Severin Dressen, Direktor Zoo Zürich, im Interview

Severin Dressen

Severin Dressen, Direktor Zoo Zürich AG. (Foto: Zoo Zürich)

von Bob Buchheit

Moneycab.com: Herr Dressen, bis ins nächste Frühjahr 2025 baut der Zoo den neuen Lebensraum Panthera für die Grosskatzen. Die Löwen, Tiger und Schneeleoparden sind für die Bauzeit in andere Zoos umgezogen. Verraten Sie uns, wann und wie die Tiere aus dem «Urlaub» zurückkommen?

Severin Dreesen: Wir wissen aktuell noch nicht, welche Tiere wir erhalten werden. Diese Entscheidung liegt nicht bei uns. Da alle drei Arten bedroht sind, wird ihr Bestand in den Zoos im Rahmen des Europäischen Erhaltungszuchtprogramm EEP gemanagt. Jedes EEP wird durch eine Person koordiniert, die alle Tiere der Art in allen Zoos, die am Zuchtprogramm beteiligt sind, kennt. Anhand der Verwandtschaftsverhältnisse, des Alters, der Genetik und vielen weiteren Faktoren entscheidet sie, welche Tiere, in welchem Zoo untergebracht sind und züchten. Nur so ist sichergestellt, dass eine stabile und intakte Reservepopulation in den Zoos bestehen bleibt. Das ist wichtig, da diese Reservepopulation sozusagen das letzte Back-up ist, sollte die Art in der Wildnis tatsächlich aussterben. Zur Eröffnung werden Löwe, Schneeleopard und Tiger aber da sein. Welche Individuen es dann genau sind, bleibt abzuwarten.

Wie sieht ab 2025 dieses Rotationsprinzip aus?

Das Rotationsprinzip bei Panthera ist sehr besonders und wird das Tierwohl bei unseren Grosskatzen nochmals deutlich erhöhen. Allen drei Arten – Asiatischer Löwe, Schneeleopard und Amurtiger – werden alle Teile des neuen Lebensraums zur Verfügung stehen. Wenn auch nicht gleichzeitig. Also die drei Arten werden sich nicht tatsächlich begegnen, aber sie werden einander deutlich spüren und wahrnehmen. Alle drei Arten werden die verschiedenen Bereiche des Lebensraums regelmässig wechseln. Das führt dazu, dass sie ihre Vorgänger zum Beispiel riechen und dann jeweils erstmal gucken müssen, ist der, den ich da rieche noch da? Das beschäftigt die Tiere.

Auch müssen sie das Revier dann jeweils neu markieren. So bleibt es stets spannend. Um diese Rotation durchführen zu können, wurde eine spezielle Tierbrücke, eigens für den Zoo Zürich, angefertigt. Bei uns heisst sie auch «Catwalk», da die Katzen später über diese Brücke von einem Bereich in den anderen wechseln werden. Und das über die Köpfe der Zoo-Gäste hinweg. Wenn sie also mehrmals im Jahr den Zoo besuchen, wissen sie nie so genau, wo der Löwe oder der Tiger gerade ist.

«Die Kosten allein fürs Futter belaufen sich in diesem Jahr auf rund 920’000 Franken. Tendenz steigend. Die Inflation macht sich da auf jeden Fall spürbar.»
Severin Dressen, Direktor Zoo Zürich

Wieviel wird denn der Zoo dieses Jahr insgesamt für die Tierfütterung ausgeben? Spüren Sie da auch, wie wir alle, die zurückliegende Inflation?

Die Kosten allein fürs Futter belaufen sich in diesem Jahr auf rund 920’000 Franken. Tendenz steigend. Die Inflation macht sich da auf jeden Fall spürbar. Vor allem beim Gemüse, Obst und Trockenfutter haben die Preise stark angezogen. Zudem haben wir auch immer mehr «Futter-Spezialisten» bei uns im Zoo. Das macht die Futterbeschaffung teilweise auch aufwendiger. Ein Beispiel wären die neu eingezogenen Insekten. Die fressen längst nicht jedes Blatt.

Der Zoo ist nicht nur für die kleinen und grossen Besucher da, sondern erfüllt auch eine Funktion als Zuchtstation. Was sind im Moment Ihre wichtigsten Projekte?

Na ja, nicht nur als Zuchtstation. Der Zoo Zürich ist ein wissenschaftlich geführter, moderner Zoo und versteht sich als Naturschutzzentrum. Als solcher hat er vier Hauptaufgaben: Naturschutz, Artenschutz, Forschung und Bildung. Alle vier sind zentral für unser Wirken und Handeln. Um hier noch besser zu werden und unseren Ansprüchen zu genügen, entstehen im Zoo aktuell mehrere Bereiche neu. Zum einen eröffnet noch in diesem Jahr die Forschungsstation. Im kommenden Frühjahr folgt dann Panthera, der neue Lebensraum für unsere Grosskatzen. Und hier wird es noch ein besonderes Highlight geben, den neuen Insektenwald. Ein Projekt, das mir schon besonders am Herzen liegt. Denn neben den ganz Grossen, kommen hier im Kontrast dann auch die ganz Kleinen gross raus. In den vergangenen 30 Jahren ist die Insektenpopulation um 75 Prozent geschrumpft. Das ist massiv. Deshalb rücken wir die Insekten nun ins Scheinwerferlicht.

«Der Zoo Zürich ist ein wissenschaftlich geführter, moderner Zoo und versteht sich als Naturschutzzentrum.»

Hat es denn dafür Besuchernachfrage?

Der Insektenwald hat Potenzial Stadtgespräch zu werden, wenn ich das so sagen darf. Wir wollen aufzeigen, wie faszinierend und schön diese Tiere eigentlich sind, welche Bedeutung sie für unsere Ökosysteme haben und dafür sorgen, dass ihnen mehr Beachtung geschenkt wird. Die Insekten sind bereits bei uns im Zoo angekommen. Im Hintergrund haben wir eine Zucht eingerichtet. Das sind wirklich unglaublich spannende Tiere, die teilweise wie kleine Aliens aussehen. Ich bin schon jetzt total begeistert.

Wie geht es denn beim Bau der Pantanal-Voliere weiter?

Hier sind die Erd- und Vorbereitungsarbeiten soweit abgeschlossen und neu drei Kräne montiert. Diese lassen durch ihre Höhe von 32 bzw. 34 Metern (die beiden äusseren Kräne) schon mal die Höhe der späteren Voliere erahnen. Die wird 35 Meter hoch werden und gänzlich ohne Stützpfeiler auskommen. Es entsteht also ein riesiger Flugraum für unsere Vögel. Die Voliere wird alle vier Zooaufgaben auf sich vereinen. Sie ist verknüpft mit einem Naturschutzprojekt im Original Pantanal, dem grössten Sumpfgebiet der Welt in Südamerika. In der Voliere leben künftig mehr als 15 gefährdete Arten. Hier tragen wir durch Zucht aktiv zum Artenschutz bei. Durch ihre Konstruktion bietet die Voliere ideale Bedingungen für Forschungsprojekte, beispielsweise zum Brut- und Balzverhalten. Und auch unsere Gäste lernen nicht nur Tierarten kennen, sie tauchen ein in einen Lebensraum. Es wird Führungen und Bildungsangebote geben. Das sind die Projekte, die bereits im Bau sind, dann gibt es aber noch Projekte, die in der Planung stecken und die uns derzeit auch stark absorbieren.

An Weihnachten wird die neue Forschungsstation im ehemaligen Exotarium eröffnet. Was erhoffen Sie sich da in den nächsten Jahren an Ergebnissen?

Die neue Forschungsstation wird unseren Gästen künftig einen Einblick in unsere Forschungstätigkeiten geben. Zoos haben wie erwähnt vier Hauptaufgaben. Forschung ist eine davon. Zwar betreiben wir schon lange Forschung bei uns im Zoo, nur bislang hat das kaum jemand mitbekommen. Da können wir noch besser werden. Aktuell sind wir beispielsweise an mehr als 70 Forschungsprojekten beteiligt.

Hätten Sie das gedacht? Wahrscheinlich nicht, und so geht es eben vielen unserer Gäste. In der neuen Forschungsstation wird es sechs Kompartimente geben und in jedem dieser Kompartimente widmen wir uns einer anderen Forschungsfrage. Das reicht von der Erforschung einer Ameisenkolonie über die Frage nach der richtigen Temperatur und dem richtigen Klima für die Zucht von Amphibien – das ist je nach Art nämlich ziemlich anspruchsvoll – bis hin zur Frage nach den optimalen Haltungsbedingungen für einige stark bedrohte Fischarten. Primär wird es darum gehen, Wissen und Erkenntnisse zu sammeln, wie sich bedrohte Arten erhalten lassen. Das ist dann der direkte Link zu einer unseren weiteren Aufgaben als moderner Zoo, dem Artenschutz.

«Zwar betreiben wir schon lange Forschung bei uns im Zoo, nur bislang hat das kaum jemand mitbekommen.»

Nach einer Schwangerschaft von 22 Monaten kommt zwischen Mitte April und Anfang Mai 2025 ein asiatisches Elefantenbaby auf die Welt. Die Tierart ist bedroht. Es gibt nur noch 40’000 Wildtiere. Ist dieser Wert schon kritisch?

Ja, absolut. Das mag im ersten Moment viel klingen, aber die reine Zahl ist hier wenig aussagekräftig. Die Frage ist, leben diese Tiere alle mehr oder weniger am gleichen Ort, sind also alle den gleichen Gefahren ausgesetzt? Wie gross ist die aktuelle Bedrohung für die Tiere? Nimmt ihr Lebensraum schnell ab, wird zunehmend zersplittert, und kann sich die Population dadurch nicht mehr genetisch austauschen? Werden die Tiere gejagt? Es gibt immer unzählige Faktoren, die eine Rolle spielen und je nachdem kann eine Population von 40 000 Tieren dann sehr schnell zusammenschrumpfen.

Denken Sie beispielsweise an Spitzmaulnashörner. Die Art war lange Zeit diejenige mit der grössten Population unter allen Nashornarten. Dann begann Anfang des Jahrhunderts eine erbitterte Jagd auf Spitzmaulnashörner, so dass etwa 1960 nur noch knapp 100’000 Tiere existierten. Zwischen 1960 und 1995 brach der Bestand durch Wilderei dann um 98 Prozent ein. 98 Prozent! Dank intensiver Schutzmassnahmen gibt es heute noch etwa 3000 Tiere. Spitzmaulnashörner gelten als vom Aussterben bedroht. Das geht also ruckzuck. Gut 60 Prozent der aktuellen Bestände des Asiatischen Elefanten leben in Indien, einem aufstrebenden Industriestaat mit einer stark zunehmenden Bevölkerungszahl. All diese Menschen haben das nachvollziehbare Bedürfnis nach Platz, Nahrung und anderen Ressourcen. Das geht zwangsweise auf Kosten des Lebensraums anderer Lebewesen, auch auf den von Elefanten. Die Populationszahlen des Asiatischen Elefanten sind dementsprechend abnehmend. Es kann also schnell gehen, auch bei 40’000 Individuen.

Nach Ihrem Zivildienst haben Sie zunächst an verschiedenen Orten als Tierpfleger gearbeitet. Worauf kommt es bei der Tierpflege am meisten an?

Ich denke, das Wichtigste ist natürlich die uneingeschränkte Begeisterung und Wertschätzung für unsere fantastische Natur. Natürlich darf auch ein Tierpfleger oder eine Tierpflegerin eine Lieblingsart haben, aber wer heute in einem Zoo arbeitet, dem muss bewusst sein, worum es geht und warum er oder sie diese Arbeit macht. Moderne Zoos haben wie bereits zuvor erwähnt vier Hauptaufgaben und an diesen orientiert sich bei uns alles. Es geht in der Tierpflege nicht darum, jedes einzelne Tier zu schützen und zu bewahren. Natürlich liegen uns unsere Tiere am Herzen und all unseren Tieren soll es gut gehen. Das Tierwohl steht immer an erster Stelle.

Aber, wer heute den Beruf des Wildtierpflegers in einem modernen Zoo ergreift, dem muss bewusst sein, worauf er sich einlässt. Zoos betreiben Artenschutz, keinen Tierschutz. Nicht das einzelne Tier steht im Vordergrund, sondern die Art als Ganzes. Das unterscheidet die Tierpflege im Zoo deutlich von der Tierpflege beispielsweise im Tierheim oder auf einem Gnadenhof. Zoos tragen zum Artenschutz u. a. bei, indem sie eine stabile Reservepopulation in Zoos erhalten. Stabil bleibt eine Population nur, wenn sie nicht überaltert, wenn immer ausreichend Jungtiere vorhanden sind und die genetische Diversität gesichert ist. Der Platz in Zoos ist allerdings begrenzt, und das führt dazu, dass es Tiere geben kann, die für den Erhalt der Reservepopulation nicht oder nicht mehr relevant sind. Und diese Tiere werden, wenn sich kein geeigneter Abgabeplatz findet, dann auch getötet.

«Wer heute den Beruf des Wildtierpflegers in einem modernen Zoo ergreift, dem muss bewusst sein, worauf er sich einlässt. Zoos betrieben Artenschutz, keinen Tierschutz.»

Eine Tierpflegerin in einem wissenschaftlich geführten Zoo muss also auch in der Lage sein, ein Tier zu töten?

Das ist vielen Menschen nicht bewusst oder sie blenden diesen Aspekt aus. Der Tod gehört zum Leben dazu. Wir neigen hier schnell zu Romantisierung und sehen nur die schönen Seiten.

Kommen wir nochmal zurück zu den Projekten. Die Seilbahn von der SBB-Station Stettbach hoch zum Zoo entlang des Masoala-Regenwalds ist schon seit Jahren projektiert. Wann bewegt sich was?

Tja, da ist weiterhin Geduld gefragt. Aktuell ist hier ein Bundesgerichtsentscheid hängig. Vielmehr kann ich dazu aktuell nicht sagen.

Der Animations- und Motivationsfilm zum Entwicklungsplan 2050 ist ja schon ein kleines Kunstwerk. Wenn das alles so umgesetzt wird, bekämen Sie da vielleicht drei Michelin-Sterne?

Herzlichen Dank für das Kompliment. Das ist natürlich nicht einfach nur ein netter Film, das ist ganz konkret unser Blick in die Zukunft. Ja, das soll alles so umgesetzt werden und daran arbeiten wir tagtäglich sehr intensiv. Wie bereits erwähnt, befinden sich aktuell drei Projekte in der Umsetzung: Forschungsstation, Panthera und die Pantanal Voliere. Allein diese drei sind bereits eine Mammutaufgabe, aber man wächst ja bekanntlich an seinen Herausforderungen. Und wir sind hier gut auf Kurs. Die Forschungsstation eröffnet bereits im Dezember, Panthera und der Insektenwald dann im Frühjahr nächstes Jahr und die Pantanal Voliere 2028. Zeitgleich läuft bereits die Planung für unser nächstes Grossprojekt, ein Neubau für unsere Menschenaffen. Hier kann ich aber noch nicht allzu viel verraten.

Die Lewa-Savanne ist seit ihrer Eröffnung im Juli 2020 ein Publikumsmagnet. Wieso gab es beim Zürcher Filmfestival Kritik, der Zoo bediene mit der Inszenierung Klischees?

Das müssen sie wohl den Journalisten fragen, der den Artikel verfasst hat. Kritisiert wurde, dass die Lewa Savanne oder vielmehr die Informationstafeln und Hausnachbauten – die übrigens Original-Nachbauten von Gebäuden sind, die genauso im Lewa Wildlife Conservancy in Kenia stehen – einerseits Stereotypen zementieren würden und andererseits die koloniale Vergangenheit und daraus resultierende aktuelle Konflikte nicht thematisiert würden. Zur Eröffnung der Lewa Savanne 2020 waren sowohl der kenianische Botschafter als auch mehrere Repräsentanten aus Lewa selbst vor Ort anwesend. Keiner der Anwesenden hat sich an diesen Nachbauten gestört oder sie als beleidigend empfunden. Ganz im Gegenteil, es gab viel Lob.

Die Kritik stammt vor allem von einem sehr spezifischen akademischen Teil der Sozialanthropologie. Wir wollen Aufmerksamkeit generieren und für den Natur- und Artenschutz sensibilisieren. Daher ist die Lewa Savanne wie beispielsweise auch der Masoala Regenwald als Lebensraum und Zwilling des Originals konzipiert. Wenn unsere Gäste die Lewa Savanne betreten, dann fühlen sie sich im besten Fall nach Kenia versetzt, erfahren nicht nur etwas über die Tiere, die dort leben, sondern auch über unser Naturschutzprojekt.

Deswegen steht in der Lewa Savanne beispielsweise ein Original-Schulhaus. Alle unsere Naturschutzprojekte verfolgen einen integrativen und langfristigen Ansatz. Das bedeutet, dass wir auch die lokale Bevölkerung einbinden. Sie ist zentral, damit ein Schutzprojekt erfolgreich ist. Es geht um eine ganzheitliche Sichtweise mit dem Fokus auf den Aufgaben eines Zoos: Naturschutz, Artenschutz, Bildung und Forschung.

Zoo Zürich

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