Stefano Artioli, VR-Präsident Artisa Real Estate AG, im Interview
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Artioli, unter Ihrer Führung hat sich die Artisa-Gruppe von den Ursprüngen als Metallbauunternehmen zu einem Immobilien-Unternehmen gewandelt. Welche Entwicklung wird Artisa in nächster Zukunft nehmen?
Stefano Artioli: Unsere Haupttätigkeit wird auch in Zukunft die Entwicklung von Wohneinheiten sein, die den Lebensgewohnheiten des Mittelstandes entsprechen. Dank unserer soliden Erfahrung entwickeln wir unsere Immobilien in Zukunft schneller und wachsen auch international.
«Mit der City Pop AG als Betreiberin werden wir den Wachstumsmarkt des Micro Livings europaweit schnell und kosteneffizient bedienen können.» Stefano Artioli, VR-Präsident Artisa Real Estate AG
Innerhalb der Gruppe bieten Sie die gesamte Dienstleistungskette von der Grundstückssuche, über den Bau als Generalunternehmerin bis zur Verwaltung der fertigen Immobilie an. Werden Sie das in Zukunft so beibehalten oder streben Sie eine Aufteilung und Spezialisierung an?
Die Stärke von Artisa liegt genau darin: Immobilienprojekte entwickeln, Bauprojekte durchführen und Liegenschaften verwalten – alles aus einer Hand. Zudem verfügen wir über ein exzellentes und erprobtes Netzwerk von lokalen Architekturbüros, Finanzpartnern, Bauunternehmen und Immobilienverwaltern. So optimieren wir die Zusammenarbeit für jedes Projekt.
Im Bereich Micro-Living spezialisieren wir uns tatsächlich. Mit unserer Gesellschaft City Pop AG als Betreiberin werden wir diesen Wachstumsmarkt europaweit schnell und kosteneffizient bedienen können.
Mit der Artisa Real Estate AG halten Sie ein Portfolio an Objekten im Umfang von ca. 700 Millionen Franken. Was ist die Strategie dieses Unternehmens, wie viele Objekte in diesem Portfolio sind schon realisiert, wie viel befinden sich in der Planungsphase und ist hier evtl. eine Publikumsöffnung geplant?
Die Strategie der Artisa Real Estate AG besteht darin, in den grossen Schweizer Agglomerationen Immobilienprojekte zu entwickeln in unseren Schwerpunkten nachhaltiges Wohnen, Wohnanlagen für das dritte und vierte Lebensalter und Mirco-Living. Momentan befinden sich drei Grossobjekte in Planung, zahlreiche weitere in der Bauphase. Allein Im Bereich Micro-Living bringen wir in den nächsten zwei Jahren 1’000 Appartements auf den Markt. Rund 30 Prozent unserer Immobilien bleiben in unserem Portfolio, 70 Prozent gehen an institutionelle Anleger. Going public? Wir strukturieren uns zurzeit, um für diese Option bereit zu sein.
Die Umsetzung der geplanten Objekte erfordert beträchtliche finanzielle Mittel. Wie werden Sie die Finanzierung bis zur Fertigstellung sicherstellen?
Über die Jahre haben wir mit unseren drei Leitsätzen bei institutionellen Partnern Glaubwürdigkeit und Vertrauen aufgebaut: Vision, Fokus und Umsetzungskraft. Zudem haben wir unsere Liquidität erhöht, indem wir einige Immobilien verkauft haben. Das erlaubt es uns, in neue Marktsegmente und Städte investieren zu können.
Sie haben einen Fokus auf Immobilien in Städten und dort in der Nähe guter Verkehrsanbindungen an die öffentlichen Verkehrsmittel. Gerade solche Grundstücke dürften zum einen sehr selten, zum anderen sehr teuer sein. Wie kommen Sie an interessante Grundstücke oder Objekte und welches Einkommenssegment sprechen Sie mit den fertigen Wohnungen an?
Wir kommen an interessante Grundstücke und Objekte, weil sie ein zentraler Bestandteil unseres Geschäftsmodells sind. Die Wohnungen, die wir anbieten, sollen zudem für den Mittelstand erschwinglich sein. Mittels «Reverse Engineering» suchen wir deshalb Grundstücke und Objekte, die es uns ermöglichen, diese Art Wohnraum zu kompetitiven Preisen auf den Markt zu bringen. So decken wir nicht nur das Business-Segment ab, sondern bieten Wohnraum für eine breite Zielgruppe, die allein wohnt und flexibel sein will. Der Erwerb von erschwinglichen und erfolgsversprechenden Grundstücken und Liegenschaften ist somit sehr wichtig für uns. Entsprechend viel investieren wir, um sie zu identifizieren.
«Die Wohnungen, die wir anbieten, sollen für den Mittelstand erschwinglich sein.»
Wir sind spezialisiert auf Grundstücke und Liegenschaften mit viel Potenzial, das aber nicht unmittelbar sichtbar ist. Das können zum einen Liegenschaften sein, die in Zonen liegen, deren Verwendungszweck in absehbarer Zukunft nicht mehr angemessen ist, die Liegenschaften also von Gewerbe- in Wohnzonen umgewandelt werden. Das können zum anderen Regionen sein, die in den kommenden Jahren eine starke Entwicklung erfahren oder Liegenschaften, die bald in der Höhe erweiterbar sein werden. Für die Erschliessung dieser Grundstücke und Liegenschaften setzen wir auf unsere leistungsfähige Datenbank und natürlich auf unser Netzwerk.
Eine spezielle Nische, die Sie pflegen ist das so genannte Micro-Living, kleinste Wohnungen und Appartements mit ca. 30 Quadratmetern Lebensraum für Einzelpersonen. Wie entwickelt sich dieses Segment, wie ist sichergestellt, dass in solchen Wohnformen nicht eine Vereinsamung stattfindet?
Bereits heute lebt beinahe die Hälfte der Bevölkerung von Schweizer Grossstädten in Einpersonenhaushalten. Aktuell sprechen wir landesweit von 1.3 Millionen Menschen und verlässliche Berechnungen zeigen, dass ihre Zahl bis 2030 um rund 16 Prozent steigen wird. Auch wenn nicht alle dieser Menschen in Micro-Living-Apartments leben werden: Viele werden es tun, auch weil zentrumsnaher Wohnraum knapp ist, die Nachfrage dafür aber steigt. Aber sie haben Recht, frühere Konzepte von Micro-Living zielten auf eine Nische: Business-Leute, die eine ausgestattete Wohnung für einen kurzen Zeitraum – zwei bis drei Monate – suchten. Tatsächlich barg und birgt dieses Modell ein beträchtliches Risiko der Vereinsamung.
«Wir setzen konsequent auf digitale Lösungen, die rund um die Uhr und mit wenig Personal funktionieren.»
Wir bringen einen globalen Paradigmenwechsel in dieses Segment: Tiefe Preise und eine Reihe von „à la carte“-Dienstleistungen, die auf digitalem Weg schnell und unkompliziert buchbar sind. Unsere Micro-Living-Apartments eignen sich auch für längere Aufenthalte bis zu einem Jahr und sprechen eine sehr heterogene Zielgruppe an. Zudem bieten wir Raum für Begegnungen, eine virtuelle Haus-Community sowie Food- und Fitnessräume als auch Co-Working-Spaces. Damit sorgen wir dafür, dass sich unsere Mieterschaft sofort wohl fühlt und eine Gemeinschaft wird.
Die Vermietungsdauer der Mini-Appartements bewegt sich in der Regel zwischen zwei Monaten bis zu einem Jahr. Das bedeutet tendenziell auch einen höheren Verwaltungsaufwand. Wie wirkt sich das auf die Preisgestaltung aus, wie konkurrenzfähig ist diese Mietform zu den vorhandenen Kleinwohnungen?
Auch hier unterscheiden sich unsere Micro-Liegenschaften von früheren Konzepten: Bei uns können Apartments auch für wenige Wochen gebucht werden. Wir wussten von Anfang an, dass unser Konzept nur mit tiefen Verwaltungskosten funktionieren kann. Die Verwaltung aber verlässlich und reibungslos funktionieren muss. Deshalb setzen wir konsequent auf digitale Lösungen, die rund um die Uhr und mit wenig Personal funktionieren. Unser Booking-System läuft weitestgehend automatisiert: Unsere Kundinnen und Kunden buchen personalisierte Angebote, checken selbstständig ein und aus, erteilen Freunden, sowie Reinigungs- und Hauslieferdiensten Zugang zum Appartement – und das alles per App. So halten wir die Betriebskosten tief und gewährleisten einen reibungslosen Service.
Wie gut eignet sich das Konzept der Mini-Appartements zur Umsetzung in ausländischen Städten und welche Städte wären zuoberst auf einer Realisierungsliste?
Micro-Living ist in den meisten europäischen Städten auf dem Vormarsch. In zahlreichen Grossstädten wohnt bereits heute eine von zwei Personen allein, in Stockholm sind es gar rund 60 Prozent. Das sind alles potentielle Micro-Living-Kunden. Ganz oben auf unserer Liste stehen Deutschlands sieben Top-Standorte und einige Universitätsstädte wie Aachen oder Nürnberg. In Italien setzen wir auf Mailand, in Frankreich auf Paris und in Grossbritannien auf London. In Polen sind es Warschau und Poznań und wir planen bald in Wien zu sein.
«In den nächsten fünf Jahren planen wir Investitionen in der Höhe von rund 3 Milliarden Euro im Bereich Micro-Living.»
Wir analysieren laufend weitere Städte, in Spanien z.B. Madrid, Barcelona, Valencia und Bilbao. In den nächsten fünf Jahren planen wir Investitionen in der Höhe von rund 3 Milliarden Euro im Bereich Micro-Living. Europaweit sollen bis dann 15’000 Apartments entwickelt und bewirtschaftet werden, 7’000 davon in Deutschland.
Ein weiteres Segment, auf das Sie sich mit der Artisa-Gruppe fokussieren, ist das Wohnen im dritten und vierten Lebensalter. Welche Altersgruppe möchten Sie hier genau adressieren und welche speziellen Leistungen werden hier erbracht?
Es ist ein demographischer Fakt, dass der Anteil älterer Menschen in unserer Gesellschaft steigt. Zudem sind Menschen im dritten und vierten Lebensalter dank medizinischen Fortschritten länger fit und bedürfen nur in bestimmten Bereichen der Pflege. Das führt zu einer grossen Lücke zwischen traditionellem Wohnen ohne Dienstleistungen und der Rundum-Pflege in einer Altersresidenz. Mit unseren Wohnanlagen für das dritte und vierte Lebensalter füllen wir diese Lücke. Wir arbeiten eng mit unserem Partner Tertianum zusammen, der unsere Wohnungen seniorengerecht konzipiert und der Mieterschaft Dienstleistungen wie Pflege- und Reinigungsdienste oder ein medizinisches Zentrum zur Verfügung stellt.
Gerade ältere Leute schätzen auch die Stimulans einer Umgebung mit jüngeren Leuten. Wie funktioniert das beim Bau von Senioren-Residenzen, wie kann hier ein Alters-Durchmischung zustande kommen?
Wir integrieren unsere Wohnstrukturen für Senioren meist in eine dörflich-urban anmutende Wohnüberbauung, in welcher auch jüngere Generationen leben. Weil diese um die Ecke wohnen, kommen die Senioren in den Genuss belebender Begegnungen, was ihre Lebensqualität zusätzlich steigert. Zu dieser tragen natürlich auch seniorengerechte Dienstleistungen bei, die wir gerne vermitteln. Für Menschen im höheren Lebensalter wird regelmässig geputzt und gekocht, man macht für sie ärztliche Termine aus und begleitet sie ins Medical Center, das im selben Wohnblock liegt. Daraus ergibt sich interessanterweise die Tendenz, eine Art öffentliche Gemeinschaft am Wohnort zu bilden – einzelne Wohnüberbauungen entwickeln dörfliche Strukturen.
Welche Entwicklungen im Immobilienbereich sind für die Expansion der Artisa-Gruppe am bedeutendsten bezüglich Risiken und Chancen?
Wie für alle Immobilienentwickler stellt die Erhöhung des Leitzinses auch für uns ein Risiko dar. Zudem müssen wir in den nächsten Jahren schnell genug wachsen, damit wir eine bessere Rentabilität als die Konkurrenz gewährleisten können. In diesem Rennen haben wir mit unserem Wachstum in der Schweiz, in Deutschland und dem übrigen Europa eine gute Ausgangslage.
«Wie für alle Immobilienentwickler stellt die Erhöhung des Leitzinses auch für uns ein Risiko dar.»
Chancenerhöhend wirkt auch unsere mehrfach bewiesene Fähigkeit, schnell grossskalierte Projekte zu realisieren. Menschen leben in Zukunft individualisierter, flexibler und erfahrungsorientierter. Diesen Trends entsprechen unsere Immobilien in hohem Masse.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei, wie sehen die aus?
Vielleicht ändert sich das noch, aber auf meinem bisherigen Weg als Immobilienentwickler haben mir Wünsche nicht viel geholfen. Vielmehr waren es die richtige Vision, eine akribische Planung und die Fähigkeit, Möglichkeiten zu erkennen und fokussiert zu realisieren, die das Wachstum unserer Gruppe bestimmt hat.
Aber doch, einen früheren Wunsch erfülle ich mir gerade: Bald erhebt sich in Zürich der erste Artisa-Tower, der für Stil und gutes Wohnen steht. Dieser frühere Wunsch ist nun bald Realität. Mit dem gleichen Ansporn und Engagement wenden wir uns jetzt anderen europäischen Städten zu. Mein Traum ist, dass in ein paar Jahren in jeder dieser Grossstädte ein Artisa-Tower steht.
Das Unternehmen:
Die Artisa Group plant und handelt langfristig – seit 50 Jahren. Was 1968 mit der von Franco Artioli gegründeten Metallbau-Unternehmung begann und später von Stefano Artioli ausgeweitet wurde, weist eine mit den Jahren gewachsene Solidität auf. Der Blick von Stefanos Sohn Alain wiederum ist auf die Zukunft gerichtet. Einen Entwicklungssprung vollzog Artisa im Jahr 2000: Die Firma gab sich zeitgemässe Management-Strukturen. So wurden unternehmerische Kräfte für ein neues Feld frei, nämlich für den Immobilienbereich. Dieser hat sich seit 2010 zum erfolgreichen Kerngeschäft der Artisa Group entwickelt.