Simon Michel, CEO Ypsomed, im Interview

Simon Michel

Ypsomed-Konzernchef Simon Michel. (Foto: Ypsomed)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Michel, Ypsomed fokussiert sich auf Injektionssysteme und hat beschlossen, den Geschäftsbereich Diabetes Care zu verkaufen. Dies, obwohl das Geschäft im 4. Quartal des laufenden Geschäftsjahres die Gewinnschwelle erreichen dürfte. Was sind die Gründe für den Verkauf?

Simon Michel: Die beiden Geschäftsfelder Diabetes Care und Delivery Systems sind sehr unterschiedlich in ihrer industriellen Logik. Die Geschäftsfelder unterscheiden sich in Bezug auf Geschäftsdynamik, operativer Betrieb oder Kundenbeziehungen. Zudem haben sie ein sehr unterschiedliches Margenprofile. Wir sehen aktuell sehr starke Wachstumsmöglichkeiten mit unseren Pens und Autoinjektoren und investieren unsere verfügbaren Mittel lieber dort, wo wir höhere Margen erwirtschaften. Schliesslich sind wir überzeugt, dass die beiden Geschäfte allein besser funktionieren werden.

Bereits am 1. Dezember ist das Diabetes-Geschäft als eigenständiges Unternehmen aufgestellt worden. Bis wann erwarten Sie einen Verkaufs-Abschluss?

Ein Verkauf in dieser Grössenordnung und Struktur dauert in der Regel bis zum Abschluss eines Vertrages knapp ein halbes Jahr. Das wäre in unserem Fall im kommenden Frühling.

Der bereinigte Umsatz legte im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahr um fast 30 Prozent zu und auch das Betriebsergebnis kletterte deutlich auf 65,3 Mio Franken. Was hat das starke Wachstum angetrieben?

Wir haben das Privileg, Menschen mit chronischen Krankheiten zu helfen. Dabei erhalten wir von mehreren strukturellen Treibern starken Rückenwind. Diese Treiber sind nachhaltig: neue Medikamente müssen zum grössten Teil gespritzt werden und Biosimilars verbessern den globalen Zugang zu moderner medizinscher Versorgung. Unsere aktuellen Umsatztreiber sind daher breit aufgestellt: Einerseits Originator- und Nachahmerprodukte, anderseits Produkte für die westliche Welt und Entwicklungsländer. Wir sind für alle hier.

«Wir haben das Privileg, Menschen mit chronischen Krankheiten zu helfen. Dabei erhalten wir von mehreren strukturellen Treibern starken Rückenwind.»
Simon Michel, CEO Ypsomed

Im September letzten Jahres hat Ypsomed mit Novo Nordisk einen langfristigen Liefervertrag für grosse Mengen von Autoinjektoren abgeschlossen. Ab wann tragen diese zum Umsatz bei und welchen Anteil am Gesamtvolumen von Ypsomed werden sie haben?

Wir freuen uns nun auch mit Novo zusammen arbeiten zu können. Aber die Opportunität ist natürlich viel grösser als nur dieser eine Vertrag. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat schwere Fettleibigkeit vor drei Jahren als chronische Krankheit mit vielen Folgeschäden anerkannt. Sie entwickelt sich noch dramatischer als Diabetes. Analog zu Diabetes werden wir als Gesellschaft vielleicht erst in zehn Jahren das volle Ausmass dieser Pandemie erfassen können. Es gibt daher entsprechend viele Moleküle in der globalen Pharmapipeline. Wir haben davon bereits über 40 Projektverträge akquirieren können und laufend werden es mehr. Hinzu kommen über 150 abgeschlossene Projekte in der Entwicklungsphase in anderen medizinischen Indikationen. Daher gehen wir heute davon aus, dass der Umsatz mit dem dänischen Pharmakonzern 2030 weniger als ein Viertel ausmachen wird.

Autoinjektoren sind Injektionsgeräte, in deren Inneren eine Spritze verbaut ist. Der Inhalt der Spritze wird durch Auslösen einer vorgespannten Feder in wenigen Sekunden verabreicht. Wo liegen die Schwerpunkte der Weiterentwicklung der Produkte?

Wir sehen aktuell unsere grösste Herausforderung in der operativen Umsetzung des enormen Wachstums. Trotzdem müssen wir uns schon heute mit der Frage auseinandersetzen, wie unser Markt nach 2030 aussehen könnte, um heute die richtigen Weiterentwicklungen anzustossen. Die Vorlaufzeiten in unserer Industrie sind lang. Wir sehen hier namentlich drei Ebenen, auf denen wir aufsetzen: 1. Das Thema Nachhaltigkeit, 2. weitere Verbesserung des Injektionsprozesses unter anderem durch Digitalisierung, und. 3. Vereinfachung in der Industrialisierung, dem Hochfahren neuer Produktionskapazitäten.

«Wir sehen aktuell unsere grösste Herausforderung in der operativen Umsetzung des enormen Wachstums. Trotzdem müssen wir uns schon heute mit der Frage auseinandersetzen, wie unser Markt nach 2030 aussehen könnte, um heute die richtigen Weiterentwicklungen anzustossen.»

Sie haben fast 100 Mio. Franken in Sachanlagen investiert, besonders in den weiteren Ausbau der Kapazitäten für Autoinjektoren und Pens an den Schweizer Standorten, in Schwerin und in China. Im Oktober wurde eine neue Produktionshalle in Schwerin eingeweiht und bereits im Januar folgt der nächste Schritt mit dem Bau von Schwerin II. Welche Produktionskapazitäten schaffen Sie im Osten Deutschlands?

Wir bauen auf einer Fläche von 20 Hektaren eine zweite Fabrik der nächsten Generation mit über 50’000m2 Fläche. Neben unseren bekannten Prozessen Kunststoffspritzguss und Montage zu Injektionssystemen wird eine hochautomatisierte Intralogistik die Abläufe weiter vereinfachen. Dadurch werden wir Kapazitäten für weitere rund 500 Millionen Injektionsgeräte pro Jahr schaffen. Mit diesem Schritt werden wir auch unsere globale Kostenführerschaft weiter ausbauen.

Die deutsche Wirtschaft steckt in der Krise, politisch steht das Land die nächsten Monate still und im Osten Deutschlands inklusive Schwerin wird die AfD immer stärker. Wie schauen Sie auf die Entwicklung in Deutschland?

Wir sind sehr zufrieden mit unserem Standort im Nordosten von Deutschland. Wir finden dort sehr gute Voraussetzungen und werden mit offenen Armen empfangen. Wir haben zum Beispiel innerhalb von nur wenigen Monaten die Baubewilligung für unseren nächsten grossen Ausbauschritt Schwerin II erhalten. Wir finden auch die qualifizierten Mitarbeitenden, die wir für unser Wachstum brauchen. Man sieht den positiven Beitrag von wachsenden und prosperierenden Unternehmen wie uns und legt uns keine Steine in den Weg. Bezüglich Deutschland generell mache ich mir Sorgen. Die Ampelregierung ist gescheitert. Mit Überregulierung und Umverteilung kann man keinen Fortschritt und Wohlstand schaffen.

Sie haben im laufenden Geschäftsjahr über 200 neue Arbeitsplätze geschaffen, davon 111 in der Schweiz. Die Produktion der Pens und Autoinjektoren verläuft weitgehend automatisch. Wo kommen die neuen Mitarbeitenden zum Einsatz?

Ein Unternehmen mit über 20% Umsatzwachstum pro Jahr muss auch seine Organisation stärken um dieses Wachstum nachhaltig stemmen und umsetzen zu können. Industrialisierung in dieser Skalierung bleibt eine Herausforderung. Wir nehmen zwar durch Automatisierung den Menschen aus dem Produktionsprozess, wir brauchen aber trotzdem die richtigen Köpfe vor Ort, um die Prozesse zu installieren, zu steuern, zu überwachen und auch laufend zu verbessern. Wir planen in diesem Geschäftsjahr über 400 neue Stellen zu schaffen, eigentlich in allen Bereichen des Unternehmens.

Sie sitzen seit Herbst 2023 für die FDP im Nationalrat. Wie meistern die Mehrfach-Belastung?

Es ist eine Frage der Organisation und der Disziplin. Ich kann mich im Unternehmen wie in der Politik auf ein sehr gutes Team verlassen und darf das Verständnis meiner Familie geniessen. Bei Ypsomed ist der tägliche Betrieb ist in sehr guten Händen. Wir haben die organisatorischen Massnahmen dazu bereits vor über drei Jahren gesetzt und die operative Verantwortung an agile Teams übertragen. Die Geschäftsleitung hat losgelassen. Privat nehme ich mir gezielt Zeit für meine Familie. Aber es bleibt eine Herausforderung, bei der ich auch bewusst bei vielen Dingen Abstriche machen muss.

SRF bezeichnete Sie dieses Jahr als «einsamer Kämpfer für bessere Beziehungen zur EU». Empfinden Sie das auch so?

Überhaupt nicht. Auf der Gegenseite exponieren sich ja auch bloss 2 bis 3 Persönlichkeiten. Die Wirtschaftsverbände stehen grossmehrheitlich hinter dem Projekt. Der bilaterale Weg ist in der Schweizer Bevölkerung tief verankert. Nach wie vor unterstützen ihn über 70%. Ein 25-jähriges Vertragswerk benötigt nun endlich ein Update. Das ist normal. Gleichzeitig ist es äusserst wichtig, dass wir in geopolitisch anspruchsvolleren Zeiten die Beziehungen zu unseren engsten Nachbarn unter Wahrung unserer Souveränität stabilisieren und weiterentwickeln.

«Der bilaterale Weg erodiert langsam. Wie bei Typ 2 Diabetes werden wir den Schaden aber erst spüren, wenn der Fuss schon schwarz ist, und wir ihn amputieren müssen.»

Die Verhandlungen zu den «Bilateralen III» befinden sich in der Endphase. Man muss feststellen, das Schicksal des Rahmenabkommens ist ungewiss. Wie beurteilen Sie die Situation?

Wir verfügen heute über kein Rahmenabkommen. Wir verfügen heute nicht einmal über einen Streitschlichtungsprozess. Das ist eine der grossen Schwächen in der Zusammenarbeit mit der EU. Uns wurde aus politischen Gründen die Börsenäquivalenz entzogen und wir wurden vom wichtigen Forschungsprogramm Horizon ausgeschlossen. Das ist in Zukunft nicht mehr möglich, weil wir endlich institutionelle Spielregeln installieren. Für die exportierende Wirtschaft ist es enorm wichtig, dass wir die gegenseitige Anerkennung von Normen und Regeln noch besser automatisieren, damit wir unsere Produkte jederzeit diskriminierungsfrei im europäischen Binnenmarkt absetzen können. Das ist ohne Bilaterale nämlich nicht möglich. Wir brauchen endlich das Vertrags-Update. Der bilaterale Weg erodiert langsam. Wie bei Typ 2 Diabetes werden wir den Schaden aber erst spüren, wenn der Fuss schon schwarz ist, und wir ihn amputieren müssen. Wir müssen jetzt den Sack zumachen, dann können wir wieder für 25 Jahre arbeiten. Im Parlament werden wir uns mit dem Geschäft aber erst nach der Vernehmlassungsphase beschäftigen, also erst ab 2026, mit einem Entscheid in 2027. Danach sammeln wir die Unterschriften für eine Volksabstimmung in 2028. Die Schweizer Bevölkerung muss in diesem wichtigen Geschäft das letzte Wort haben.

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