von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Cilurzo, was hat Sie dazu inspiriert, eine intelligente Sturzerkennung zu entwickeln?
Sandro Cilurzo: Bevor ich Sedimentum gegründet habe, war ich in einer schweizerischen psychiatrischen Klinik für die ganze Information und Cyber Security verantwortlich. Im Rahmen meiner Funktion war ich ebenfalls Mitglied eines Think Tanks in welchem nebst mir, Kadermitglieder und Fachexperten aus dem Bereich Medizin und Pflege vertreten waren. Eine der Hauptherausforderungen einer jeden Institution im Gesundheitswesen, wie beispielswese Psychiatrien und Altersheime etc., ist die unterbrechungsfreie Gewährleistung der Patienten-, und Bewohnersicherheit über 24-Stunden hinweg. Akuter Personalmangel in der Pflege, veraltete sowie mangelhafte technologische Hilfsmittel oder Geräte mit Kameras und Mikrofone, welche die Privatsphäre massiv beinträchtigen – so sah bis jetzt die Realität leider aus.
Dieses fundamentale Problem liess mich nicht mehr los und deshalb habe ich Sedimentum gegründet. All meine Energie und Mittel fliessen seit diesem Moment in den Aufbau von Sedimentum und der Entwicklung der ersten intelligenten kontaktlosen Sturzerkennungslösung, welche die Privatsphäre des Einzelnen nicht kompromittiert – kein Wearable, keine Kamera, kein Mikrofon und eine anonymisierte Datenverarbeitung – Privacy und Sicherheit at its best. Schutzbedürftige Menschen sollten sich nämlich da, wo sie leben, sicher fühlen.
Können Sie kurz erklären, wie die Lösung funktioniert, welche Werte gemessen und welche Daten erhoben werden?
Sedimentums Lösung zur kontaktlosen Sturzerkennung kann man sich wie einen Brandmelder vorstellen, aber einfach für Stürze, sozusagen ein «Sturzmelder». Unsere Hauptexpertise liegt dabei im Fachbereich der künstlichen Intelligenz (KI). In den Räumlichkeiten der schutzbedürftigen Person wird jeweils ein einzelnes Sensor-Device, beispielsweise an der Zimmerdecke, angebracht. Dieses erhebt kontaktlos diverse Messwerte, wie beispielsweise menschliche Bewegungsaktivität. Sämtliche Daten werden vom Sensor-Device anonymisiert, verschlüsselt und in Echtzeit an die KI-Software von Sedimentum übermittelt. Die KI-Software erlernt basierend auf den übermittelten Daten den «physischen» Referenzzustand der jeweils im Zimmer lebenden schutzbedürftigen Person. Tritt im Anschluss eine Unregelmässigkeit in den Daten auf, beispielsweise ausgelöst durch ein Sturzereignis, dann wird in Echtzeit ein Alarm zu Handen von Dritten – beispielsweise das Pflegepersonal in Altersheimen – ausgelöst.
Sie haben die Privatsphäre angesprochen. Sind Sensordaten nicht bereits anonym, insbesondere wenn weder Kameras noch Mikrofone zum Einsatz kommen?
Wir bei Sedimentum setzen uns aktiv für den Datenschutz ein und der Schutz der Privatsphäre ist Teil unserer Unternehmens-DNA. Andere Unternehmen sehen die regulatorischen Anforderungen als Hürde. Für uns war und ist Datenschutz aber ein zentraler Innovationstreiber. Um den hohen regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden, mussten wir neue Wege beschreiten, um unsere Kunden und deren Patienten und Bewohner bestmöglich zu schützen. Dies führte zur Entwicklung einer technischen Innovation, was ein zentraler USP von Sedimentum ist. Andere Unternehmen behaupten zwar die Daten, insbesondere Sensordaten, seien bei ihnen anonymisiert, in den meisten Fällen ist das jedoch nicht der Fall. Besagte Unternehmen verwenden den Begriff «Anonymisierung», vollziehen aber oftmals lediglich eine «Pseudonymisierung». Diese beiden Begrifflichkeiten werden als Synonym verwendet, obwohl sich die beiden Konzepte wie Tag und Nacht unterscheiden, auch rechtlich.
«Um den hohen regulatorischen Anforderungen gerecht zu werden, mussten wir neue Wege beschreiten, um unsere Kunden und deren Patienten und Bewohner bestmöglich zu schützen.»
Sandro Cilurzo, CEO Sedimentum
Wie das?
Bei der Pseudonymisierung werden beispielsweise identifizierende Merkmale wie Name und Vorname mittels einem «Code» resp. Pseudonym ersetzt (bspw. Hans Müller wird zu XA1234). Diese «Codes» oder Pseudonyme und die zugehörigen identifizierenden Merkmale, in diesem Beispiel Name und Vorname, werden dann in separaten «Zwischentabellen» gespeichert. Jemand der lediglich den Code (bspw. XA1234) und sonstige dazugehörige Daten sieht, sollte nicht direkt erkennen können, um welche Person es sich dabei handelt. Sobald aber Zugriff auf die erstellte «Zwischentabelle» besteht, können die Daten natürlich wieder einer Person zugeordnet werden. Pseudonymisierte Daten unterstehen daher korrekterweise dem Datenschutzgesetz. Bei der Anonymisierung hingegen gibt es keine solche «Zwischentabelle» – ein Rückschluss von den Daten auf eine spezifische Person ist somit nicht mehr möglich. Aus diesem Grund unterstehen anonymisierte Daten auch nicht mehr dem Datenschutzgesetz. Bei Sedimentum erfolgt der Datenaustausch und die Datenverarbeitung anonym.
Was bedeutet eine «intelligente» Sturzerkennung konkret und wie können wir uns das praktisch vorstellen?
Zuverlässig Stürze kontaktlos zu erkennen ist eine extrem anspruchsvolle Disziplin. Es gibt wortwörtlich eine unendliche Anzahl Möglichkeiten zu stürzen. Ein Sturzereignis hat aber eine klare Definition: „Wenn eine Person unbeabsichtigt und unkontrolliert auf dem Boden oder auf einer tiefen gelegenen Ebene zum Liegen kommt, dann handelt es sich um einen Sturz.“ Eine Fitnessübung auf dem Boden zu machen, ist eindeutig nicht ein Sturz. Für uns Menschen ist diese Unterscheidung klar, aber für klassische technische Lösungen nicht. Deshalb gab es bis jetzt es keine wirklich zuverlässige und intelligente technische Lösung, die eine „echte“ Sturzerkennung betreibt. Damit eine technische Lösung über das gleiche „intuitive“ Verständnis bezüglich einem Sturzereignis verfügen kann, wie ein Mensch, braucht es künstliche Intelligenz. Deshalb haben wir ein anspruchsvolles und neuartiges KI-Verfahren entwickelt, welches Sturzereignisse zuverlässig erkennt, ohne dabei Fehlalarme zu senden, wenn jemand eine Fitnessübung auf dem Boden macht oder eine Katze in der Wohnung herumtollt.
«Zuverlässig Stürze kontaktlos zu erkennen ist eine extrem anspruchsvolle Disziplin. Es gibt wortwörtlich eine unendliche Anzahl Möglichkeiten zu stürzen.»
Ist KI aus Ihrer Sicht das Mass aller Dinge, wenn es darum geht, dass das gesamte Gesundheitssystem stärker präventiv agiert und versucht, die Menschen gesund zu halten, statt später zu heilen?
Nach meiner Einschätzung hat KI unbestritten das Potenzial, unser Gesundheitssystem aktiv zu unterstützen und langfristig sogar zu transformieren. Hierbei gilt es jedoch zu beachten, das KI lediglich ein Werkzeug ist, aber ein mächtiges. Dieses Werkzeug zielgerichtet, nutzstiftend und effektiv einzusetzen funktioniert aber nur dann, wenn Entwickler von KI-basierten Lösungsansätzen Interdisziplinarität und Diversität als zentrale Erfolgsfaktoren erachten. Das Gesundheitswesen ist äusserst komplex und die Ansprüche an Qualität, rechtliche Konformität und Sicherheit sind besonders hoch. Wenn der Nutzen im Zentrum steht und KI lediglich als das betrachtet wird was es eigentlich ist, ein «mächtiges Werkzeug», dann kann KI das Gesundheitssystem nachhaltig verändern – davon bin ich überzeugt.
Welches waren seit der Gründung des Unternehmens die grössten Meilensteine?
Mit unserem ambitionierten Team konnten wir schon verschiedene Meilensteine erreichen. Ein zentraler Meilenstein für uns alle war natürlich die erste Installation unserer Lösung in einer Institution – von der Idee zur Realität – das hat uns alle unglaublich motiviert. Der jüngste Meilenstein, unsere überzeichnete Seed-Finanzierungsrunde von CHF 2.1 Mio., ist ebenfalls besonders erfreulich. Wir fühlen uns bestätigt und bekräftigt, dass wir mit unserem grossartigen Team auf dem richtigen Weg sind. Das frische Kapital wird die Expansion in den DACH-Markt beschleunigen, unsere Produktentwicklung vorantreiben und natürlich die interne und externe Skalierung sicherstellen. Wir freuen uns riesig auf die kommenden Monate.
«Das frische Kapital wird die Expansion in den DACH-Markt beschleunigen, unsere Produktentwicklung vorantreiben und natürlich die interne und externe Skalierung sicherstellen. Wir freuen uns riesig auf die kommenden Monate.»
Welche «Probeläufe» im grösseren Stil konnten Sie bis heute vornehmen?
Zurzeit sind über 50 unserer «Sturzmelder» fix installiert – vom Bewohnerzimmer im Pflegeheim bis hin zur Alterswohnung. Unsere Zielgruppe umfasst alle schutzbedürftigen Personen und übergeordnet natürlich auch all jene Organisationen, welche diese pflegen und betreuen. Dies sind beispielsweise Altersheime, Psychiatrien, Spitex Organisationen und Immobilienbetreiber von Alterswohnungen. Privatpersonen folgen zu einem späteren Zeitpunkt.
Für uns standen und stehen die Kundenansprüche unserer verschiedenen Kundensegmente im Zentrum. Ein Pflegeheim, eine Psychiatrie, ein Spital oder eine Spitex Organisation haben komplett unterschiedliche Wünsche und Anforderungen. Diversität in den Pilotprojekten war uns deshalb wichtiger, als eine reine Fokussierung auf die Quantität.
Inwieweit ist die Serienproduktion bereits angelaufen?
Die industrielle Fertigung für die aktuelle Hardwaregeneration ist erfolgreich umgesetzt. Nun geht es vor allem darum, unsere Produktionskapazitäten zu erweitern und unserer Fertigungsprozesse zu optimieren.
Wo sehen Sie Sedimentum in fünf Jahren?
«Sich sicher fühlen, da wo man lebt» – ist ein Bedürfnis ohne geografische Grenzen. Deshalb erachte ich es als unsere Pflicht, sich innert fünf Jahren auf dem globalen Markt zu etablieren. Unsere Vision ist es, das Leben von Tausenden schutzbedürftigen Personen sicherer zu machen. Bis in fünf Jahren soll sich deshalb unser intelligenter Sturzmelder als «Standard» für ein autonomes, sicheres und selbstbestimmtes Leben etabliert haben.
Herr Cilurzo, besten Dank für das Interview.