Ruedi Noser, Inhaber Noser Management, im Interview
Ruedi Noser, Inhaber Noser Management (Bild: zVg)
Interview von Anouk Arbenz und Christoph Hilber, Unternehmerzeitung, P-Connect
Herr Noser, Sie müssen gerne arbeiten: Mehr als ein Dutzend VR-Mandate, Vorstandsmitglied der economiesuisse und der Zürcher Handelskammer, Präsident des ICT Dachverbandes und nun Ständerat des Kantons Zürich. Was treibt Sie an?
Ruedi Noser: Ich arbeite schon sehr gerne. Ich bin ein Protestant und definiere mich über meine Arbeit. Aber ja – ich bin heute zu spät zum Interview erschienen, das zeigt, dass es nicht immer so einfach ist. Wenn zwischendrin Probleme auftauchen, muss man die halt irgendwie lösen. Es ist ein ausgefüllter Tag, aber gestresst fühle ich mich nicht.
Am 22. November wurden Sie zum Ständerat des Kantons Zürich gewählt. Wurden Ihre Erwartungen an das Amt erfüllt?
Ja, sogar mehr als das: sie wurden übertroffen. Es herrscht eine angenehme Stimmung, man hört sich gut zu. Die Arbeitsatmosphäre ist anders als jene im Nationalrat, es gibt weniger ideologische Scheuklappen und eine bessere, pragmatischere Zusammenarbeit. Das kommt sowohl dem Ingenieur als auch dem Unternehmer Noser sehr entgegen. Nur weil etwas von der linken oder rechten Seite her kommt, muss es nicht automatisch schlecht sein. Natürlich gibt es auch regionalpolitische Schützengräben, aber diese sind weniger tief.
«In der Politik hält man sich mit aller Gewalt an allem fest. Nur was einem weggerissen wird, gibt man auf.» Ruedi Noser
Wollten Sie schon immer Politiker werden?
Nein. Gute Politiker sind die, die es nie werden wollten. Das muss sich ergeben. Es ist auch eine sehr unsichere Karriere. In der Wirtschaft kann man sicher einfacher Karriere machen. Wenn du in die Politik gehst, musst du wissen: Erstens, Wahlen können sehr ungerecht sein. Zweitens, muss man den richtigen Zeitpunkt abpassen. Wenn ich vor 30 Jahren angetreten wäre und gesagt hätte: «Ich werde jetzt Ständerat», hätte ich das vergessen können. Das kann man gar nicht machen. Für die Karriereplanung ist die Schweizer Politik sehr ungeeignet.
Ist es einfacher, Unternehmer zu sein als Politiker?
Diese Frage ist etwa gleich legitim wie die Frage, ob Klettern einfacher ist als Schwimmen. Es hat nichts miteinander zu tun. In der Wirtschaft gibt es zwei Grundregeln. Die erste Regel ist: Wenn in der Geschäftsleitung einer immer anderer Meinung ist, muss er sich fragen, ob er in einem anderen Unternehmen vielleicht besser aufgehoben wäre. In der Politik kann man diesem nicht einfach künden. Der hat genau gleich viel zu sagen und ist am anderen Tag immer noch da.
«Als CEO Karriere in einer grösseren Firma machen und gleichzeitig Politiker sein – das geht nicht.»
Der zweite Unterschied betrifft die Strategie. In einer Firma werden Stärken gekräftigt und Schwächen werden aufgegeben. In der Politik hält man sich mit aller Gewalt an allem fest. Nur was einem weggerissen wird, gibt man auf. Das heisst; es sind zwei ganz grundsätzlich verschiedene Modelle, die mit unterschiedlichen Regeln operieren. Du musst mit diesen unterschiedlichen Lebenswelten umgehen können und vielleicht auch eine gewisse «Schizophrenität» mitbringen. Wenn du das nicht kannst, bist du als Unternehmer in der Politik nicht erfolgreich und umgekehrt genauso. Man muss die Klaviatur der Politik beherrschen – sonst bleibt man immer ein Unternehmer oder ein Journalist oder was es dann auch ist. Ein Köppel wird das auf die harte Tour lernen.
Gibt es denn überhaupt noch Unternehmer, die in die Politik gehen möchten?
Ehrlicherweise muss man sagen: Das kann man heute fast gar nicht mehr. Einem Ruedi Noser würde ich sofort künden. Das kann man eigentlich nur als Eigentümer machen. Als CEO Karriere in einer grösseren Firma machen und gleichzeitig Politiker sein – das geht nicht. Im Ständerat erst recht nicht.
Dabei wäre es wünschenswert, wenn möglichst praxisnahe Leute wie Sie in der Politik vertreten wären, oder?
Ja, sicher. Wünschenswert ist es, dass in Bern Leute sitzen, die wissen, wie die Praxis funktioniert. Was man jemandem in Bern relativ schnell anmerkt, ist, ob er je in seinem Leben das Geld, das er ausgibt, selber verdienen musste. Ich betrachte das mit Skepsis, wenn junge Leute direkt nach dem Studium Nationalrat werden. Man kann schon einen Jugendwahn haben und sagen: Die Jungen sollen in die Politik. Aber ehrlich gesagt, denke ich, ist es nicht schlecht, wenn du zuerst einen anderen Lebensmittelpunkt hast und dich dort beweist.
Die CeBIT ist weltweit die wichtigste Plattform für Digitalisierung und Wirtschaft. Rund 3 300 Aussteller aus 70 Ländern haben im März in Hannover ihre Produkte und Dienstleistungen ausgestellt. Gaben Sie den Anstoss für den CeBITGastauftritt?
Väter gab es viele, aber die Grundidee war von mir. Es brauchte eine internationale Messe für die Schweiz, da man sich in der ICT sehr früh international positionieren muss. Das hat sich als gute Entscheidung erwiesen. Kombiniert mit der ganzen politischen Plattform, – Johann Schneider-Ammann und viele deutsche Minister waren da – ist das eine erfolgreiche Geschichte geworden. Ich gehe davon aus, dass wir nächstes Jahr dort sehr viele Leute wiedersehen werden.
«Europa – inklusive Deutschland und der Schweiz – hat die erste Halbzeit der Digitalisierung verloren.»
An der CeBIT wurde auch viel diskutiert. Was ist das Fazit: Schafft die Schweiz die Hürde?
Es ist ganz klar: Europa – inklusive Deutschland und der Schweiz – hat die erste Halbzeit der Digitalisierung verloren. Praktisch jeder wichtige Konzern ist amerikanisch oder allenfalls asiatisch. Und sie haben auch sehr viel Geld, das sie weiter in Forschung und Entwicklung investieren können. Da gibt es eine geballte Ladung Macht, der die europäische Industrie höchstwahrscheinlich wenig entgegenzusetzen hat.
Und die zweite Halbzeit?
Die zweite Halbzeit heisst: Jeglicher Arbeitsbereich wird digitalisiert und verändert sich. IT wird es in Zukunft überall geben. Es wird keinen Berater, keinen Coiffeur, keinen Take-away mehr geben, der Wertschöpfung generieren kann ohne IT. Jeder der meint, er fühle sich sicher als Maurer oder was auch immer, wird auf die Welt kommen. Wenn es uns nicht gelingt, die Wertschöpfung zu steigern und diese zweite Halbzeit zu gewinnen, können wir nicht Wohlfahrtsstaat Nummer Eins bleiben. Amerikas Wirtschaftswachstum ist auf die Digitalisierung zurückzuführen.
Und damit ist nicht nur IT gemeint. Die Digitalisierung geht ins Produkt, ins Geschäftsmodell. Wir haben ein Beispiel in der Schweiz: Nespresso ist nichts anderes als Digitalisierung im Kaffeeverkauf. Man hat ein digitales Geschäftsmodell, wie man die Kapseln überall auf der Welt hin liefern kann, und weil es nur eine Maschine, nur eine Plattform gibt, kann man damit einen Milliardenkonzern aufbauen. Wir brauchen mehr solche Milliardenkonzerne. So wie in den 50er-Jahren mit ABB, Sulzer, Ciba, Geigy, Roche oder Alstom.
Aber woher kommen diese? Aus den Innovationsparks?
Es gibt zwei Varianten: Die eine ist, dass neue Firmen entstehen, die andere, dass bestehende Firmen sich transformieren. Ich glaube, die ganze Finanzindustrie wird sich einer Riesen-Challenge stellen müssen. Beispiele gibt es bereits: Die Firma Leonteq, die Derivate anbietet, ist recht gut unterwegs. Das ist ein erster Erfolg. Aber es wird mehr brauchen als das, um den Finanzplatz halten zu können.
Wie können wir den Match noch gewinnen?
Match-entscheidend ist, dass wir die zweite Halbzeit für uns entscheiden. Diese kann Europa nur gewinnen, wenn Deutschland und die Schweiz den Lead übernehmen. Denn jetzt wird die eigentliche Kernkompetenz der Deutschen und der Schweizer Wirtschaft angegriffen: Das ganze Banken- und Versicherungswesen, die Produktion und die Industrie 4.0. Mit Portugal und Litauen kannst du nicht gewinnen. Da muss es eine starke Reaktion geben vonseiten der Schweiz und Deutschland.
«Seit 50 Jahren hat man sich bei jeder industriellen Veränderung vor den Arbeitslosenzahlen gefürchtet – Und seit 50 Jahren arbeitet jeder von uns immer mehr!»
Ich bin stolz, dass wir das an der CeBIT thematisieren konnten und dass sich ein Herr Schneider-Ammann jetzt Gedanken darüber macht, respektive dass wir Politiker damit konfrontieren konnten. Vielleicht kommt jetzt auch die eine oder andere Idee, wie man diese zweite Halbzeit noch gewinnen könnte.
Was passiert mit all den Leuten respektive den Stellen, die durch die Digitalisierung wegfallen?
Das ist doch völliger Unsinn! Seit 50 Jahren hat man sich bei jeder industriellen Veränderung vor den Arbeitslosenzahlen gefürchtet – Und seit 50 Jahren arbeitet jeder von uns immer mehr! In der Vergangenheit lief es immer so, dass jene, welche in der Wertschöpfungsspitze an vorderster Front dabei waren, auch Vollbeschäftigung hatten. Selbstverständlich wird es Länder geben, die das nicht haben. Aber das ist schon heute so. Die Frage ist: Haben wir die Jobs oder sind sie in Asien oder in den USA? Um das geht es. Geschenkt wird nichts. Wenn die Schweiz richtig kämpft, dann werden wir Vollbeschäftigung haben.
Wie kommt dann das WEF dazu, das Thema so aufzuhängen?
Weil sie halt populistisch sind! Wissen Sie, ich habe ganz viel mit Leuten zu tun, die als Manager in Firmen grossgeworden sind. Da muss man immer ein bisschen aufpassen. Die reiten auf Themen und Trends und sind nicht immer wertgesteuert.
Nicht alles, was in der Zeitung steht, ist neu erfunden, das meiste war die letzten 3’000 Jahre schon in irgendeiner Form da. Alle fünf Jahre prognostiziert jemand den Weltuntergang oder ein anderes Krisenszenario! Wichtiger wäre, zu schauen, was die erfolgstreibenden Faktoren sind und wo die Schweiz sich in der Wertschöpfungskette befindet. Hat sie einen Spitzenplatz, kann sie auch die Wohlfahrt verteidigen. Verliert sie diesen Platz, dann haben Sie vielleicht recht mit diesen Szenarien.
Sie haben sich vor Kurzem für das geplante Joint Venture der Swisscom, Ringier und der SRG ausgesprochen. Was spricht für eine Kommerzialisierung öffentlicher Daten?
Ein simples Beispiel: Die SBB hat Verkehrsdaten gesammelt, der Datenschutz hat aber gesagt, das dürfen sie nicht – sie haben die Daten gelöscht. Keiner stellt Fragen, was dies den Steuerzahler in Zukunft kostet.
Ist der Asset der SBB das Schienennetz oder Informationen über die Mobilität? Man muss sich irgendwann einmal entscheiden. Wir brauchen Big Data-Projekte in diesem Land, sonst werden wir nur amerikanische haben. Und das gilt auch für das Joint Venture. Ich erwarte nun eine Schneepflug-Reaktion; dass auch andere Grosskonzerne wie die Migros, Coop oder die Post mit solchen Projekten nachfahren. Denn sie sind es, die uns die Arbeitsplätze sichern. Jetzt haben sich mit der Swisscom, Ringier und der SRG endlich drei bewegt und nun rufen alle, die sich nicht bewegt haben, aus. Das ist eine Verhinderungspolitik, die unser Land nicht vorwärts bringt.
«Eine Politik, die nur noch den Status Quo verteidigt und erst reagiert, wenn etwas passiert, ist fundamental gegen die Zukunft gerichtet.»
Wenn wir nur immer nein sagen und Verbote aufstellen, führt dies dazu, dass wir uns blutt abziehen und alle Daten nach Amerika abgeben. Jeder postet auf Facebook, dass er dort in die Ferien geht oder dorthin reist, aber wenn die SBB diese Informationen erfasst, gibt es Ausrufe. Das Gold der Zukunft sind die Daten und unsere Konzerne muss man dazu auffordern, diese auch zu nutzen. Sonst zahlt am Ende der Steuerzahler.
Wieso?
Die SBB könnte unheimlich gut gesteuerte Werbung schalten und sagen: Das Ticket kostet nur noch die Hälfte, weil die andere Hälfte über Werbung bezahlt wird. Die Information zum Schienennetz ist fünf Mal mehr Wert wert als das ganze Schienennetz. Wenn man jemandem verbietet, diesen Wert zu nutzen, dann macht man eine Firma nur kaputt und kann sie gleich schliessen.
Wieso gibt es in Bern denn so viele, die anderer Meinung sind?
In der Politik gibt es viele, die gern empört sind. Es geschieht etwas, und dann finden es erst mal alle schlecht. In der Politik haben wir eine Mehrheit gegen die Zukunft. Gehandelt wird nur, wenn etwas passiert ist. Der Lasagne-Skandal, der Pferdefleisch-Skandal: Dann reagiert die Politik und die Reaktion führt zu einem Lebensmittelgesetz, das total überdimensioniert ist. Eine Politik, die nur noch den Status Quo verteidigt und erst reagiert, wenn etwas passiert, ist fundamental gegen die Zukunft gerichtet. Stattdessen sollten wir offen sein und Rahmenbedingungen schaffen, um den Wohlstand auch noch in 20 Jahren halten zu können.
Was mussten wir vor 30 Jahren entscheiden, dass es uns heute so gut geht? Wir haben beispielsweise die EPFL in Lausanne, ein Super-Rechenzentrum im Tessin oder ein Biotech-Zentrum in Basel gegründet. Heute machen wir nur noch kleinliche Projekte. Wir haben in den letzten zwei Jahren zweimal über die Bratwurst-Liberalisierung abgestimmt, wir stimmen etwa zum dritten Mal über Ladenöffnungszeiten ab und diskutieren über die Durchsetzungsinitiative.
Hatten wir auch nur eine zukunftsweisende Abstimmung in den letzten Jahren? Ich glaube nein. Wir haben die Verantwortung, dass für unsere Kinder auch noch in 20 Jahren ein Wohlstand da ist.
Haben Sie Vorbilder?
Bis zu einem gewissen Grad ist das mein Vater. Er ist für mich der Inbegriff eines Freisinnigen. Am Sonntag sagte er zu mir: «Ich gehe in die Berge, ich brauche zwischen mir und dem Herrgott keinen Pfarrer». Freisinn heisst auch, sich gegen das System zu stellen und nicht einfach alles zu akzeptieren. Dann gibt es sicher tausende von Büchern, die mich beeinflusst haben. Im Moment lese ich «3’000 Jahre Philosophie-Geschichte». Das ist schon beeindruckend. Wenn ich sagen müsste, was mich nebst meiner Familie geprägt hat, ist es das Lesen.
Der Gesprächspartner:
Ruedi Noser ist 1961 geboren worden und wuchs im Glarnerland als viertes von fünf Kindern auf. Nach einer Lehre als Maschinenmechaniker bei Rieter, studierte Noser an der Fachhochschule Rapperswil (HSR) Elektroingenieurswissenschaften.
Anschliessend folgte eine Weiterbildung in Unternehmensführung an der HSG St. Gallen sowie in Betriebswirtschaft an der Universität Zürich. Ruedi Noser ist Alleininhaber der Noser Gruppe, die zu den grössten ICT-Unternehmen in der Schweiz zählt.
Von 2003 bis 2015 war er im Nationalrat und von 2003 bis 2009 als Vizepräsident der FDP Schweiz tätig. Zürcher Ständerat ist Ruedi Noser seit Dezember 2015. Als Präsident des ICT-Dachverbands vertritt er fast 200’000 Arbeitsplätze. Daneben setzt er sich als Präsident des Swiss Innovation Parks und der Young Enterprise Switzerland unter anderem für Innovationen und die Vernetzung von Schule und Wirtschaft ein.