Rudolf Koopmans, Direktor Plastics Innovation Competence Center Freiburg, im Interview

Rudolf Koopmans, Direktor Plastics Innovation Competence Center Freiburg, im Interview
Rudolf Koopmans, Direktor Plastics Innovation Competence Center Freiburg

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Koopmans, Plastik hat gerade bezüglich Umweltbelastung generell einen miserablen Ruf. Sie forschen im Bereich nachhaltiger ökologischer Kunststoffe. Ein Widerspruch in sich?

Rudolf Koopmans: Die Plastikindustrie ist ein Opfer ihres Erfolgs. Es ist schwierig, ihren Erfolg zu unterbinden, auch wenn sich die Zeiten geändert haben und die Vision des unendlichen Wachstums, der auf unbegrenzten Erdölvorkommen basiert, nicht mehr zutrifft. Das „Take-Make-Waste“-Modell kann eine Zeit lang funktionieren, doch es ist für eine wachsende Weltbevölkerung von 7.5 Milliarden Menschen, die überzeugt wurden, alle dasselbe zu wollen, nicht zukunftsfähig.

«Es ist höchste Zeit, das Geschäftsmodell der Plastikindustrie und die Art von Plastik, die wirklich gebraucht, produziert, verwendet und nachhaltig wiederverwendet werden kann, zu überdenken.» Rudolf Koopmans, Direktor des Plastics Innovation Competence Center in Freiburg

Es ist höchste Zeit, das Geschäftsmodell der Plastikindustrie und die Art von Plastik, die wirklich gebraucht, produziert, verwendet und nachhaltig wiederverwendet werden kann, zu überdenken. Ein von der Natur inspiriertes Modell der Kreislaufwirtschaft muss zur Norm werden. Kurz gesagt ist dies der Grund, warum ich naturinspirierte Forschung betreibe: neuartige Materialien, die selbstorganisierende Prinzipien befolgen; Abfallentsorgung von Proteinquellen für funktionale Materialien; biobasierte, funktionale Verpackungen, die einfach zu identifizieren, zu entsorgen und wiederzuverwerten sind; den Vorteil des digitalen Zeitalters nutzen mit seiner Modellierung von fortgeschrittenen Materialien und seines automatisierten Lernens und darauf achten, wie alternative Wertschöpfungsketten mit geringem ökologischem Fussabdruck gebildet werden können.

Wo setzen Sie die Schwerpunkte Ihrer Arbeit? Bei den Ausgangsstoffen, der Verarbeitung oder der Weiterverarbeitung und Entsorgung?

Wie bereits oben erwähnt, müssen bahnbrechende, innovative Lösungen die gesamte Wertschöpfungskette vom Ausgangsstoff über die Entsorgung bis zum Recycling berücksichtigen. Jeder Akteur, jedes Unternehmen und jeder Teilnehmer muss seine eigene Position verstehen und Verantwortung in der Zusammenarbeit mit anderen übernehmen, um den ökologischen Fussabdruck nachhaltig zu reduzieren.

Wir suchen Partner, die die Vision teilen, bestehende Paradigmen in eine naturinspirierte Kreislaufwirtschaft umzuwandeln. Um dies zu erreichen, müssen gleichzeitig Forschung und Entwicklung, geschäftliche, gesellschaftliche und umweltbezogene Aspekte berücksichtig werden – dies erfordert Systemdenken. Heute ist es immer noch Usus, die eigenen Probleme auf die anderen abzuschieben. Deshalb haben wir gemeinsam mit verschiedenen Partnern das Ziel, all die Aspekte von der Biomasse über funktionale Produkte bis hin zu Wiederverwertungsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

Welche neuen Rohstoffe zeichnen sich ab, welche die Umwelt weniger belasten und von der Industrie in Massen verarbeitet werden können?

Die Lebensmittelbranche oder allgemeiner gesagt die Agrarindustrie muss sich an der Diskussion der „Non-Food“-Industrie über Forschung und Entwicklung beteiligen. Die weltweite Biomasse hat ein enormes Potential, als Ausgangsstoff für Chemikalien und viele Kunststoffe zu dienen – doch das meiste von ihr wird verschwendet, denn 30% bis 60% der Haushalts- und Gemeindeabfälle sind organischer Natur.

«Es gibt keine richtige Infrastruktur für die Wiederverwertung oder für die Vermeidung von Abfällen. Es gibt keine grossflächige Industrie und es gibt zu wenige Anlagefonds.»

Doch es gibt keine richtige Infrastruktur für die Wiederverwertung oder für die Vermeidung von Abfällen. Es gibt keine grossflächige Industrie und es gibt zu wenige Anlagefonds, da das neue naturinspirierte Geschäftsmodell der Kreislaufwirtschaft komplex und riskant ist, viel Kapital benötigt und der Ertrag der Forschung nicht garantiert ist. Und warum sollte man sich dafür einsetzen, wenn die Industrie auch weiterhin viel Geld mit dem bestehenden Modell verdienen kann?

Ungeachtet einiger hervorragender Bemühungen setzt sich die Industrie nicht ernsthaft für eine Veränderung ein. Nach mehr als 30 Jahren gut gemeinter sporadischer Bemühungen ist die Verwendung von Plastik, der biobasiert ist oder aus erneuerbaren Ausgangsstoffen hergestellt wird, bei grosszügig gerechneten 2 Millionen Tonnen – im Vergleich dazu werden mehr als 300 Million Tonnen Plastik aus fossilen Brennstoffen hergestellt. Der grösste Irrglaube liegt in der weit verbreiteten Meinung, es werde zentralisierte anstatt verteilte Massenproduktion benötigt. Man nutzt einfach die bestehende Infrastruktur, um etwas anderes zu machen – und dies kann nicht funktionieren. Denn die Natur lehrt uns, dass eine Organisation, die sich allzu sehr spezialisiert hat, ihre Flexibilität verliert, sich auf neue Umstände anzupassen und deshalb zu Grunde geht.

Welche neuen Technologien in der Verarbeitung können bei der Reduktion der Umweltbelastung unterstützend wirken?

Wenn alle Bemühungen hinsichtlich des Energiesparens und für die Reduktion von CO2-Emissionen umgesetzt würden, hätte es die Kunststoffindustrie über die Jahre hinweg sehr gut gemacht. So verwenden zum Beispiel Produktionsprozesse effizientere Katalysatoren und brauchen weniger Energie, um eine bessere und beständigere Qualität von Plastik zu produzieren; schnellere, effizientere Kunststoffverarbeitungsmaschinen und die Digitalisierung haben die Produktion pro Zeiteinheit erhöht und es ermöglicht, den Plastikverbrauch in vielen Anwendungen zu reduzieren: mit einer Beutelverpackung kann im Vergleich zu einer Flasche 50% Plastik eingespart werden. Jedoch liegt das Problem nicht unbedingt bei der Technologie, aber bei der auf den Kreislauf fokussierten Technik von neuen Materialien und Technologien sowie deren praktischer Anwendungen.

In welchen Bereichen kann man problemlos auf Plastikprodukte verzichten, wo ist Plastik heute noch unersetzlich?

Rund 40% des gesamten Plastiks wird für Verpackungen verwendet, dies ist der sichtbarste und zugleich am meisten kritisierte Teil der Plastikindustrie. 60% des Plastiks gehen in Bereiche, bei denen der Konsument typischerweise nicht weiss, dass dort Plastik verwendet wird und warum. Menschen haben versucht, ohne Plastik auszukommen (es gibt auch einige Fernsehreportagen darüber). Sie sind gescheitert, weil es genau genommen kein Telefon, keine Transportmittel, keine medizinische Versorgung und keine Haushaltsgeräte und vieles mehr nicht gäbe.

«Mit einer Beutelverpackung kann im Vergleich zu einer Flasche 50% Plastik eingespart werden.»

So mussten die Leute, die versucht haben, auf Plastik zu verzichten, ihre Lebensart drastisch verändern. Natürlich gab es eine Zeit – noch vor dem 19. Jahrhundert –  in der es keine synthetisch hergestellten Kunststoffe gab, doch niemand möchte wieder dahin zurück! Wir müssen Plastik nicht abschaffen, aber wir müssen neue, nachhaltigere Plastikarten entwickeln und in der Zwischenzeit die existierenden Plastikarten besser nutzen.

Berge von Plastik landen im Meer als schwimmende Inseln oder als Feinteile. Wie kann dieses Material wieder als verwendbarer Grundstoff in den ökologischen Kreislauf zurückgeführt werden.

Seit den frühen 1950-Jahren wurden 7.5 Milliarden Tonnen Plastik produziert. Auch wenn nur 1% dieses Plastiks in die Umwelt gelangt ist, bedeutet das 75 Millionen Tonnen! Dies ist in der Tat ein ernsthaftes Problem und es wurden bereits Lösungen vorgeschlagen, um dieses Problem anzugehen. Leider sind die Feinpartikel aus zersetztem Kunststoff nun überall und ohne angepasste Abwasserreinigungsanlagen muss die Welt mit diesem Problem, das hoffentlich nicht noch grösser wird, leben. Zum Glück sind diese kleinen Partikel als solche nicht unbedingt eine unmittelbare Gefährdung für die menschliche Gesundheit und können relativ leicht über die Filtrierung von Trinkwasser entfernt werden.

Aber auch hier kann die Lösung nicht darin bestehen, im Nachhinein einfach ein „Pflaster“ aufzukleben. Wir müssen die Abfallmenge reduzieren und jenen Abfall, auf den wir nicht verzichten können, wiederverwerten. Denn all unsere Probleme in Bezug auf die Abfallberge sind selbstverschuldet.

Welche speziellen Ansätze gibt es bei der Herstellung, um die nachgelagerten Entsorgungsprobleme schon zu Beginn zu vermeiden?

In Sachen Verpackungen liegen die Lösungen in der Vereinfachung des Designs, der Reduktion des Gewichts, der Verwendung von nur einer Art Plastik und der klaren Kennzeichnung von Plastikprodukten sowie Entsorgungsempfehlungen. So wurde beispielsweise bei PET-Trinkflaschen das Gewicht signifikant reduziert, sie werden nur noch aus zwei oder drei leicht trennbaren Kunststoffen hergestellt, gehören in spezielle Abfalleimer und sind für den richtigen Gebrauch erkennbar.

Wir arbeiten an einem Projekt, das das gleiche Ziel für flexible Verpackungen hat – mit dem zusätzlichen Vorteil, dass diese biobasiert und kompostierbar sind. In anderen Branchen ausserhalb der Verpackungsbranche besteht die Idee darin, Produkte zu kennzeichnen, deren Stoffe einfach fürs Recycling getrennt werden können. In der Autoindustrie werden nun verschiedene Materialien (Stahl, Aluminium, Plastik) zusammengeklebt, was einerseits ein leichtes Gewicht aber auch eine einfache Wiederverwertung von Materialien ermöglicht. Und auch hier zeigt sich, dass der Ansatz des Systemdenkens viel mehr in dieser spezifischen Wertschöpfungskette bewirken kann.

Als Direktor des Plastics Innovation Competence Center (PICC) in Freiburg vertreten Sie einen Innovationshub in der Schweiz. Wo stehen wir in Ihrem Bereich im internationalen Wettbewerb?

Die Lage in der Schweiz mit ihrer mehrheitlich aus KMU bestehenden Industrie, die in einzigarten und oft weltführenden Technologien tätig sind, ist sehr gut. Seit mehreren Jahren besetzt die Schweiz einen Spitzenplatz in vielen Patenten und hat Weltklasse-Universitäten und hochrenommierte Forschungsinstitutionen. Das PICC möchte ebenfalls Teil dieser Spitzenklasse sein – aber wir haben noch einen weiten Weg vor uns.

«Die innovativsten Bemühungen gehen in Richtung der Verwendung von Molke und anderen Proteinen als Barrierefolien in Verpackungen.»

Doch ich möchte keinen Wettbewerb sondern strebe die Zusammenarbeit an. Deshalb habe ich das PICC für die Zukunft des Plastiks in einer naturinspirierten Kreislaufwirtschaft positioniert. Niemand hat eine wirklich kohärente Strategie für die Entwicklung einer Technologie, die die Zukunft des Plastiks anvisiert und über das heute Mögliche hinausgeht. Ich arbeite langfristig, um eine nachhaltige Organisation aufzubauen, die das Bedürfnis für Wissenschaft und Technologien, die unentbehrlich sein werden, vorwegnimmt. Dafür suche und engagiere ich mich in Partnerschaften in ganz Europa mit jenen, die Forschungswissen in praxistaugliche Prototypen umsetzen und das Modell der naturinspirierten Kreislaufwirtschaft fördern.

Und Freiburg ist gut positioniert, um dies in Wirklichkeit umzusetzen, denn wir haben hier ein wahres Forschungs- und Technologiezentrum mit den Universitäten, Forschungsinstituten und Fachhochschulen, die eng miteinander verbunden sind und sich in einem Kanton befinden, der den Fortschritt antreibt.

Amerika verabschiedet sich unter seinem neuen Präsidenten offenbar von der Dringlichkeit von Umweltzielen. Eine generelle Entwicklung oder nur ein Ausreisser und wie wirken sich solche Aktionen auf Ihre Arbeit aus?

Politiker kommen und gehen. Doch die wahren Probleme bleiben und so bleibt das Ziel, Lösungen für diese Probleme zu finden. Die Probleme zu ignorieren ist keine Option, es ist aber sehr einfach und die Verantwortung wird auf die nächsten Generationen abgeschoben – ein Klassiker im Stil von „Soll sich doch ein anderer darum kümmern!“ oder wie es Sonnenkönig Louis XIV gesagt hat: „après moi le deluge“.

Für die Weltbevölkerung, die die Auswirkungen zu spüren bekommt und mit den Problemen umgehen muss, ist dies nicht tragbar. Vielleicht sind Harvey, Irma und Maria ein Zeichen dafür, dass das “deluge” nun da ist und werden einige bestimmte Personen zur Besinnung bringen. Leider haben nicht alle die gleiche Ansicht darüber, was getan werden muss.

Wo sehen Sie momentan die innovativsten Alternativen zum herkömmlichen Plastik?

Eine ganze Menge von Forschern und Ingenieuren haben sich neue Konzepte und Technologien ausgedacht, die viele Probleme in Zusammenhang mit Kunstoffen als Materialien betreffen. Aus Biomasse werden Grundchemikalien hergestellt, aus denen wiederum bereits bestehende Plastikarten sowie biologisch abbaubarer oder kompostierbarer Plastik produziert wird. Doch die innovativsten Bemühungen gehen in Richtung der Verwendung von Molke und anderen Proteinen als Barrierefolien in Verpackungen, Terpenen für Elastomere, Lignin als Quelle von Furan für PEF und Kohlenhydrate (Zucker) für Leime und Beschichtungen oder als „flüssiges Holz“. Die Nachfrage für diese Produkte muss nur noch steigen.

Wenn Sie morgen ein Startup mit unlimitierten Mitteln gründen könnten, welches Problem würden Sie lösen, welches Produkt herstellen?

Proteine sind wie in der Natur selbst die funktionalen Polymermaterialien der Zukunft. Proteine und Peptide verwenden Zusammensetzungen und eine “kollaborative Organisation” von individuellen Molekülen, um sehr komplexe funktionale Materialien zu bilden.

Ich würde eine Technologieplattform für Proteinmaterialien gründen und damit beginnen, Abfallproteine in kleine Teile namens Peptide umzuwandeln und deren selbstorganisierende Eigenschaften zu nutzen und somit viele praktische Bedürfnisse abzudecken, die zurzeit mit bestehendem Plastik nicht möglich sind. Das erste Ziel müssten hochwertige Anwendungen z.B. Produkte für die Medizin- und Pharmaziebranche sein. Zweitens können strukturelle Materialien wie Schaumstoffe, Fasern und Elastomere hergestellt werden. Das wären dann genug Ideen und Märkte für den Beginn. Wir haben die Vision – die finanzielle Unterstützung muss noch folgen. Ausserdem sind die Technologien bereits vorhanden, sie müssen nur noch eingesetzt und verbreitet werden.

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?

Plastik oder besser die „weiche Materie“ ist weiterhin das Material der Zukunft und soll dies auch bleiben. Mein erster Wunsch geht an das 1% der Milliardäre dieser Welt, dass diese mehrere ihrer Milliarden in die naturinspirierte Kreislaufwirtschaft investieren und eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung zeigen anstatt an den Kapitalmärkten ihre Spielchen zu machen, um an noch mehr Geld zu kommen.

Der zweite Wunsch geht an die Intellektuellen dieser Welt – also diejenigen, die die Fähigkeit haben zu wählen – damit sie beginnen, ihre Talente zu verwenden, um aktiv an der Lösung der vielen Probleme dieser Erde auf allen gesellschaftlichen Schichten zusammenzuarbeiten anstatt nur der aktuellen individualistischen Tendenz zu folgen, deren einziges Ziel es ist, Geld um des Geldes Willen zu machen. Wenn hingegen Geld für einen sinnvollen Zweck erarbeitet wird, ist dies hingegen angesichts so vieler globaler und lokaler Probleme in Ordnung.

Prof. Dr. Rudy Koopmans
Foster creative thinking that stimulates innovative science and technology, and application development that impact industry and contribute to a sustainable society.

  • Director Plastics Innovation Competence Center (PICC)
  • Director of Institute for Applied Plastics Research (iRAP)
  • Lecturer ETH-Zurich – Department of Materials – Zurich
  • Former R&D Fellow at The Dow Chemical Company
  • Ph.D in Physical & Macromolecular Chemistry – University Antwerp (B)
  • Master in Business Adminstration – University Leuven (B)

Publications:

  • 70+ papers in international journals and contributed book chapters
  • 2 books
  • 20+ patents

Plastics Innovation Competence Center Freibrug

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