Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Ruf, die Coronavirus-Welle dominiert die Schlagzeilen weltweit. Die Grenzen werden geschlossen, der Personenverkehr ist zum Erliegen gekommen, ebenso Teile der Wirtschaft. Welchen Einfluss hat das auf die Schweizer Exportwirtschaft?
Stefan Ruf: Die Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben werden gravierend sein, somit auch auf die Schweiz und die Schweizer Exportwirtschaft. Den exportierenden Firmen stellt sich die Herausforderung, dass aufgrund des Lockdown in den meisten Absatzländern die Nachfrage nach Schweizer Produkten so gut wie zum Erliegen gekommen ist.
«Die Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben werden gravierend sein, somit auch auf die Schweiz und die Schweizer Exportwirtschaft.» Stefan Ruf, CEO Euler Hermes Schweiz
Viele Schweizer Firmen aus der produzierenden Industrie haben zudem Schwierigkeiten ihre Supply Chain aufrechtzuerhalten und im bisherigen Rahmen produzieren zu können. Zusätzlich ist damit zu rechnen, dass es zu Zahlungsausfällen kommen könnte, weil ausländische Abnehmer über keine Liquidität mehr verfügen.
Welches sind aus Sicht Euler Hermes die grössten Risiken für die Exportwirtschaft und wie werden die sich im 2020 auswirken?
Grösstes Risiko für die Exportwirtschaft ist die globale Rezession. Davon sind insbesondere auch die Hauptabsatzmärkte der Schweiz wie das umliegende Ausland, die USA und China betroffen. Den Exporteuren stellt sich zudem die Frage, wie sie ihre Absätze inskünftig finanzieren und die Zahlungseingänge sicherstellen können.
Deutschland, das wichtigstes Exportland für die Schweiz, versucht mit einem ähnlichen Modell wie die Schweiz eine Balance bei den Massnahmen zu finden, um einerseits die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und andererseits die Wirtschaft nicht vollständig zum Erliegen zu bringen. Dennoch wird sich eine Rezession kaum verhindern lassen. Was heisst das für die Schweiz?
Die meisten Länder stehen vor der Herausforderung mit den Einschränkungen zur Gesunderhaltung der Bevölkerung das wirtschaftliche Leben nicht vollständig einzuschränken. Nichtdestotrotz werden wir im besten Falle mit minimal drei Monaten Lockdown rechnen müssen. Das führt auch in der Schweiz zu einem deutlichen Schrumpfen des Bruttosozialproduktes.
«Wir werden im besten Falle mit minimal drei Monaten Lockdown rechnen müssen. Das führt auch in der Schweiz zu einem deutlichen Schrumpfen des Bruttosozialproduktes.»
Wenngleich sich im zweiten Halbjahr 2020 das wirtschaftliche Leben wieder langsam entfalten sollte, können wir im besten Fall noch mit einem Nullwachstum für 2020 rechnen. Auch in der Schweiz werden wir vor allem im zweiten Halbjahr steigende Insolvenzzahlen und eine höhere Arbeitslosenquote haben.
Gerade die Versorgungslage bei den Medikamenten und Rohstoffen hat gezeigt, dass die Abhängigkeit von China (China und Indien liefern zum Beispiel 80% der Generika) auch ein Risikofaktor ist, wenn die Versorgung nicht mehr gewährleistet wird. Wie wird dieser Aspekt in Ihrem Report bewertet?
Nur schon diese zwei Beispiele zeigen, wie optimiert und filigran die Lieferketten sind. Es ist damit zu rechnen, dass als Konsequenz der Coronakrise und um dieses Risiko zu reduzieren, die Supply Chain verkürzt wird. Generell stellt sich die Frage inwieweit es eben doch in allen Bereichen gewisse Investitionen und Reserven braucht.
Vor allem die Exporte in die USA, die aktuell die meisten Fälle von Coronavirus-Infizierten aufweisen, haben in den letzten Jahren zugelegt. Welche Möglichkeiten sehen Sie, wegfallende Exporte in die USA in anderen Ländern zu kompensieren?
Im Moment kann dazu noch keine Aussage gemacht werden. Das hängt davon ab, in welchen Regionen die Pandemie am schnellsten eingedämmt wird, damit die wirtschaftliche Tätigkeit wiederaufgenommen werden kann. Für die USA erwarten wir ebenfalls massiv steigende Insolvenzen für das Jahr 2020, jedoch mit 7 Prozent deutlich geringerer Zunahme als im europäischen Raum mit 16% und in China mit 15% mehr Insolvenzen als im Vorjahr.
«Für die USA erwarten wir ebenfalls massiv steigende Insolvenzen für das Jahr 2020, jedoch mit 7 Prozent deutlich geringerer Zunahme als im europäischen Raum mit 16% und in China mit 15% mehr Insolvenzen als im Vorjahr.»
Die schon zuvor sich abzeichnende Tendenz hin zu mehr Protektionismus und weg von der Globalisierung wurde durch das Coronavirus nochmals verschärft. Was bedeutet das für den Schweizer Export, welche Chancen könnten sich in dieser Konstellation ergeben?
Für die exportorientierte Volkswirtschaft wird es auch in Zukunft entscheidend sein, Zugang auf die Weltmärkte, aber auch zum europäischen Binnenmarkt zu haben. Da sich aber die Lieferketten tendenziell eher verkürzen, ist eine Chance für Schweizer Exporteure, vermehrt Produkte ins nähere wirtschaftliche Umfeld zu liefern und damit Lieferanten wie den fernen Osten zu ersetzen. Dies setzt aber eine Einigung mit der EU voraus.
Wie gut sind Risikomanagement-Systeme in den Alltag der exportierenden Unternehmen integriert, welche Sektoren sind hier am weitesten, wo besteht Nachholbedarf?
Die Dynamik der Coronakrise hat gezeigt, dass das klassische Risikomanagement in den Firmen nicht genügt, um eine Krise in diesem Umfang frühzeitig zu erkennen und bewältigen zu können. Eine Schwierigkeit besteht insbesondere darin, dass es kaum Möglichkeiten zur Diversifizierung beispielsweise in andere Märkte gibt, weil Corona nahezu alle Länder dieser Erde gleichzeitig betrifft. Was gut funktioniert hat, ist das Business Continuity Management der Firmen, das ohne grössere Einschränkungen ihre Services auch unter erschwerten Bedingungen, wie zum Beispiel aus einer Homeoffice-Organisation erbringen kann.
«Eine Schwierigkeit besteht insbesondere darin, dass es kaum Möglichkeiten zur Diversifizierung beispielsweise in andere Märkte gibt, weil Corona nahezu alle Länder dieser Erde gleichzeitig betrifft.»
Auswirkungen auf das Riskmanagement sehe ich vor allem im strategischen Bereich: Wo und wie viele Reserven muss eine Firma bereithalten. Besonders hart betroffen in dieser Krise werden beispielsweise Firmen mit hohem Leverage-ratio sein.
Die Digitalisierung verspricht mehr Effizienz, intelligentere Lösungen und Systeme, welche über Vernetzungen und selbstlernende Algorithmen neue Möglichkeiten im internationalen Handel versprechen. Wo sehen Sie hier konkrete Beispiele, bei denen diese Versprechen schon eingelöst wurden?
Die Digitalisierung hat in dieser Krise durchaus ihre Vorteile gezeigt. Nur dank dem digitalen Fortschritt ist es möglich, dass viele Firmen auch im Dienstleistungsbereich ihre Tätigkeit aufrechterhalten können. Insofern erwarte ich, dass die Art und Weise der Erbringung der Arbeitsleistung oder auch die Absatzkanäle sich nach dieser Krise verändern werden.
Neue Technologien in internationalen Handel wie Blockchain werden wohl eher nach Bewältigung der Coronakrise wieder in den Vordergrund rücken. Aktuell steht die erhöhte Verwundbarkeit durch Cybercrime-Attacken im Vordergrund und es ist empfehlenswert sich davor zu schützen.
Welche technologischen, wirtschaftlichen oder politischen Entwicklungen sehen Sie, welche die Risiken der Exportwirtschaft wieder zum Sinken bringen könnten?
Im Moment dominieren konjunkturelle Risiken alles andere und treibt gleichzeitig weitere Risiken wie zum Beispiel das Delkredererisiko an. Solange die gesundheitliche Seite der Coronakrise nicht unter Kontrolle ist, wird die Weltwirtschaft nicht aus der Rezession finden, in die sie jetzt gerade hineinrutscht. Insofern muss ein politischer Konsens hergestellt werden zwischen der Stärke und Dauer der Einschränkungen und der Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit.
«Solange die gesundheitliche Seite der Coronakrise nicht unter Kontrolle ist, wird die Weltwirtschaft nicht aus der Rezession finden, in die sie jetzt gerade hineinrutscht.»
Welches sind die langfristigen Auswirkungen der aktuellen Krise auf das wirtschaftliche Leben?
Ich sehe fünf mögliche Folgen:
- Investitionen in das Gesundheitssystem gewinnen wieder an Bedeutung.
- China wird gestärkt aus der Covid-19-Zeit hervorgehen, da es die erste grosse Volkswirtschaft ist, welche die wirtschaftliche Tätigkeit wiederaufgenommen hat.
- Die Globalisierung wird abgebremst. Nach zwei Jahren negativer Erfahrung mit Handelskrieg und Coronavirus werden viele Firmen ihre Beschaffungswege verkürzen.
- Die Art und Weise der massiven und einschneidenden Art der Krisenbewältigung dürfte auch bei ähnlichen aktuellen und künftigen Schocks und Herausforderungen zur Anwendung kommen.
- Es stellt sich die Frage, wie das zukünftige Investitionsverhalten nach der Krise sein wird. Defensive Strategien dürften an Bedeutung gewinnen.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?
Erstens wünsche ich allen, dass sie gesund durch die aktuelle Zeit kommen und zweitens, dass die Dinge, welche uns in der Krise gestärkt haben auch darüber hinaus erhalten bleiben und uns zu Erfolg verhelfen.
Der Gesprächspartner: Stefan Ruf wurde am 1. April 2013 zum CEO der Euler Hermes Schweiz AG ernannt. Stefan Ruf begann seine Laufbahn 1992 bei der Schweizerischen Kreditanstalt Solothurn und absolvierte anschliessend eine langjährige Karriere in verschiedenen Führungspositionen im Corporate Business bei der Credit Suisse. Von 2006 bis 2013 war er Leiter der Abteilung „Special Products Leasing“ und gehörte dem Board of Directors der Credit Suisse Fleetmanagement AG an. Stefan Ruf hat Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Bern und Neuenburg studiert. Seit 2013 ist Stefan Ruf Vorstandsmitglied im Verband „Swiss Export“. In seiner Freizeit engagiert er sich als Präsident für die alljährlichen Powerman Duathlon Weltmeisterschaften in Zofingen. |