Simon Michel, CEO Ypsomed, im Interview
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Michel, Ypsomed blickt auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr 2022/23 zurück. Der Umsatz stieg deutlich, der operative Gewinn konnte mehr als verdoppelt werden, der Reingewinn ebenso. Welches waren die Wachstumstreiber?
Simon Michel: Umsatzmässig haben beide Geschäftsbereiche zum Wachstum beigetragen. Das Geschäft mit unseren Injektionssystemen für die Selbstinjektion flüssiger Medikamente wird von langfristigen Trends getragen. Moderne Medikamente haben zunehmend eine flüssige Formulierung, die gespritzt werden muss. Gleichzeitig ist der Patentschutz vieler bekannter Medikamente abgelaufen, diese können durch günstigere Nachahmerprodukte ersetzt und damit global zugänglich gemacht werden. Wir sind stolz, hier einen wichtigen Beitrag zum Zugang bezahlbarer medizinischer Versorgung leisten zu dürfen.
Im Geschäft mit unserer Insulinpumpe haben wir die Hausaufgaben gemacht. Wir bieten als einziger Anbieter ein System zur automatisierten Insulindosierung an, dass mit den zwei wichtigsten Sensoranbietern kompatibel ist. Unser Algorithmus ist für alle Altersstufen und für Schwangere freigegeben, er funktioniert auf dem persönlichen Smartphone. Die Nachfrage nach unserer mylife Loop Lösung ist enorm.
Die Rahmenbedingungen waren und sind nicht einfach. Wie haben sich die nach wie vor fragilen Lieferketten, Energiekrise und Inflation auf das Geschäft ausgewirkt?
Wir haben hochautomatisierte Fertigungsprozesse. Das schützt uns bis zu einem gewissen Grad vor inflationären Tendenzen. Ausserdem decken wir einen grossen Teil unserer Wertschöpfungskette integral ab. Das ist für uns ein sehr grundlegendes Prinzip, das wir seit unserer Gründung verfolgen. Dadurch sind wir unabhängiger und resilienter gegenüber Verzögerungen in der Lieferkette. Insofern können wir sagen, dass uns die anspruchsvollen Rahmenbedingungen in unserer Entwicklung nicht wesentlich beeinflusst haben. Nur so können wir auch unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Denn Menschen mit chronischen Krankheiten brauchen unsere Produkte und müssen sich auf uns verlassen können.
Sie haben mit den Insulinpumpen das Ziel von 30’000 Anwenderinnen und Anwendern erreicht, der Umsatz hat sich verdoppelt – allerdings hat das Ypsomed erneut viel Geld gekostet. Wie sehen Sie die weitere Entwicklung?
Wir sehen einen klaren Weg Richtung Profitabilität. Die Nachfrage nach unserem System zur automatisierten Insulindosierung ist gross. Wir haben jetzt ein Zeitfenster von ein bis zwei Jahren, in dem wir Alleinstellungsmerkmale haben. Es ist daher richtig, jetzt weiteres Geld in die Hand zu nehmen und den nötigen Grundstock an Anwenderinnen und Anwendern schnell aufzubauen. Gleichzeitig investieren wir weiter in die Forschung und Entwicklung, um die Belastung durch das Therapiemanagement für Menschen mit Diabetes weiter zu reduzieren. Gerade für betroffene Familien ist das eine grosse mentale Belastung. Jede weitere Funktion unseres Systems kann hier einen wichtigen Beitrag leisten und zu mehr Lebensqualität beitragen.
«Die Nachfrage nach unserem System zur automatisierten Insulindosierung ist gross. Wir haben jetzt ein Zeitfenster von ein bis zwei Jahren, in dem wir Alleinstellungsmerkmale haben.»
Simon Michel, CEO Ypsomed
Inwieweit ist das weitere Wachstum davon abhängig, dass Sie nach dem Rückzug von Eli Lilly schnell einen neuen US-Vertriebspartner finden?
Wir haben immer gesagt, dass der Markteintritt in die USA für uns ein Upside ist. Wir müssen Wachstum und Profitabilität in unseren etablierten Heimmärkten erreichen. Es ist jedoch klar, dass die USA als grosser Absatzmarkt eine wichtige, zusätzliche Opportunität für uns ist, die wir erfolgreich umsetzen wollen. Der Rückzug von Eli Lilly kam unerwartet. Das Unternehmen will noch mehr auf ihre erfolgreichen Medikamente fokussieren und hat entschieden nicht ins Geschäft mit Medizinprodukten einzusteigen. Aber wir sehen jetzt, dass uns dieser Entscheid neue Möglichkeiten bietet. Wir sind motiviert, in den kommenden Monaten diese neuen Möglichkeiten mit einem neuen Partner auszuloten.
Letzten Herbst haben Sie mit dem YpsoMate 5.5 eine Weltneuheit präsentiert. Mit dem Autoinjektor können grössere Medikamentenvolumen injiziert werden. Bei welchen Krankheiten kann er eingesetzt werden – und bis wann rechnen Sie mit der Zulassung?
Den Trend hin zu grösseren Volumina haben wir bereits länger beobachtet. Die Entwicklung für dieses Produkt war mit viel Grundlagenforschung verbunden. Wir sind stolz, dass wir damit gerade dabei sind, die Grenzen für die Selbstbehandlung zu verschieben. So können Autoinjektoren künftig neben Autoimmunerkrankungen und seltenen Krankheiten beispielsweise auch für die Krebsbehandlung zuhause verwendet werden.
Wichtig ist aber auch zu verstehen, dass wir in unserer Branche lange Zyklen haben. Das bedeutet, dass es vier bis fünf Jahre dauern wird, bis spezifische Medikamente in diesem grösseren Format auf dem Markt sein werden. Auf der anderen Seite erhalten wir dadurch die Möglichkeit, die Entwicklung unseres Portfolios mittelfristig verlässlich einzuschätzen.
«Wichtig ist aber auch zu verstehen, dass wir in unserer Branche lange Zyklen haben. Das bedeutet, dass es vier bis fünf Jahre dauern wird, bis spezifische Medikamente in diesem grösseren Format auf dem Markt sein werden.»
Der Trend zu flüssigen, biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln und Selbstmedikation treibt das Wachstum an. Sie erstellen neue Fabriken in Schwerin und in China, auch in Burgdorf ist die Zahl der Beschäftigten gestiegen. Wie herausfordernd ist es, die Produktionskapazitäten fortlaufend an die steigende Nachfrage anzupassen?
Automatisierung ist die Grundvoraussetzung um Produktionskapazitäten effizient skalieren zu können. Durch unsere integrierten und automatisierten Prozesse sind wir als eines der wenigen Unternehmen in unserer Branche prädestiniert, der schnell steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Das Wachstum nachhaltig zu gestalten, ist sicherlich eine grosse Herausforderung. Es ist richtig, dass wir unsere Wachstumsinvestitionen beschleunigt haben. Andererseits hat allein die Möglichkeit einen schnellen Kapazitätsaufbau anbieten zu können, einen Wert für unsere Pharmapartner, insbesondere in dem anspruchsvollen Umfeld von dem wir zu Beginn gesprochen haben.
Mir persönlich ist wichtig, dass wir uns als Ypsomed zum Werkplatz Schweiz bekennen. Auch wenn wir die Produktion regionalisieren, um unsere Kunden flexibler, effizienter und umweltfreundlicher zu bedienen, werden das Know-how und wesentliche Teile der Wertschöpfung immer in der Schweiz bleiben.
«Digitale Therapiemanagementsysteme bieten hier eine gute Unterstützung, um das Therapieergebnis nachhaltig zu verbessern.»
Sie beschäftigen fast 400 Mitarbeitende in Forschung und Entwicklung und investieren viel Geld in Innovationen. Welche Rolle spielt dabei über die reine Selbstmedikation hinaus die digitale Unterstützung?
Die grosse Herausforderung bei chronischen Krankheiten ist die Therapietreue. 50% der Medikamente werden nach einer gewissen Zeit nicht mehr therapiekonform eingenommen. Bei Diabetes kennen wir die Konsequenzen sehr gut. Ein schlecht gemanagter Diabetes zeigt seine Spätfolgen erst nach vielen Jahren, dann aber dramatisch. Rund zwei Drittel der volkswirtschaftlichen Kosten für Diabetes entstehen allein durch die stationäre Behandlung der Komplikationen von Diabetes im Spital. Dem müssen wir entgegenwirken.
Digitale Therapiemanagementsysteme bieten hier eine gute Unterstützung, um das Therapieergebnis nachhaltig zu verbessern. Wir setzen dabei auf evidenz-basierte Lösungen, die darauf abzielen das Verhalten der Betroffenen zu adaptieren, dadurch die Lebensqualität der Betroffenen nachweislich zu verbessern und gleichzeitig die finanziellen Belastungen für das Gesundheitswesen zu reduzieren. Die USA ist hier deutlich weiter als Europa. In Amerika wurde bereits erkannt, das sich die Investition in ein verbessertes Therapieergebnis langfristig rentiert. Insofern ist für mich klar, dass unsere Injektions- und Infusionssysteme digitaler und smarter werden müssen.
Um im digitalen Therapiemanagement weiterzukommen, investieren wir stark in Forschung und Entwicklung und haben vor zwei Jahren unser Software-Entwicklungs-Zentrum in Barcelona eröffnet. Über 60 Mitarbeitende arbeiten dort intensiv genau an diesen Themen.
Sie politisieren für die FDP. Die Liberalen im Solothurner Kantonsrat und kandidieren nun diesen Herbst für den Nationalrat. Was reizt Sie an diesem Mandat?
Ich bin seit sieben Jahren Mitglied des Kantonsrats Solothurn und kenne daher die politischen Prozesse gut. Parlamente sind Gruppierungen von Expertinnen und Experten, die mit ihrem spezifischen Wissen wichtige Beiträge in politischen Entscheidungen beitragen können. Dabei stelle ich fest, dass Unternehmen und Arbeitgeber generell massiv unterrepräsentiert sind. Das ist problematisch, weil es so vorkommen kann, dass Entscheide gefällt werden ohne die Konsequenzen auf die Wirtschaft mit ein zu beziehen. Das möchte ich ändern, nun auch auf nationaler Ebene. Ich möchte einen Beitrag für die positive Entwicklung unseres Landes leisten. Die Schweiz ist keine Insel, wir müssen die Bilateralen Verträge mit der Europäischen Union reaktivieren, im Bereich der Stromversorgungssicherheit endlich vorwärts machen, und das Gesundheitswesen effizienter gestalten. In diesen Bereichen arbeite ich gerne mit.
«Ich stelle fest, dass Unternehmen und Arbeitgeber in Parlamenten generell massiv unterrepräsentiert sind.»
Wie würden Sie Ihre berufliche Funktion und das politische Mandat unter einen Hut bringen?
Man ist immer nur so gut wie sein Team. Ich habe ein sehr gutes Team, auf das ich mich verlasse. Wir haben in den vergangenen anderthalb Jahren die unternehmerische Verantwortung breiter und tiefer in der Organisation von Ypsomed verankert. Dabei setzen wir auf ergebnisverantwortliche Einheiten, die agiler auf Marktbedürfnisse reagieren und unser erwartetes Wachstum organisatorisch einfacher verarbeiten können. In vielen Themen kann ich mich deshalb mittlerweile aus der Entscheidung zurückziehen. Ich bin überzeugt, dass ich Politik und Beruf sehr gut miteinander verbinden kann.
Herr Michel, wir bedanken uns für das Interview.