Thomas Meier, CEO Santhera, im Interview
von Bob Buchheit
Moneycab.com: Herr Meier, Santhera hat von Polyphor die Rechte zur Entwicklung und Kommerzialisierung des Medikamentenkandidaten POL6014 erworben und dafür als Erstzahlung für die Exklusivlizenz 6,5 Millionen Franken in Santhera-Aktien zu einem vereinbarten Wert von 27,2 CHF je Aktie gezahlt. Da könnte man, gerade beim jetzigen Aktienkurs von Santhera, wohl sagen: Sie sind günstig an einen vielversprechenden Produktkandidaten gekommen?
Thomas Meier: Unser Interesse an POL6014 und den Nachfolgekandidaten dieses Präparats war strategischer Natur. Mit diesem zusätzlichen Prüfmedikament konnten wir unsere klinische Entwicklungspipeline auf pulmonale Erkrankungen ausbauen und sind nun im Bereich seltene Krankheiten breiter abgestützt. Zudem passt das erweiterte Indikationsspektrum bestens zu unseren Kompetenzen und unserer Expertise. Unsere klinischen Entwicklungs- und Vermarktungsaktivitäten konzentrieren sich nun auf die drei therapeutischen Bereiche neuro-ophthalmologische, neuromuskuläre und pulmonale seltene Erkrankungen. Die Kursentwicklung unserer Aktie spielte für unsere Diversifikation also eine absolut untergeordnete Rolle. Die Erstzahlung von CHF 6,5 Millionen erfolgte in Form von frei handelbaren Santhera-Aktien und Polyphor entscheidet natürlich selber, inwieweit die Firma als Aktionär an der Aktienkursentwicklung weiterhin teilhaben will.
Welche Umsatzerwartungen hegen Sie für POL6014?
Auf Basis der vorliegenden positiven Daten starten wir im dritten Quartal 2018 mit einer weiteren Phase-I-Studie mit ansteigender Dosierung bei Patienten mit zystischer Fibrose (CF). Danach werden wir mit dem Prüfmedikament voraussichtlich 2019 die Phase-II-Wirksamkeitsstudie beginnen. Parallel dazu werden wir das Gespräch mit den Zulassungsbehörden in der EU und den USA suchen, um das das Entwicklungsprogramm für POL6014 bei CF und den anderen pulmonalen Indikationen zu diskutieren. Wir stehen also noch am Anfang der klinischen Entwicklung und deshalb ist eine Umsatzprognose für POL6014 derzeit noch verfrüht.
Die Prävalenz in der Bevölkerung gibt aber doch Umsatzphantasie für Santhera…
In den USA und Europa sind rund 70,000 Patienten an zystischer Fibrose, der Hauptindikation für POL6014, erkrankt. Der Wirkmechanismus von POL6014 zielt darauf ab, die bei CF Patienten regelmässig auftretende chronische Entzündung des Lungengewebes zu reduzieren, um die Atmung zu verbessern. Damit kann POL6014 unabhängig der genetischen Mutation, die zur Krankheit führt, eingesetzt werden. Insgesamt dürfte der weltweite Markt für diese Indikation in den nächsten 10 Jahren ein Volumen von USD 10 Milliarden erreichen. Wir gehen davon aus, dass unser Produkt – positive Resultate vorausgesetzt – bei einem grossen Teil der Patienten als Zusatzmedikation zur Standardbehandlung eingesetzt werden könnte. Ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil dürfte für den Markterfolg massgeblich sein, denn bei zystischer Fibrose ist der medizinische Bedarf trotz einer Reihe verfügbarer Medikamente sehr hoch.
Zystische Fibrose ist die Hauptindikation von POL6014. Welche anderen Indikationen sind möglich?
Nebst der Hauptindikation zystische Fibrose bietet POL6014 einen potenziellen Therapieansatz für andere Lungenerkrankungen, die mit erhöhter Aktivität der neutrophilen Elastase einhergehen. Dies sind Erkrankungen mit hohem medizinischem Bedarf, darunter Non-CF-Bronchiektasie (NCFB), Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATD) oder primäre ziliäre Dyskinesie (PCD).
Sind noch weitere als die drei genannten denkbar?
Ja, es gibt Hinweise, dass die Menge und Aktivität der neutrophilen Elastase auch bei bestimmten Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) erhöht ist und zum Krankheitsbild beiträgt. Hier könnte POL6014 auch einsetzbar sein. Dies müssen wir aber auch mit Experten noch weiter evaluieren.
«Der derzeitige Aktienpreis widerspiegelt höchstens das Potential für die Indikation LHON – das heisst, das weit grössere Marktpotential für DMD ist aktuell gar nicht im Aktienkurs eingepreist.»
Thomas Meier, CEO Santhera
Santheras eigener Medikamentenkandidat ist bereits auf dem Markt, heisst Idebenon, und wird hauptsächlich zur Behandlung der seltenen Augenkrankheit LHON eingesetzt. Weil es bei der Wirksamkeitsanalyse einer zweiten Indikation, der Muskelschwächekrankheit DMD, harzte, stürzte der Santhera-Aktienkurs auf unter 20 CHF zusammen. Hat da die Börse nicht masslos übertrieben? In der Hauptindikation ist Idebenon doch bereits in vielen Ländern zugelassen.
Ja, Raxone® (Idebenon) wird derzeit in über 20 Ländern vermarktet und weitere Märkte, auch ausserhalb Europas, werden dazu kommen. Der Umsatz entwickelt sich positiv, und für 2018 erwarten wir einen Erlös von 28-30 Millionen Franken. Für DMD sind wir nach wie vor überzeugt, dass die positiven Daten der Phase-III-DELOS-Studie die Grundlage für ein genehmigungsfähiges Dossier bilden. Wir bereiten derzeit Zulassungsanträge für Europa und die USA vor und treiben parallel dazu laufenden Studien mit Priorität voran.
Der Negativentscheid der europäischen Zulassungsbehörde zu Idebenon bei DMD war auch für Patienten und ihre Familien eine Enttäuschung – und die heftige Börsenreaktion hat auch uns überrascht. Ein Finanzanalyst, der Santhera beobachtet, würde Ihrer Sicht wohl zustimmen. Gemäss seiner Analyse widerspiegelt der derzeitige Aktienpreis nämlich höchstens das Potential für die Indikation LHON – das heisst, das weit grössere Marktpotential für DMD ist aktuell gar nicht im Aktienkurs eingepreist.
Ein weiterer Zulassungsantrag betrifft Südkorea. Welchen Jahresumsatz kann Idebenon in diesem grossen Land einmal erreichen?
Südkorea ist einer der wichtigsten Märkte in Fernost. Für uns stellt dieser erste Zulassungsantrag in Asien einen bedeutenden Meilenstein dar und steht für unsere Absicht, Raxone für LHON weltweit verfügbar zu machen. Wir werden in Südkorea mit einem Vertriebspartner zusammenarbeiten, wie wir dies bereits zum Beispiel für Osteuropa tun. Gemeinsam mit dem Partner werden wir kommerzielle Ziele festlegen und eine Marktprognose erarbeiten. Südkorea – mit 50 Millionen Einwohnern und einer fortschrittlichen medizinischen Versorgung – dürfte aber massgeblich zur Umsatzsteigerung von Raxone bei LHON beitragen.
Die Muskelschwächekrankheit CMD will Santhera mit Omigapil bekämpfen. Hier wurde die Verträglichkeits- und Dosierungsstudie im Frühjahr erfolgreich abgeschlossen. Wie lange, denken Sie, könnte es bis zur Zulassung dauern, vorausgesetzt die Phase III – Studie erreicht den finalen Endpunkt?
CMD steht für eine Gruppe von neuromuskulären Krankheiten, für die es derzeit keine Therapieoptionen gibt, und entsprechend schwierig ist die Medikamentenentwicklung. Nach dem erfolgreichen Abschluss der CALLISTO Studie werden wir nun mit Experten und im Austausch mit Zulassungsbehörden einen Entwicklungsplan erarbeiten; erst dann können wir uns zum Zeitplan äussern.
«CMD steht für eine Gruppe von neuromuskulären Krankheiten, für die es derzeit keine Therapieoptionen gibt, und entsprechend schwierig ist die Medikamentenentwicklung.»
Es wird sogar eine Viertphasenstudie für Idebenon geben. Erwarten Sie da noch deutlich verbesserte Heilungsergebnisse?
Zurzeit läuft eine Phase-IV-Studie für Idebenon bei LHON. Ziel dieser Studie ist es, weitere wissenschaftliche Daten zu gewinnen, die es den Ärzten erlaubt, die Behandlung ihrer Patienten weiter zu optimieren. Diese Daten sollen von den teilnehmenden Experten in medizinischen Fachzeitschriften publiziert und auf wissenschaftlichen Kongressen präsentiert werden, um medizinische Fachkreise laufend über die neusten Erkenntnisse zu informieren. Diese Phase-IV-Studie schliesst erstmals Studienzentren in den USA ein und wir werden die Möglichkeit analysieren, auf dieser Basis einen Zulassungsantrag für LHON in den USA einzureichen.
Medikamente für seltene Krankheiten, sogenannte orphan drugs, brauchen natürlich einen hohen Preis, sonst würde kein Pharmaunternehmen sie entwickeln und vertreiben wollen, weil es so wenige Patienten gibt. Was kostet denn, grob gerechnet, die medikamentöse Therapie der zystischen Fibrose?
Die Behandlung der zystischen Fibrose ist komplex und verlangt oft nach verschiedenen und individualisierten Therapieansätzen. CF Patienten müssen in der Regel mehrere Medikamente einnehmen um einen Therapieerfolg zu erfahren, so dass sich die Kosten pro Patient und Jahr auf mehrere Hunderttausend Franken belaufen können.
Bei einem veranschlagten Jahresumsatz von 30 Millionen Franken, müssten Sie vor dem Hintergrund Ihrer Burn-Rate nächstes Jahr wieder Geld auftreiben, oder sehe ich das zu pessimistisch?
Wir investieren sehr gezielt in klinische Studien für die Präparate in unserer klinischen Pipeline sowie die Vorbereitungen für den Markteintritt in DMD. Letztes Jahr platzierten wir erfolgreich eine Wandelanleihe im Umfang von CHF 60 Millionen, die es uns erlaubte, unsere Entwicklungs- und Vermarktungspläne wie vorgesehen umzusetzen. Die hohe Nachfrage von in- und ausländischen Investoren haben wir als Zeichen des Vertrauens in den Ausblick und das Potenzial von Santhera gewertet. Wir verfolgen eine solide und konsequente Strategie, die wir auch regelmässig auf Roadshows mit Aktionären und potentiellen Investoren diskutieren. Daher sind wir zuversichtlich, zu gegebener Zeit weiter Kapital aufnehmen zu können, um unsere Strategie plangemäss umzusetzen.
Zur Person
Thomas Meier führt Santhera als Chief Executive Officer (CEO) seit Oktober 2011, nachdem er ihr sieben Jahre als Chief Scientific Officer (CSO) in der Geschäftsleitung tätig war. Davor war er CEO von MyoContract, einem Basler Unternehmen, das Medikamente gegen neuromuskuläre Erkrankungen erforschte und im Jahr 2004 mit Graffinity Pharmaceuticals aus Heidelberg, fusionierte. Daraus entstand Santhera. Thomas Meier hat einen Dr. der Universität Basel, wo er Biologie und Neurowissenschaften studierte. Als Postdoc ging er anschliessend ans University of Colorado Health Sciences Center, Denver, CO, USA. 1999 wurde er Forschungsgruppenleiter in der Abteilung Pharmakologie und Neurobiologie seiner Alma Mater, der Universität Basel.
Zum Unternehmen
Santhera Pharmaceuticals ist ein auf die Entwicklung und Vermarktung innovativer Medikamente zur Behandlung seltener neuro-ophthalmologischer, neuromuskulärer und pulmonaler Krankheiten fokussiertes Schweizer Spezialitätenpharmaunternehmen. Santheras erstes Produkt Raxone (Idebenon) wurde bereits in der Europäischen Union, Norwegen, Island und Liechtenstein sowie Israel zur Behandlung von Leber Hereditärer Optikusneuropathie (LHON) zugelassen. Für Duchenne-Muskeldystrophie (DMD), die zweite Indikation für Idebenon, strebt Santhera die Zulassung an und führt weitere klinische Studien durch. Omigapil für Patienten mit kongenitaler Muskel-Dystrophie (CMD) und POL6014 gegen zystische Fibrose sind die weiteren Medikamentenkandidaten in klinischer Entwicklung.