Stephan Mumenthaler, Direktor von scienceindustries, im Interview

Stephan Mumenthaler, Direktor von scienceindustries (Bild: scienceindustries)

Von Helmuth Fuchs

Moneycab: Herr Mumenthaler, Chemie und Pharma machen rund die Hälfte des Exportvolumens der Schweiz aus (wovon rund die Hälfte in die EU gehen) und sind die grössten Investoren in Forschung und Entwicklung. Welche Rahmenbedingungen sind entscheidend, damit ihre Mitglieder auch in Zukunft und vermehrt in der Schweiz investieren?

Stephan Mumenthaler: Die Schweiz muss als Standort der ganzen Wertschöpfungskette entlang attraktive Rahmenbedingungen bieten: einen forschungsfreundlichen Standort, einen attraktiven Binnenmarkt sowie einen wettbewerbsfreundlichen Produktions- und Unternehmensstandort. Dazu sollten regulatorische Hürden, zum Beispiel im Bereich der Zulassung von neuartigen Arzneimitteln, für die Digitalisierung im Gesundheitswesen oder für innovative Methoden in der Biotechnologie abgebaut werden, um weiterhin eine internationale Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten zu können.

Die für die wirtschaftliche Zukunft der Schweiz wichtigen Beziehungen zur EU sind Gegenstand der aktuellen Verhandlungen in Brüssel. Welche roten Linien zieht Ihr Verband, wo liegen aus Ihrer Sicht die grössten Chancen und Risiken?

Mit Blick auf die Verhandlungen über die Bilateralen III ist für scienceindustries zentral, dass die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen («Mutual Recognition Agreement») erhalten bleibt. Diese erleichtert den Marktzugang, verhindert administrativen Leerlauf und spart somit erhebliche Mehrkosten. 

«Ein Scheitern der Verhandlungen mit der EU könnte zu neuen Handelshemmnissen und administrativen Hürden führen, was die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizerischen Chemie- und Pharmaindustrie stark beeinträchtigt.» Stephan Mumenthaler, Direktor von scienceindustries

Unsere forschungsintensiven Industrien sind zudem auf hochqualifizierte ausländische Fachkräfte angewiesen. Wir unterstützen deshalb weiterhin die Personenfreizügigkeit, wenn möglich mit einer Konkretisierung der Schutzklausel. Migration ist nämlich gleichzeitig für die innenpolitische Akzeptanz das grösste Risiko. Ausserdem ist die internationale Forschungskooperation für unsere Industrien von Bedeutung, weswegen eine Rückkehr zu einer vollständigen Teilnahme der Schweiz am wichtigsten europäischen Forschungsprogramm Horizon Europe angestrebt werden muss.

Was würde ein Scheitern der Verhandlungen mit der EU bedeuten, welche Konsequenzen sehen Sie, welche möglichen Massnahmen, um den negativen Auswirkungen entgegenzuwirken?

Ein Scheitern der Verhandlungen könnte zu neuen Handelshemmnissen und administrativen Hürden führen, was die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizerischen Chemie- und Pharmaindustrie stark beeinträchtigt. So würde beispielsweise ein Wegfall des Abkommens über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) oder nur schon ein Einfrieren dieses Abkommens einen erheblichen administrativen und finanziellen Mehraufwand für Schweizer Unternehmen nach sich ziehen.

Aber auch Konsumentinnen und Konsumenten spürten das beim Einkauf von Bioziden. Weil ohne das MRA für den vergleichsweise kleinen Schweizer Markt dann ein Zulassungsverfahren durchlaufen werden muss, wären die Produkte, vom Antimückenspray bis zum Baddesinfektionsmittel aus europäischer Produktion, erheblich teurer oder gar nicht mehr erhältlich. Ein Scheitern könnte auch nicht so einfach weggesteckt werden. Die Schweiz versucht ohnehin schon heute, auch den Zugang zu anderen Märkten mit Freihandelsabkommen zu verbessern. Rein quantitativ können diese aber den wichtigsten Markt Europa nicht ersetzen.

Während Umweltschutzverbände den Verlust von Biodiversität, die Belastung von Böden und Trinkwasser beklagen, fordert scienceindustries als Wirtschaftsverband der Chemie, Pharma und Life Science eine beschleunigte Zulassung für biologische und konventionelle Pflanzenschutzmittel in der anstehenden Revision der Pflanzenschutzmittelverordnung (PSMV). Wie weit oben auf der Prioritätenliste stehen Biodiversität und Umweltschutz bei scienceindustries, mit welchen Massnahmen unterstützen Sie die beiden Themen?

In unserer jüngst verabschiedeten Nachhaltigkeitsstrategie haben sich die Mitglieder von scienceindustries zum Engagement für Umwelt und Gesellschaft bekannt. Biodiversität und Umweltschutz sind dabei zentrale Anliegen. Den Erhalt der Biodiversität sieht scienceindustries als Grundvoraussetzung für soziale und wirtschaftliche Entwicklung sowie für das Überleben der Menschheit. Deshalb setzen sich die Mitglieder von scienceindustries für den Schutz der Biodiversität sowie deren nachhaltige Nutzung ein.

«Den Erhalt der Biodiversität sieht scienceindustries als Grundvoraussetzung für soziale und wirtschaftliche Entwicklung sowie für das Überleben der Menschheit.»

scienceindustries und seine Mitglieder setzen zudem seit den 1990er Jahren die internationale Initiative Responsible Care® in der Schweiz um mit dem Ziel kontinuierlicher Verbesserungen in Umweltschutz, Gesundheit und Sicherheit.

Die Schweiz gehört zu den innovativsten und wettbewerbsfähigsten Ländern, hat die meisten Patentanmeldungen pro Kopf. Was muss getan werden, damit diese Position gehalten werden kann, wo sehen Sie die grössten Treiber für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit?

Die grössten Treiber für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit sind der Schutz des geistigen Eigentums, eine offene und technologieoffene Regulierungsumgebung und die Förderung der Digitalisierung.

Es ist zentral, dass die Rahmenbedingungen für den Erwerb und die Durchsetzung von Rechten am geistigen Eigentum sowohl auf internationaler wie auf nationaler Ebene intakt bleiben. Der Patentschutz ermöglicht innovativen Unternehmen, die hohen Investitionskosten zu tragen, die für Forschung und Entwicklung notwendig sind.

Umwelt und Klima sind Themen, welche, bei einer immer noch wachsenden Weltbevölkerung, für den Wohlstand der Menschheit von zentraler Bedeutung sind. Die grossen Pharma- und Chemieunternehmen können eine entscheidende Rolle spielen. Welche Leuchtturmprojekte gibt es, bei denen Chemie- und Pharmaunternehmen den Weg zu massentauglichen Ansätzen aufzeigen?

Nachhaltigkeit ist ein Kernanliegen der chemisch-pharmazeutischen Industrie, dies zeigt auch die anlässlich der letzten Generalversammlung lancierte Nachhaltigkeitsstrategie, die sich unter anderem an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen orientiert.

«Die grössten Treiber für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit sind der Schutz des geistigen Eigentums, eine offene und technologieoffene Regulierungsumgebung und die Förderung der Digitalisierung.»

Mit der Erforschung von innovativen Technologien und nachhaltigen Produktionsmethoden leisten unsere Mitgliedsunternehmen einen entscheidenden Beitrag zur Lösung. Dies zeigt auch die Vielfalt an neuen Projekten im Bereich Nachhaltigkeit, welche eigenständig von unseren Mitgliedsunternehmen lanciert werden – sei es im Bereich der Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung, der Ermöglichung von Kreislaufwirtschaft oder der Nutzung von erneuerbaren Energien.

Chemie, Pharma und LifeScience haben eine sehr aktive Startup-Szene. Welche Unterstützung bietet scienceindustries Gründerinnen und Gründern?

Mitglieder von scienceindustries profitieren von einer Vielzahl an Dienstleistungen und Mitwirkungsmöglichkeiten. Exportorientierte Unternehmen erhalten beispielsweise erleichterten Zugang zu Exportrisiko-Versicherungslösungen. Durch den Fachaustausch in verschiedenen Gremien und Arbeitsgruppen gewinnen sie zudem wertvolle Einblicke in branchenspezifische Entwicklungen.

Im Bereich des regulatorischen Umfeldes können Mitglieder ihren Interessen einbringen und Stellungnahmen des Verbandes in Vernehmlassungen aktiv mitgestalten. Sie profitieren von den regelmässigen Kontakten des Verbandes mit politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern.

Wie beurteilen Sie die Schweiz als Gründungsstandort im internationalen Vergleich, welches sind die wichtigsten Massnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit?

Die Wettbewerbsfähigkeit der chemisch-pharmazeutischen Industrie der Schweiz gehört zu den höchsten der Welt. Der von BAK Economics im Auftrag von scienceindustries veröffentlichte Global Industry Competitiveness Index (GICI) misst die Wettbewerbsfähigkeit in vier Domänen: «Performance», «Marktstellung & Leistungsfähigkeit», «Innovation & Technologieführerschaft» sowie «Standortqualität». Die Schweiz lag 2023 auf dem dritten Rang nach Irland und den USA.

«Die Wettbewerbsfähigkeit der chemisch-pharmazeutischen Industrie der Schweiz gehört zu den höchsten der Welt.»

Zu den Faktoren, die die Wettbewerbsfähigkeit beeinflussen, gehören insbesondere auch die Rolle der Regulierungen. Seitens der chemisch-pharmazeutischen Industrie ist es zentral, dass Regulierungen die Unternehmen nicht behindern, sondern befähigen, einen relevanten Beitrag zu den grossen Herausforderungen unserer Zeit zu leisten.

Künstliche Intelligenz, Roboter, selbstlernende Algorithmen: Die digitale Transformation verändert das Arbeitsumfeld auch bei Ihren Mitgliedern nachhaltig. Was sind aus Ihrer Sicht die bedeutendsten positiven und negativen Auswirkungen, wo können Sie Unterstützung bieten?

Die Digitalisierung bestimmt heute zunehmend das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben. Auch im Gesundheitswesen hat die Thematik Einzug gehalten und soll inskünftig erhebliche Vorteile, von Effizienzvorteilen bis hin zu Verbesserung der Gesundheitsleistungen, bringen. scienceindustries spricht sich für ein beschleunigtes Vorgehen in der Digitalisierung insbesondere im Gesundheitswesen aus. Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger, Patientinnen und Patienten sowie der generellen Gesundheitsversorgung muss das Thema hohe Priorität geniessen und das Tempo in der Umsetzung gerade dieser Digitalisierungsbestrebungen dringend beschleunigt werden.

Die Schweiz tut sich bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens (elektronisches Patientendossier, elektronische Identität und Signatur) sichtbar schwer. Welche Auswirkung hat das auf die Rolle der Schweiz als Forschungsstandort für Ihre Mitglieder?

Ein fehlendes digitales Ökosystem erschwert den Zugang zu wichtigen Gesundheitsdaten und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren. Dies kann die Entwicklung neuer Therapien und Technologien verzögern. Um dem entgegenzuwirken, spricht sich scienceindustries für ein beschleunigtes Vorgehen in der Digitalisierung im Gesundheitswesen aus. Soweit dieses Ziel mit dem Elektronischen Patientendossier EPD erreicht werden kann, begrüsst scienceindustries grundsätzlich die Weiterentwicklung des EPD. Es muss jedoch schneller und vor allem koordiniert vorwärts gehen.

Im auch für ihre Branchen entscheidenden MINT-Bereich (Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und Technik) fehlen in der Schweiz massiv Nachwuchskräfte, vor allem auch Frauen. Welchen Beitrag leistet scienceindustries, um mehr junge Menschen für die MINT-Fächer zu begeistern und dann diese auch noch in der eigenen Branche zu halten?

Seit 2008 engagiert sich scienceindustries mit der Initiative SimplyScience dafür, das Interesse von Kindern und Jugendlichen an Naturwissenschaften und Technik zu wecken. Das Ziel der SimplyScience Stiftung ist es, das Verständnis für naturwissenschaftlich-technische Fragen zu fördern und über verschiedene Ausbildungsmöglichkeiten zu informieren.

SimplyScience stellt für die Primar- und Sekundarstufe I diverse Experimentierkoffer kostenlos zur Verfügung und organisiert Weiterbildungen für Lehrpersonen. So erhalten in der Schweiz jedes Jahr mehrere tausend Kinder und Jugendliche in den Schulen einen praktischen Zugang zu den sonst eher theoretisch unterrichteten Naturwissenschaften. Eine reichhaltige Webseite mit über einer Million Besuchern pro Jahr sowie Klassenwettbewerbe und Messeauftritte runden das Programm von SimplyScience ab.

Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei. Wie sehen die aus?

Mein erster Wunsch ist, dass die Schweiz und die EU zu einer stabilen und langfristigen Einigung kommen, die den gegenseitigen Marktzugang erleichtert und die wirtschaftliche Zusammenarbeit stärkt. Mein zweiter Wunsch ist, dass die Rahmenbedingungen für Innovation und Digitalisierung weiter verbessert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit und Nachhaltigkeit unserer Industrie langfristig zu sichern.


Stephan Mumenthaler bei Linkedin

scienceindustries


Dieses Interview wurde mit der Unterstützung des Swiss Green Economy Symposiums erstellt.

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