ein. Dazu zählen ohne Anspruch auf Vollständigkeit: maximale Höhe einer Windturbine von 60 m (2004), landesweites Moratorium gegen Windenergie (2005), keine Anlagen auf der ersten Jurakrete (2007), Erhebung eines Luftzinses, in Analogie zum Landschaftsrappen bei der Wasserkraft (2009). Die Positionen der SL sind weder mehrheitsfähig, noch werden sie von den grossen, mitgliederstarken und damit demokratisch legitimierten Umweltschutzorganisationen geteilt.
«Mit einem erwarteten Investitionsvolumen von 1 Milliarde Franken in den kommenden fünf Jahren wird Windenergie allmählich auch in der Schweiz zum Wirtschaftsfaktor.»
Wie stellen Sie sich zum Vorschlag der Empa, die Lärmvorschriften für Windturbinen zu verschärfen?
Wir sind aktuell daran, zusammen mit BAFU und Empa die Vorschläge detailliert zu analysieren. Obwohl anerkannt wird, dass die Anforderungen in Deutschland, wo ungleich mehr Erfahrungen mit Windenergieanlagen bestehen, als Richtwert herangezogen werden können, gehen die Vorschläge der Empa teilweise deutlich darüber hinaus. Festzuhalten bleibt, dass die schweizerische Gesetzgebung in der Kategorie Industrie – unter welche Windenergieanlagen fallen – an Neuanlagen bereits sehr strenge Anforderungen stellt.
Die BKW, die über ihre Tochterfirma Juvent SA auf dem Mont Croisin im Berner Jura den grössten Windpark der Schweiz betreibt, hat die inländischen Ausbauziele für erneuerbare Energien für 2030 um 40 % gekappt. Sie gibt als Grund den zunehmenden Widerstand in der Bevölkerung gegen solche Projekte an, u.a. gegen neue Windkraftwerke entlang des Jurabogens. Was für Auswirkungen hat dieser Entscheid auf die Windstrom-Produktion?
Zunächst gilt es festzuhalten, dass die BKW-FMB AG zwar sagt, dass sie ihre Ziele im ursprünglich vorgesehenen Zeitrahmen nicht erreichen kann. Ihr starkes Engagement für erneuerbare Energien will sie aber wie bisher weiterführen. Etwas überraschend war die Ankündigung, weil der Windpark auf dem Mont-Crosin in der Region hervorragend akzeptiert und kaum je auf Opposition gestossen ist. Die Umweltorganisationen haben in ihren Reaktionen darauf hingewiesen, dass die Opposition gegen Windenergieanlagen gar nicht vehement sei. Wie die BKW-FMB AG würden auch wir uns wünschen, dass die Unterstützung der Umweltverbände für erneuerbare Stromerzeugungsanlagen manchmal etwas deutlicher spürbar wäre. Auf unsere eigenen Ausbauziele hat die Verlautbarung der BKW keinen Einfluss, da insgesamt das Interesse an der Windenergienutzung in der Schweiz nach wie vor sehr gross ist.
Wie lässt sich einer Region der Bau eines Windparks schmackhaft machen?
Neben dem allgemeinen Nutzen der sauberen Stromproduktion durch die Reduktion der Umweltbelastung gegenüber konventionellen Technologien ergibt sich auch ein handfester Nutzen. Mit einem erwarteten Investitionsvolumen von 1 Milliarde Franken in den kommenden fünf Jahren wird Windenergie allmählich auch in der Schweiz zum Wirtschaftsfaktor. Zumal die meisten Windgebiete wirtschaftlich gesehen Randregionen sind, eröffnen sich für die Standortgemeinden interessante Perspektiven.
Gemäss einer Studie des Bundesamts für Energie bleiben ungefähr ein Drittel der Planungs- und Bauinvestitionen in der Region. Eine durchschnittliche 2-MW-Anlage kostet heute über 5 Millionen Franken, also bleiben rund 1,7 Millionen vor Ort. Während der rund 20-jährigen Laufzeit fallen Kosten für Betrieb, Wartung und Reparaturen sowie Aufwendungen für Pachtzinsen an. Der Gesamtbetrag beläuft sich bei der erwähnten 2-MW-Anlage auf 150 – 200’000 Franken pro Jahr. Gemäss den Schätzungen der Studie kann bis zur Hälfte der Summe in der Region bleiben. Die Standortgemeinden profitieren von Steuereinnahmen, eventuellen Pachtzinsen und Beteiligungen an Anlagen. Die Gemeinde St. Brais (JU) schreibt dank den Windenergieanlagen wieder schwarze Zahlen.
Auf der anderen Seite profitiert die Schweiz vom weltweiten Boom der Windenergie via die Zulieferer von Anlagenkomponenten (ABB, Huntsman Advanced Materials, etc.). Gemäss einer McKinsey-Studie werden 2020 fast 10’000 Personen in der Schweiz in der Windbranche arbeiten.
Die grosse Nachfrage nach Windstrom hat auch zu technischen Verbesserungen der Anlagen geführt. Welche Entwicklungen sehen Sie in den nächsten Jahren?
Der Trend der Effizienzsteigerung wird weitergehen. Es sind Anlagen in Entwicklung, die den Wind im Binnenland besser nutzen können. Die Anlagen werden immer mehr zur Systemstabilität des Netzes beitragen können. Zudem sind zahlreiche weitere Detailverbesserungen geplant, beispielsweise spezielle Beschichtungen der Rotoren zur Vermeidung von Eisbildung oder Systeme, mit deren Hilfe Zeiten mit starkem Vogelzug erkannt und so durch gezieltes Abschalten der Anlagen Kollisionsopfer vermieden werden können. Weltweit werden sicher die speziellen Herausforderungen für Offshore-Anlagen prägend sein. Hier sind grössere und wartungsärmere Systeme gefragt.
Suisse Eole ist die Vereinigung zur Förderung der Windenergie in der Schweiz. Welche Aufgaben nimmt Suisse Eole in diesem Zusammenhang wahr?
Suisse Eole ist vom Bundesamt für Energie beauftragt, die Kantone bei der Ausarbeitung der raumplanerischen Grundlagen und der Bewilligungspraxis zu unterstützen. Gleichzeitig stellen wir als Branchenorganisation die Qualität der Windenergieprojekte an den Standorten sicher. Zudem pflegen wir den Dialog mit den Natur- und Umweltschutzverbänden wie WWF, Pro Natura, Vogelwarte Sempach u.v.m., um eine nachhaltige Energiepolitik umzusetzen.
Herr Rigassi, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Reto Rigassi: Jahrgang 1965, Studium zum Elektroingenieur FH, nach dreijähriger Berufspraxis 1993 Nachdiplomstudium Energie FH. Von 1994 bis 2000 Stabsleiter des Ressorts Regenerierbare Energien des Aktionsprogramms Energie2000 bei Dr.Eicher+Pauli AG. Ab 2001 Bearbeitung und Leitung von technischen und wirtschaftlichen Forschungsprojekten zur Nutzung erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz. Beratung und Betreuung der Energiestädte Baden, Basel, Birsfelden, Bottmingen, Muttenz und Riehen (erste Gemeinde, welche mit dem European Energy Award Gold ausgezeichnet worden ist). Seit 2007 Mitarbeiter bei ENCO AG in Liestal und Geschäftsführer von Suisse Eole.
Suisse Eole:
Suisse Eole ist die Vereinigung zur Förderung der Windenergie in der Schweiz. 1998 gegründet, hat sie zum Ziel, die raumplanerischen Rahmenbedingungen für Windenergie in der Schweiz zu verbessern, die Projektqualität sicherzustellen und Informationen zu den Chancen der Windenergienutzung zu vermitteln. Suisse Eole vernetzt die Windenergiebranche und richtet sich in erster Linie an Elektrizitätsunternehmen, Behörden, Ingenieurbüros, Investoren sowie Umweltverbände. Suisse Eole pflegt die enge Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Energie (BFE) und wird von diesem unterstützt.