Sabine Dändliker und Anastasia Li-Treyer, Geschäftsführerin und Präsidentin STOP PIRACY
Sabine Dändliker, Geschäftsführerin STOP PIRACY (l.) und Anastasia Li-Treyer, Präsidentin STOP PIRACY. (Foto: pd/mc)
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Frau Dändliker, Frau Li-Treyer, «STOP PIRACY» setzt sich gegen Fälschungen und Piraterie ein. Welche Markenprodukte und Branchen sind heute besonders betroffen?
Sabine Dändliker: Heutzutage bleibt keine Branche von Fälschung und Piraterie verschont. Ob Zahnpasta, Küchengeräte oder Autobremsen: es existiert kaum eine Produktegruppe die nicht betroffen ist. In der Schweiz werden gemäss der aktuellen Statistik der Eidg. Zollverwaltung neben Kleidern, Taschen und Uhren vor allem elektrische Geräte, Möbel und Medikamente zurückbehalten.
Anastasia Li-Treyer: Betroffen sind nicht nur multinationale Konzerne, sondern vermehrt auch innovative KMU. Der Schaden äussert sich in Umsatz- und Gewinneinbussen der Schutzrechtsinhaber und ihrer Lizenznehmer und mittelfristig in einem Reputationsverlust des Originalherstellers. Fälschungen können zudem kostspielige Haftungsprozesse nach sich ziehen, in denen der Originalhersteller nachweisen muss, dass das fehlerhafte Produkt ein Plagiat ist. Kurz: Fälschungen bedrohen Arbeitsplätze, Wohlstand und Konsumenten.
Wer bewusst gefälschte Artikel einkauft und in die Schweiz einführt, begeht nicht nur eine Straftat, sondern nimmt auch die Unterstützung des organisierten Verbrechens und miserable Arbeitsbedingungen bei den Produzenten der Fälschungen in Kauf. Wie bewusst ist der Bevölkerung, dass die Produktepiraterie heute eine eigentliche Schattenwirtschaft ist?
Anastasia Li-Treyer: Im Gleichschritt mit dem technologischen Fortschritt wird das Fälschen immer einfacher. Jeder kann bequem von zu Hause aus Fälschungen bestellen und sich diese nach Hause liefern lassen. Um Fälschung und Piraterie zu bekämpfen, müssen alle am gleichen Strick ziehen: Wirtschaft, Behörden, Politik und vor allem auch die Konsumenten.
Sabine Dändliker: Im Gegensatz zu den Originalherstellern haben Fälscher keinen guten Ruf zu verteidigen und sie nehmen keine soziale Verantwortung war. Wie verschiedene Beispiele gezeigt haben – z.B. die Textilbranche – kann die Zivilgesellschaft Druck auf die Originalhersteller ausüben, damit sich Arbeitsbedingungen etc. verbessern. Fälscher hingegen operieren im illegalen Bereich und entziehen sich somit jeder Kontrolle.
«Fälschungen bedrohen Arbeitsplätze, Wohlstand und Konsumenten.»
Anastasia Li-Treyer, Präsidentin STOP PIRACY
Es ist Ferienzeit, und der Zoll wird in den nächsten Wochen wieder gut zu tun haben, weil gefälschte Ware unabsichtlich oder absichtlich zurück in die Heimat gelangt. Während man vor 30 Jahren beim Kauf einer Uhr an irgendeinem Badestrand eigentlich wissen musste, dass es sich um eine Fälschung handelt, ist das heute weit schwieriger. Die Fälschungen sind optisch extrem gut gemacht und die Preise bewegen sich auch in Richtung des Originals. Welche Folgen hat dies für die Verbraucher?
Sabine Dändliker: Auch heute sind unrealistische Verkaufspreise und Verkaufsorte wie Badestrände oder ein Basar für die meisten Konsumenten klare Erkennungsmerkmale und Alarmsignale, dass es sich nicht um ein Originalprodukt handeln kann. Der Konsument von heute ist meist gut sensibilisiert. Die Fälschungsindustrie ist jedoch raffiniert und passt ihre Verkaufsstrategie dem Konsumverhalten der Leute an. Bereits seit mehreren Jahren stellt der Zoll fest, dass immer weniger Fälschungen via Reiseverkehr in die Schweiz gelangen. Viel zentraler ist deshalb der Verkauf von Fälschungen über das Internet, welches mittlerweile zum wichtigsten Absatzkanal geworden ist. Hier hat der Käufer keine Möglichkeit, das Produkt live anzusehen und kann sich nicht sicher sein, dass er auch wirklich die abgebildeten Waren erhält.
Nicht immer schaut das Lacoste-Krokodil in die falsche Richtung oder entlarvt ein Schreibfehler ein Produkt als Fälschung. Welches sind Ihre Tipps, wie Verbraucher Fälschungen erkennen können, zum Beispiel im Bereich von Luxusgütern wie Uhren, Parfums oder Taschen?
Sabine Dändliker: Oft ist es die Kombination verschiedener Merkmale, die bei der Erkennung eines seriösen Angebots hilft. Grosse Preisdifferenzen zum Originalprodukt, beschädigte oder schmuddelige Verpackungen sowie ungewöhnliche Verkaufsorte wie etwa Marktstände für Parfümeriewaren sollten einen skeptisch machen.
Wie hoch ist der rein finanzielle Schaden, der Schweizer Produzenten jährlich durch Fälschung und Piraterie entsteht?
Anastasia Li-Treyer: Umfang und Ausmass des Geschäfts mit Produktfälschungen sind nicht bekannt und es kann davon ausgegangen werden, dass der tatsächliche Schaden alle Schätzungen und Prognosen übertrifft. Die OECD schätzte vor einigen Jahren, dass der Markt mit Fälschungen und Pirateriewaren ein Volumen von ca. 250 Mrd Dolar oder knapp 2% des Welthandels ausmachen könnte.
«Gemäss der World Health Organisation könnten bis die Hälfte aller über das Internet verkauften Medikamente gefälscht sein.»
Sabine Dändliker, Geschäftsführerin STOP PIRACY
Über den wirtschaftlichen Schaden hinaus können Fälschungen vor allem im Bereich von Arzneimitteln lebensgefährliche Folgen haben. Wie gross ist dieses Problem in der Schweiz?
Sabine Dändliker: Grundsätzlich ist das Hauptproblem bei sämtlichen Fälschungen die Verletzung des Marken- und Designschutzes, was für die betroffenen Unternehmen wirtschaftliche Konsequenzen hat. Es ist aber richtig, dass gerade im Bereich von gefälschten Arzneimitteln das Risiko für die Konsumenten und Konsumentinnen besonders hoch ist, da es um deren Gesundheit geht.
Von Fälschungen sind nicht nur Lifestyle-Präparate wie etwa Potenzförderer oder Schlankheitsmittel betroffen, sondern auch Krebsmedikamente, Antibiotika oder Herz-Kreislauf-Arzneimittel. In den westlichen Industriestaaten ist vor allem der Verkauf von Medikamenten über das Internet das wichtigste Einfallstor für gefälschte Medikamente. Gemäss der World Health Organisation könnten bis die Hälfte aller über das Internet verkauften Medikamente gefälscht sein. Allein 2014 wurden im Rahmen der internationalen Aktionswoche „PANGEA“ fast 10‘000 Webseiten geschlossen, die illegal Medikamente vertrieben haben.
In der Schweiz sind Arzneimittelfälschungen in den offiziellen Vertriebskanälen bisher kein Problem. Der Bezug von Medikamenten in Apotheken, Drogerien oder beim Arzt (Selbstdispensation) hat den Vorteil, dass diese Arzneimittel aus den offiziellen und kontrollierten Vertriebskanälen stammen. Bei einer Medikamentenbestellung im Internet lässt sich die Herkunft des Medikaments jedoch nicht zurückverfolgen. Dieser Vertriebskanal entzieht sich der Kontrolle der Behörden.
Worauf setzen Pharmaunternehmen, um Fälschungen zu erschweren, resp. sie als solche erkennbar zu machen?
Sabine Dändliker: Die Pharmaunternehmen arbeiten untereinander und mit den Zollbehörden eng zusammen. Sie verwenden offene und verdeckte Kennzeichen, die Fälschungen erschweren, beispielsweise Hologramme, farbändernde Tinte oder irisierende Oberflächen. Zudem setzen Pharmafirmen vermehrt auf Rückverfolgungstechnologien wie Seriennummern kombiniert mit einer 2-D-Daten-Matrix. Bei einer 2-D-Daten-Matrix sind die Informationen sehr kompakt in einer quadratischen Fläche als Muster von Punkten codiert und ermöglichen die lückenlose Verfolgung sowie eine Authentizitätsprüfung jeder einzelnen Packung. Konkret prüft der Apotheker bei jedem Medikament einen Identifikationscode, bevor er das Medikament an den Patienten weitergibt.
Wie können sich Käufer im Internet generell am besten vor Fälschungen schützen, resp. diese erkennen?
Sabine Dändliker: In der Tat stellt das Einkaufen im Internet den Käufer vor besondere Herausforderungen. In den letzten Jahren hat sich ein ganzes Business-Modell rund um sogenannte „Fake-Webshops“ entwickelt. Diese sind vom Design her gleich aufgebaut wie bekannte Online-Shops und auf den ersten Blick kaum von seriösen Anbietern zu unterscheiden. Nimmt sich der Käufer jedoch einige Minuten Zeit, gibt es einfach erkennbare Alarmsignale. Hinter ungewöhnlichen Domainnamen wie beispielsweise xy- supergünstig.ch oder Webseiten voller Schreibfehler verbirgt sich selten ein seriöser Anbieter. Steht anstelle eines Impressums mit Adresse, E-Mail und Telefonnummer nur ein anonymes Kontaktformular, sollte man besser keinen Kauf über diese Seite abwickeln. Ebenfalls hilfreich ist ein Preisvergleich mit anderen Anbietern. Ist die Preisdifferenz wirklich realistisch? Gute Waren haben auch im Internet ihren Preis. Wenn also die Preisdifferenz zum regulären Preis allzu gross ist, handelt es sich wohl um ein unseriöses Angebot, das zu gut klingt, um wahr zu sein.
Wie können Unternehmen Marken- und Produktpiraterie aktiv bekämpfen?
Anastasia Li-Treyer: Unternehmen sollten gleichzeitig mehrere Strategien verfolgen, um Fälschung und Piraterie vorzubeugen. So sollten produktspezifische Massnahmen schon während der Entwicklung eines neuen Produkts ausgewählt und initiiert werden, im Wissen, dass ein Schutz vor Produktfälschung für die gesamte Wertschöpfungskette benötigt wird. Auswahl und Umsetzung der einzelnen Schutzmassnahmen dürfen aber nicht ohne Kosten-Nutzen Bewertung erfolgen; Kunden sind kaum bereit, die Mehrkosten für einen integrierten Produktschutz zu tragen.
«Unternehmen sollten gleichzeitig mehrere Strategien verfolgen, um Fälschung und Piraterie vorzubeugen.»
Es ist auch empfehlenswert, seine Produkte speziell zu kennzeichnen und zu ’sichern’. Es gibt eine Palette von Techniken, die es erlauben, seine Ware lückenlos zu verfolgen und selbst oder am Zoll zu identifizieren. So lassen sich beispielsweise winzige, bunt gestreifte Kunststoffkörner in Polyesterfäden einschmelzen oder in Tinte mischen, welche für die Produktkennzeichnung verwendet werden. Kleiner als ein Staubkorn, gelten sie als fälschungssicher und werden vor Gericht als Beweismittel anerkannt.
Hat man sich für eine bestimmte Schutzstrategie entschieden, so gilt es in zeitlich regelmässigen Abständen Markt- und Internetbeobachtungen sowie Testkäufe durchzuführen. Eine Dokumentation der Ergebnisse und die Definition, ab wann Handlungsbedarf besteht, sind hier für Unternehmen wichtig.
Welche juristischen Möglichkeiten bestehen?
Anastaia Li-Treyer: Bereits in der Entwicklungsphase sollte ein Unternehmen juristischen Rat einholen und die zu verfolgende rechtliche Schutzstrategie festlegen. Immaterialgüterrechte bieten eine Sicherheit vor Fälschung und Piraterie. In allen Ländern, in welchen das Unternehmen ihre Produkte zum Schutz angemeldet hat, erlauben sie im Verletzungsfall eine Unterlassungsklage und das Durchsetzen von Schadenersatzansprüchen gegen unrechtmässig handelnde Dritte.
Frau Dändliker, Frau Li-Treyer, besten Dank für das Interview.
Zur Person:
Sabine Dändliker:
Seit April 2015 leitet Sabine Dändliker die Geschäftsstelle von STOP PIRACY, welche beim Institut für Geistiges Eigentum (IGE) angegliedert ist. Zuvor war sie bereits mehrere Jahre als Markenprüferin am Institut tätig.
Anastasia Li-Treyer:
Anastasia Li-Treyer ist seit 8 Jahren Präsidentin von STOP PIRACY, der Schweizer Plattform gegen Fälschung und Piraterie. Ihre ersten beruflichen Erfahrungen sammelte sie im Treuhand- und Bankwesen. Es folgten die Diamanten-Industrie (De Beers) und Markenunternehmen wie Estee Lauder Companies. Hier war sie zuerst als Marketing Manager und später als Geschäftsführerin der Marke Clinique in Deutschland r Schweiz tätig. Nach dem Executive MBA HSG, den sie im 2003 abschloss, wurde sie General Manager Europe der Firma Zyliss AG. Seit Sommer 2006 ist sie Direktorin von Promarca. Anastasia Li-Treyer ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Zur Organisation:
Der Verein STOP PIRACY umfasst rund 35 Mitglieder. Darunter befinden sich private Unternehmen und Verbände aus den unterschiedlichsten Branchen, Behörden und andere Institutionen aus dem öffentlichen Sektor sowie Konsumentenvertreter. Sie alle setzen sich gemeinsam gegen Fälschung und Piraterie ein. Der gemeinnützige Verein leistet Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit bei den Konsumenten und macht sich stark in der Zusammenarbeit zwischen den Behörden und der Wirtschaft. Aufgrund der globalen Tragweite der Problematik steht der Wissenstransfer im Fokus der Vereinsarbeit.