Thomas Lehmann, Gründer & Geschäftsführer «Zum guten Heinrich», im Interview

Thomas Lehmann, Gründer & Geschäftsführer «Zum guten Heinrich», im Interview
Thomas Lehmann, Gründer & Geschäftsführer "Zum guten Heinrich". (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Lehmann, «Zum guten Heinrich» verwertet krummes oder zu grosses Obst und Gemüse, das im Supermarkt meist nicht in die Regale kommt, zu vegetarischen und veganen Catering-Menüs. Was können Sie uns zur Entstehungsgeschichte Ihres Startups erzählen?

Thomas Lehmann: Die «Zum guten Heinrich» zugrunde liegende Geschäftsidee hatten wir Gründer schon lange, seriös aufgegriffen wurde sie allerdings erst im Start-Up-Seminar der ETH Zürich im Frühjahrssemester 2014. Mit dem Gewinn des Social Impact Awards im Mai 2014 erhielten wir erstmals externes Funding und – vor allem in unserem Freundeskreis – viel Beachtung. Ab Oktober 2014 starteten meine beiden Mitgründer, Remo Bebié und Lukas Bühler, und ich Vollzeit an der Geschäftsidee weiterzuarbeiten.

Was stand dabei im Vordergrund?

Die Einarbeitung in die Food Waste Thematik, der Aufbau eines persönlichen Netzwerks in der Gastronomiebranche und erste Gespräche mit möglichen Kunden sowie Partnern und Lieferanten. Im selben Zeitraum konnte ein erstes Lastenfahrrad angeschafft werden, welches mit einem simplen, aber dem Zweck entsprechenden Aufbau, ausgestattet wurde. Mit Mirko Buri konnte Anfangs 2015 ein Produktionspartner gewonnen werden, welcher uns erlaubte, unsere Geschäftsidee zu prototypen ohne dafür massiv zu investieren. An der ETH Zürich konnte im Februar 2015 während 12 Tagen Mittagsmenüs direkt vom Food Bike verkauft werden. Dies erlaubte die Machbarkeit der Menüs im Glas zu testen, die Regenerationsabläufe sowie das Abfüllen selber auszuprobieren und erste, sehr wertvolle Kundenfeedbacks einzuholen.

Der Testverkauf an der ETH führte zu mehreren Catering-Anfragen aus unserem erweiterten Umfeld. Obwohl ein Catering-Angebot von uns Gründern anfänglich nicht vorgesehen war, führten wir im Frühling 2015 an verschiedensten Veranstaltungen Caterings durch. Währenddessen konnten wir mit einer ansprechenden Corporate Identity eine Brand aufbauen, mehrere Start-Up Wettbewerbe gewinnen, ein Crowdfunding durchführen und als Industrieprojekt eines Lehrstuhls für Industrial-Design einen zweiten, verbesserten Prototypen des Food-Bikes entwickeln. Weiter konnte mit Fabian Langensteiner ein weiterer Teilhaber an Bord geholt werden, der mit seiner Erfahrung und Netzwerk in der Gastronomie schnell zu einer wertvollen Ergänzung des Gründerteams wurde.

Wie ging es weiter?

Im Sommer 2015 starteten wir eine Kooperation mit dem Verein Greenabout, welcher als unseren lokalen Produktionspartner in Zürich angedacht war. An zwei Standorten in der Zürcher Innenstadt boten wir für ca. 3 Monate über Mittag unsere Menüs direkt vom Food-Bike an. Verschiedene Gründe führten dazu, dass die Zusammenarbeit mit Greenabout auf Ende Oktober beendet wurde. Die schlichte Unplanbarkeit der Anzahl verkauften Menüs und die tiefen Margen zwangen uns, den täglichen Verkauf via Food-Bike im November einzustellen. Glücklicherweise konnten wir dennoch ein äusserst hektisches aber trotzdem sehr erfolgreiches Catering-Weihnachtsgeschäft dank der Unterstützung von Mirkos Küche abwickeln.

Und dank der unermüdlichen Mitarbeit von vielen Personen konnte der Heinrich in seinem ersten Jahr verschiedenste Produkte (Delivery, Bier, Sirup, Food-Stand, Food Waste Events) einem realen Praxistest unterziehen. Im wahrsten Sinne überwältigt, aber auch total ausgelaugt, entschieden wir uns im Frühjahr 2016 keine neuen Aufträge anzunehmen, sondern uns einer Standortbestimmung zu widmen. Wir erledigten alles was wir so lange aufgeschoben hatten – beispielsweise Zivildienst, Erholung, Zeit mit den Liebsten – und tauchten im September wieder auf. Mit aufgeladenen Batterien, einer neuen, super lässigen Teilhaberin, der Lebensmittelwissenschaftlerin Verena Bongartz, nahmen wir das nächste Kapitel unserer Firmengeschichte in Angriff.

«Wir erschaffen nun die Grundlage für eine „Zum guten Heinrich GmbH“, welche für die Umwelt, das Geschäftsmodell und alle Mitarbeiter zukunftsorientiert sein wird. Und dann wird die Food-Waste-Revolution so richtig gross.»
Thomas Lehmann, Gründer & Geschäftsführer «Zum guten Heinrich»

Mit dem Fokus auf Catering?

Ja, seit September fokussieren wir uns nun auf die Produktelinie „Catering“. Wir haben die Erfahrungen des ersten Jahres eingearbeitet und konnten viele interne und externe Prozesse wesentlich verbessern, die Kapazität ausweiten und unseren Kunden und deren Gästen ein noch besseres Catering-Erlebnis bieten. Die zweite Catering-Saison war wiederum ein grosser Erfolg mit unzähligen begeisterten Gästen und mehreren Tonnen „geretteten“ Lebensmittel. Wir sind abermals an unsere Kapazitätsgrenzen gestossen, konnten uns nun aber definitiv als nachhaltigster Caterer der Schweiz etablieren. Über die ruhigeren Wintermonate müssen wir uns nun abermals zurückziehen, um die Kapazität weiter auszubauen: Wir erschaffen nun die Grundlage für eine „Zum guten Heinrich GmbH“, welche für die Umwelt, das Geschäftsmodell und alle Mitarbeiter zukunftsorientiert sein wird. Und dann wird die Food-Waste-Revolution so richtig gross. Ich freue mich!

Von wo beziehen Sie das «nicht marktkonforme» Gemüse?

Unsere Supply-Chain ist für ein Gastronomie-Unternehmen eher komplex, da es eben keinen Markt für nicht marktkonformes Zutaten gibt. Unser langfristiges Ziel ist es aber, genau diesen Markt zusammen mit anderen Akteuren aufzubauen. Über die letzten zwei Jahre konnten wir bereits viele individuelle Deals mit verschiedensten Partnern abschliessen. Das Gemüse kommt je nach Saison mehrheitlich aus Sortieranlagen oder dann von Schweizer Bauern, die direkt auf dem Hof aussortieren. Sogenannte Kalibrationsnormen – Form und Grösse – sind aber nicht der einzige Grund, wieso es ein Gemüse nicht in das Regal ihres Supermarkt schafft: Da sowohl die Natur wie auch die Nachfrage der Konsumenten nicht genau berechenbar sind und die Bauern aufgrund von Lieferverträgen auf der «sicheren» Seite sein wollen, kommt es immer wieder zu Überangeboten. So rief uns beispielsweise auch schon ein verzweifelter Bio-Bauer aus den Knonauer-Amt an, der seine makellosen Tomaten an keinen seiner üblichen Abnehmer verkaufen konnte. Da sich die Ernte ohne Abnehmer nicht lohnt, wären diese Tomaten noch an der Staude verrottet…

Aber mit Gemüse alleine kocht es sich schlecht. Mit Ausnahme der Kartoffeln wachsen die bekannten Stärkelieferanten normalerweise marktkonform. Das heisst aber nicht, dass hier kein Food Waste anfallen würde. Wenn eine Abfüllmaschine für beispielsweise Reis, Linsen oder Nüsse nicht richtig eingestellt ist, sind plötzlich ein paar Gramm zu wenig oder zu viel in der bereits beschrifteten Packung. Da diese Zutaten sehr billig sind, ist es für den Hersteller günstiger, diese zu entsorgen, statt alles neu abzufüllen. Und da diese Zutaten glücklicherweise gut haltbar sind, kommen so für den Heinrich schnell mal Mengen zusammen, die für eine Saison reichen.

Der «gute Heinrich» ist der Name eines wilden Spinats. Haben Sie den auch im Angebot?

Unser Namensgeber haben wir immer mal wieder im Angebot. Da diese Pflanze aber nicht oft kultiviert wird, gibt es hier nicht Überschuss klassischen Sinne. Im nächsten Frühjahr wird einer unserer Lieferanten den guten Heinrich für uns anpflanzen. Hier werden wir natürlich die ganze Ernte verwenden.

«Seit wir uns klar als Catering-Unternehmen positionieren ist die Nachfrage riesig.»

Wer entwickelt die alle zwei Monate wechselnde Speisekarte und kocht die nachhaltigen Mahlzeiten?

Wir haben das Privileg mit dem mehrfach ausgezeichneten Koch Mirko Buri zusammenzuarbeiten. Er hat die Sousvide-Zubereitungsart, die sich besonders gut für die bestmögliche Verwertung von Überschüssen eignet, perfektioniert. Verena Bongartz, unsere Gastronomie-Chefin, kennt die Wünsche unserer anspruchsvollen Kundschaft und entwickelt zusammen mit Mirko Buri unsere Speisekarten laufend weiter. So können wir sicherstellen, dass wir innovativ bleiben und immer frische, saisonale und gesunde Zutaten verwenden können.

Sie haben die grosse Nachfrage betont. Wie gross ist die Resonanz?

Seit wir uns klar als Catering-Unternehmen positionieren ist die Nachfrage riesig. Obwohl wir unsere Kapazität für diese Herbstsaison massiv ausgebaut hatten, mussten wir auch schon Anfragen aufgrund von Engpässen ablehnen. Es ist uns wichtiger, dass die Qualität stets auf höchstem Niveau ist, statt kurzfristig den Umsatz zu maximieren. Mit Ausnahme von Merchandise-Artikel und unserer (Social-) Media-Präsenz betreiben wir momentan weder ein kostspieliges Marketing noch eine aktive Kundenakquisition. Doch mit Abstand am wichtigsten ist die Mundpropaganda. Unser durchschnittliches Catering für Geschäftskunden diesen Herbst hatte knapp 80 Gäste. Die meisten vermeintlichen Neukunden waren bereits Gast an einem Heinrich-Catering, waren begeistert, und wollen nun für den eigenen Kunden oder Mitarbeiteranlass uns gleich selbst buchen.

Wie gross können Firmen- und Privatanlässe sein, die Sie mit Catering-Menues beliefern?

Unser bisher grösster Anlass war die Klimarunde an der ETH Zürich mit 500 Gästen, aber nun werden wir ja die Kapazität erhöhen. Genaueres kann ich aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, da wir uns noch in der Planungsphase befinden. Solche Aufträge brauchen aber eine entsprechende Vorlaufzeit. Einen Standard-Auftrag von circa 100 Gästen können wir aber nun bereits innert Wochenfrist vorbereiten.

Mittlerweile verteilen auch fünf «Food-Bikes» die Speisen. Wo sind diese unterwegs?

Man kann sie buchen: Wir haben drei sogenannte «Food-Bikes», welche in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Nordwestschweiz entwickelt wurden, und in wenigen Handgriffen vom Fahrmodus in den «Verkaufsmodus» umgebaut werden können. Im Gegensatz zum Sommer 2015 stehen diese aber aus Kostengründen und aufgrund der stark schwankenden Nachfrage nicht mehr der Laufkundschaft zur Verfügung, sondern können von unseren Kunden für grössere Anlässe gebucht werden. Dieses Jahr standen wir so auf den Geländen verschiedensten Firmen und Institutionen wie Swisscom, Impact Hub und der ETH Zürich.

Zusätzlich haben wir noch zwei elektrische Cargo-Bikes mit bis zu 300kg Ladekapazität. So können wir das Material sowie Speis und Trank für unsere Caterings emissionsfrei anliefern und müssen keine Zeitverluste aufgrund von Verkehrsstaus in Kauf nehmen. Diesen Teil unserer Flotte werden wir für die nächste Saison ausbauen.

«Ein Catering von «Zum guten Heinrich» stellt hingegen eine echte, ökologische Alternative zu einem Standart-Catering der Konkurrenz dar.»

Wie schwierig ist es, ein Thema wie Food Waste, nicht mit dem Mahnfinger, sondern mit einer coolen Idee zu transportieren?

Wir vermeiden den Mahnfinger bewusst. Es gibt bereits viele Initiativen, die mit ihrem Auftritt nur bereits bekennende Ökos ansprechen. Doch diese Gäste sind bereits sensibilisiert, was den Effekt begrenzt. Ein Catering von «Zum guten Heinrich» stellt hingegen eine echte, ökologische Alternative zu einem Standart-Catering der Konkurrenz dar. Vom kulinarischen Aspekt her soll dem Gast der Unterschied nicht auffallen, bis er den dezenten Info-Flyer sieht und feststellt, dass dieses Catering emissionsfrei angeliefert wurde, keinen Abfall produziert und hauptsächlich aus Überschussproduktion hergestellt wurde. So erreichen wir Leute, die uns bei einem Auftritt per Mahnfinger nicht gebucht hätten und können das Verhalten ebendieser Gäste auch in Ihrem Alltag positiv beeinflussen.

Für einige Kunden aus der Nachhaltigkeitsszene sind die klassischen Catering-Anbieter keine valable Alternative: Es ist wenig glaubwürdig, einen Nachhaltigkeitsbericht zu präsentieren, und danach per Flugzeug importierten Lachs zu servieren, der mit einem halbleeren Transporter angeliefert wurde. Bei solchen Anlässen kommunizieren wir direkter und bieten auch Vorträge und Workshops zum Thema Lebensmittelverschwendung an.

«Zum guten Heinrich» ist beim Zurich Klimapreis mit dem Sonderpreis für Startups ausgezeichnet worden. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?

Dieser Preis war sehr wichtig für uns. Er zeigt, dass unser Schaffen auch über unsere Kunden hinaus wirkt und hat uns bestätigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Dank der damit verbundenen Publicity konnten wir neue Kunden gewinnen und der Geldpreis wird uns erlauben, wichtige Investitionen zu tätigen.

«Wir sind in der komfortablen Situation, eine Nische gefunden zu haben, wo – zumindest in der Schweiz – die Konkurrenz förmlich schläft.»

Was würden Sie zum aktuellen Zeitpunkt als grösste Herausforderung für «Zum guten Heinrich» bezeichnen?

Ich denke, wir kämpfen mit den typischen Startup-Problemen. Entweder man scheitert oder das Management des Wachstums wird zu einer Herausforderung. Kaum sind Prozesse ausgearbeitet, müssen sie überholt werden. Weiter bedeutet mehr Umsatz auch mehr Working Capital, dass zuerst erwirtschaftet werden muss. Wenn Kunden die Rechnungen von Grossaufträgen nicht schnell bezahlen, kann es schnell zu Liquiditätsproblemen kommen, da die Banken Jungunternehmen keine Kredite gewähren.

Wie schätzen Sie das Entwicklungspotenzial Ihres Geschäfts ein?

Wir sind in der komfortablen Situation, eine Nische gefunden zu haben, wo – zumindest in der Schweiz – die Konkurrenz förmlich schläft. Selbst in unserem Heimmarkt, der Stadt Zürich, bedienen wir nur einen kleinen Bruchteil des Marktpotentials. Daneben können wir geographisch, aber auch in neue Geschäftsfelder expandieren. Nun geht es darum, wichtige Entscheidungen zu treffen: Wir werden im Jahr 2017 zusammen mit potentiellen Investoren und unseren Beratern eine Wachstumsstrategie definieren.

Nachhaltige Mahlzeiten schliessen Fleisch ja eigentlich nicht aus. Bleiben Sie beim vegetarischen und veganen Essen, oder ist ein Ausbau des Angebots vorstellbar?

Schon jetzt servieren wir auf expliziten Kundenwunsch auch Fleisch, wir wollen ja ein breites Publikum ansprechen. Auch in der Fleischwirtschaft kommt es immer wieder zu Überschussproduktion. Allerdings hat Fleisch bei uns immer eine untergeordnete Rolle. Gemüse bleibt bei uns die Hauptmahlzeit, Fleisch hat Beilagencharakter.

Herr Lehmann, besten Dank für das Interview.

Thomas Lehmann
Co-Founder and CEO Winner of Social Impact Award 2104 (Main Award & Coaching Award)
Winner of PostFinance Startup Encouragement Prize 2014 Winner of Innovate for Climate 2014/15 (Main Award, Stage 1 & 2)
Winner of Venture Kick Competition 2015 (Stage 1)
Winner of ClimateKIC’s Swiss Venture Competition 2015
Semi-Finalist of ClimateKIC’s European Venture Competition 2015

Education
09/2012 – 02/2016
Master of Arts UZH in Economics and Business Administration, Specialization in Economics, University of Zurich UZH
07/2014 – 08/2014
Climate-KIC summer school, The Journey Climate Change & Green Entrepreneurship, Paris; Valencia, Bologna
09/2013 – 12/2013
Exchange semester in Magíster en Economía y Políticas Públicas Universidad Adolfo Ibáñez, Santiago de Chile, Chile
09/2009 – 08/2012
Bachelor of Arts UZH in Economics and Business Administration, Specialization in Economics, University of Zurich UZH

Schreibe einen Kommentar