Von Arthur K. Vogel
Tanja Frieden, Sie sind ausgebildete Lehrerin und Coach sowie ehemalige Snowboard-Olympiasiegerin. Jetzt coachen Sie neben Spitzensportlerinnen und Sportlern unter anderem auch Führungskräfte der Wirtschaft. Welche Rolle spielt die Olympiamedaille bei Ihrer Arbeit?
Tanja Frieden: Natürlich hat mir die Goldmedaille viele Möglichkeiten eröffnet. Hingegen wird man oft in ein Schema gepresst, gerade als Vertreterin einer «jungen», noch nicht etablierten Sportart. Ich wurde mehrmals gefragt, ob ich denn beruflich auch «etwas Richtiges» gelernt hätte.
«Ich stellte ein ganzes Team an, führte die Leute, kümmerte mich ums Sponsoring, ging finanzielle Risiken ein. Spitzensport bedeutete für mich gleichzeitig Vollgas-Unternehmertum.» Tanja Frieden, Transformations- und Energy Coach, ehemalige Spitzensportlerin
Ihr «junger» Sport besass damals, anders als etablierte Sportarten, noch kaum Strukturen. Sie musste vieles selbst erarbeiten. Waren Sie schon damals Unternehmerin?
Ich wurde 1997 mit den ersten Starts im Weltcup zur Spitzensportlerin. Und tatsächlich musste ich alles selbst organisieren: Ich stellte ein ganzes Team an, führte die Leute, kümmerte mich ums Sponsoring, ging finanzielle Risiken ein. Spitzensport bedeutete für mich gleichzeitig Vollgas-Unternehmertum.
Als Spitzensportlerin ist man permanent damit beschäftigt, Ängste und Zweifel zu überwinden, die Motivation hochzuhalten und die Kräfte so zu verwalten, dass sie im richtigen Augenblick abrufbar sind. Haben Sie sich während Ihrer Sportkarriere selbst coachen lassen?
Ja, ich habe immer Leute um mich gehabt, die schon dort waren, wo ich hinwollte. Ich habe etliche Methoden erlernt, um meine Leistungsfähigkeit zu optimieren. Diese Methoden, die nicht selten unkonventionell und für Aussenstehende vielleicht wenig nachvollziehbar wirkten, halfen mir, Ruhe in meinen hektischen Alltag zu bringen, Prioritäten zu erkennen, meine Kräfte zu aktivieren und zielgerichtet einzusetzen.
Führungskräften ebenso wie Sportlerinnen und Sportler haben oft Angst zu scheitern, zu verlieren, entmachtet, entthront zu werden. Kann man solche Ängste in Stärken umwandeln?
Erfolg heisst nicht, keine Probleme zu haben und stets zu siegen. Erfolgreich ist, wem es gelingt, am besten mit Störungen umzugehen. Ich selber habe das auch aus Schmerzen und Niederlagen gelernt. Beispielsweise erlitt ich mit 17 einen epileptischen Anfall. Da erkannte ich, dass der Körper Probleme gnadenlos signalisiert. Ich hatte gerade ins Lehrerseminar gewechselt und hatte das Gefühl, allein auf der Welt zu sein. Es war schwierig, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Doch was ich dabei lernte, kam mir später sehr zugute. Genau diese Fähigkeit, sich Ziele zu setzen und sie trotz aller Hürden zu erreichen, will ich bei meinen Kunden wecken. Das Schlimmste ist nicht die Niederlage. Das Schlimmste ist, etwas Wichtiges gar nicht erst zu versuchen aus Furcht vor dem Scheitern.
Wer lässt sich von Ihnen coachen, und aus welchen Gründen?
Leute, die ihrem Herzensziel folgen wollen, sogar wenn dieses verrückt erscheinen mag. Sehen Sie, wir leben in der heutigen Gesellschaft grundsätzlich verkehrt: Eigentlich sollte das Herz dominieren und der Kopf ihm dienen. Heute haben wir den Kopf zu Chef gemacht. Doch es geht nicht um das «Immer höher, immer besser, immer schneller». Es geht um Erfüllung.
«Das Schlimmste ist, etwas Wichtiges gar nicht erst zu versuchen aus Furcht vor dem Scheitern.»
Oft haben Leute, die sich von mir coachen lassen, äusserlich alles: Zufriedenheit, Ruhm, Geld. Sie arbeiten viel und erreichen viel. Aber dann decken wir grosse Diskrepanzen zwischen dem äusseren Leben und den Herzenszielen auf.
Welches könnten denn die Herzensziele von Managern sein?
Nicht selten kommen Leute in hohen Positionen, die des permanenten Drucks überdrüssig sind, sich selbst beruflich «downgraden» und dafür mehr Zeit für sich, für Ihre Familien, für Sport und Hobbys haben wollen. Aber allein schaffen sie diesen Schritt nicht, weil der Druck von aussen und die Erwartungshaltung der anderen immens sind. Dann begleite ich auch Leute, die sich selbständig machen wollen, die aber nicht wirklich an sich glauben und Vorwände gegen diesen Schritt vorbringen.
Sie sprechen vom «Pegasus-Mindset» als eine Ihrer Methoden. Was ist das genau?
Der Pegasus, das geflügelte Pferd aus der griechischen Mythologie, ist eine Figur mit ausserordentlichen Fähigkeiten und gilt gleichzeitig als Quelle der Weisheit. Ein derartiges Mindset braucht es, um verrückte Herzensziele zu erreichen. Pegasus ist mein Premium-Angebot, eine Begleitung, die rund acht Monate dauert, und bei der ich mein ganzes Wissen und meine mentalen Fähigkeiten vermitteln kann.
Und genau dafür war Ihre Sportkarriere entscheidend?
Ja, ich musste das alles erarbeiten. Das ewige Vergleichen, der Druck, den ich mir selber machte, die Ängste führten dazu, dass mein Körper mit Magenproblemen, Schlafproblemen, Verletzungen, Entzündungen reagierte. Ich musste meine Energiefresser loswerden, meine Ressourcen gezielt einsetzen und mich selbst heilen. Heute kann ich aus 14 Jahren Spitzensport, bisher zwölf Jahren als Unternehmerin und meiner Berufung als Transformations-Coach schöpfen. Beispielsweise bin ich motiviert, mich selbst zu verbessern, wenn ich als Sportler eine Niederlage mit der Stärke des Gegners begründe und nicht mit dem eigenen Versagen. Dasselbe gilt für die Wirtschaft und das Arbeitsleben. Wer einmal gelernt hat, Sieg und Niederlage zu akzeptieren und sich im Sieg nicht über den Verlierer zu erheben, wird auch immun gegen Minderwertigkeitsgefühle in der Niederlage.
Wer ist bereit, sich einem solch intensiven Coaching auszusetzen, und was ist das Ziel?
Leute, die den Hunger haben, mehr für sich zu entdecken. Leute, die in der Öffentlichkeit stehen. Die sich Fragen stellen: Wie kann ich mich selber leben? Wie kann ich aus dem Zentrum, dem Herz heraus arbeiten? Ich will sie beflügeln, den inneren Frieden zu finden. Sich über ihre Ziele bewusst zu werden, Niederlagen in Energie umzuwandeln, sich zu fokussieren und zu entspannen. Pegasus ist sozusagen der Schlüssel zu Olympia-Gold.
Den inneren Frieden finden, sagen Sie: Dafür haben Sie zufälligerweise den richtigen Namen und nennen Ihr Angebot folglich auch «Friedensacademy».
Ja, wer den inneren Frieden findet, trägt auch zu einer friedlicheren Welt bei.
«Die Idee, darauf zu warten, bis alles wieder ist wie vor der Pandemie, halte ich für seltsam. Es gibt keinen Weg zurück, nur einen Weg vorwärts.»
Ein anderes Thema: Haben Sie die Erfahrung gemacht, dass die COVID-Pandemie sich auf das Leben von Schweizerinnen und Schweizern ausgewirkt hat?
Die Pandemie hat jedes Problemakzentuiert. Wenn eine Firma schon vor Corona ein Thema hatte, wurde das noch verstärkt. Auch innere Probleme, Ängste, Sorgen – Themen also, die schon vorher nach Transformation schrien. Vermeintliche Gewissheiten kamen ins Wanken. Angst um den Job oder sogar Jobverlust traten auf, finanzielle Sorgen, Belastung durch Homeoffice und Homeschooling und damit verbundener Stress innerhalb der Familie, Vereinsamung und natürlich gesundheitliche Sorgen.
Denken Sie, dass die Pandemie langfristige Veränderungen verursacht hat bzw. verursachen wird?
Die Idee, darauf zu warten, bis alles wieder ist wie vor der Pandemie, halte ich für seltsam. Es gibt keinen Weg zurück, nur einen Weg vorwärts. Und genau darauf richte ich meine Begleitungaus: auf den Umgang mit neuen Situationen, die Überwindung mentaler Blockaden, das Erreichen scheinbar unmöglicher Herzensziele.
Sie empfangen Klienten am Thunersee, in einem Chalet auf dem Gelände des Vitalresorts Deltapark. Arbeiten sie mit dem Deltapark zusammen?
Wir haben seit den Anfängen des Deltaparks eine Kooperation, da ich wenn möglich draussen arbeite und Wert auf ein stimmiges Ambiente bei der Arbeite lege. Ich finde hier genau das: Ein energiegeladener Ort, an welchem auch im gesundheitlichen Beriech ähnliche Ziele verfolgt werden.
Kann man sich auch online von Ihnen beraten lassen?
Zwei Drittel meiner Coachings sind online. Und ich habe schon vor drei Jahren, also vor Corona, damit angefangen. Mein Kopf war ursprünglich dagegen. Aber mein Herz und Körper waren dafür, und inzwischen weiss ich, dass Coachings auch online funktionieren. Die Erfahrungen der Corona-Zeit haben das bestätigt.
Tanja Frieden geboren 1976 in Bern, gehörte als Snowboarderin jahrelang zur Weltspitze und wurde 2006 als Schweizer Sportlerin des Jahres geehrt. Bei den Europameisterschaften 2000 gewann sie eine Silbermedaille, an den Olympischen Winterspielen 2006 in Turin die Goldmedaille in der Disziplin Snowboardcross sowie 32 weitere Podestplätze. Nach 14 Jahren Spitzensport beendete sie 2010 ihre Profikarriere. Seit 2016 arbeitet die ausgebildete Coach und Lehrerin als Mentaltrainerin und Transformations Coach in Thun, wo sie auch aufgewachsen war. Sie ist verheiratet und hat einen fünfjährigen Sohn. |