Thomas Wüst, CEO ti&m, im Interview
Von Helmuth Fuchs
Moneycab: Herr Wüst, ti&m feiert dieses Jahr das 15-jährige Bestehen. Wie hat sich Ihr Unternehmen gewandelt, welche Entwicklungen haben in dieser Zeit die Strategie des Unternehmens am meisten beeinflusst?
Thomas Wüst: ti&m ist in dieser kurzen Zeit von einigen wenigen Mitarbeitenden auf ein 400 Personen starkes Unternehmen mit vier verschiedenen Standorten gewachsen. Wir wandelten uns von einem reinen Softwareentwickler zu einem End-to-end Digitalisierer, der seinen Kunden von der Strategieberatung über das Produktdesign bis zum Hosting alle Aspekte der Digitalisierung vor Ort und aus einer Hand bietet. Und der dieses Angebot in den wichtigen Branchen und Technologien mit einem Produktangebot untermauert, das aufgrund seiner Modularität und Offenheit dem Kunden einen entscheidenden Time-to-Market Vorsprung auf dem Weg zum digitalen Unternehmen gibt.
«Wir wandelten uns von einem reinen Softwareentwickler zu einem End-to-end Digitalisierer.» Thomas Wüst, CEO ti&m
Ob bei unserer ti&m channel suite und den darauf basierenden Produkten ti&m e-banking, Online Identification und TransferWise for Banks, oder auch bei unserem Cloud-Angebot – immer steht das Bild eines agilen, sich ständig an die sich wandelnden Herausforderungen anpassenden Unternehmens im Vordergrund unserer Dienstleistungen und Produkte. Insofern sind wir uns trotz allem Wachstums stets treu geblieben. Wir arbeiten mit dem Kunden für den Kunden. Vor Ort und in multifunktionalen, vertikal organisierten Teams. Nur so können wir neben unserer technischen Expertise auch unsere Leidenschaft, Agilität und unser unternehmerisches Denken mit einbringen.
Ende des letzten Jahres haben Sie den ersten Schritt ins aussereuropäische Ausland gewagt und haben eine Niederlassung in Singapur gegründet. Welche Schwerpunkte setzen Sie für Singapur und welchen Einfluss hat die neue Region mit der anderen Sprache und Kultur auf die Produkte- und Unternehmensentwicklung bei ti&m?
Wie auch schon bei unserer Niederlassung in Frankfurt setzen wir in Singapur auf eine enge Betreuung unserer Kunden vor Ort, denn seit Bestehen von ti&m haben wir bewusst auf Near- oder Offshoring verzichtet. Wir wollen mit unseren Dienstleistungen, unseren Banking-Produkten in Singapur erfolgreich sein. Singapur ist ein äusserst dynamischer Markt, in dem wir mit unseren Stärken punkten können.
Mit Marc Bühler haben wir auch einen grossen Kenner der Region als Geschäftsführer gefunden. Seit fast einem Jahrzehnt lebt und arbeitet er dort. Er bringt zudem die nötigen Kenntnisse in der Kultur und Sprache mit, um ti&m in Singapur als «trusted brand» zu etablieren. Unsere Mitarbeitenden haben auch die Möglichkeit, als Bestandteil unseres Arbeitszeitmodells «liquid working», eine Zeit lang in Singapur zu arbeiten. So können sie den Markt kennenlernen und interkulturelle Kompetenzen erwerben.
In der Anfang des Jahres veröffentlichten «ti&m-Trendstudie Banken» stellen Sie eine erhebliche Differenz fest bei den Technologien, die sich Kunden wünschen und denjenigen, welche die Banken als relevant erachten. Wo müssten die Banken mehr investieren, um die Situation zu verbessern?
Banken müssen davon wegkommen, die Digitalisierung nur als ein technisches Problem anzusehen. Mit der Technologie müssen sie die Bedürfnisse der Kunden stärker in den Fokus stellen. Dabei kommt es laut der Studie vor allem auf die Integrationskompetenz an. Die IT-Architekturen müssen so offen sein, dass sich neue Dienste leicht einbinden lassen, wie wir es mit der ti&m channel suite vormachen.
Ein Paradebeispiel dafür ist das vollständig modular aufgebaute ti&m e-banking, welches bereits die Bank CIC und die VZ Depotbank überzeugte. Durch die Offenheit und Modularität setzen wir neue Massstäbe im Schweizer Markt und zeigen, wie die digitale Zukunft von Banken aussehen kann.
Die Coronakrise hat der Digitalisierung in einigen Bereichen (Meetings, Ausbildung) einen Schub verliehen. Wie hat sich die Krise für ti&m ausgewirkt, welche längerfristigen Folgen sehen Sie?
ti&m ist bisher gut durch die Krise gekommen. Zu einem frühen Zeitpunkt haben wir auf einen A/B-Modus umgeschaltet. Seit dem ersten Lockdown arbeitet die Mehrheit der Mitarbeitenden im Homeoffice. Als eines der führenden Digitalunternehmen der Schweiz war es für uns auch kein grosser Schritt, alles auf Online-Kanäle umzustellen. Diese Umstellung brauchte etwas Zeit, um sich an die neuen Tools und Online-Konferenzen zu gewöhnen.
«Seit dem ersten Lockdown arbeitet die Mehrheit der Mitarbeitenden im Homeoffice.»
Aber jetzt ist Remote-Work alltäglich. Auch unsere Werte leben wir im digitalen Modus weiter. Beispielsweise finden unsere monatlichen Treffen jetzt digital statt und auch unser Nachwuchsförderprogramm für Kinder und Jugendliche «hack an app» haben wir digital umgestellt, zudem haben wir auch erstmals den Zukunftstag online abgehalten, mit grossem Erfolg.
Langfristig erwarten wir, dass die Digitalisierungsbemühungen unserer Kunden einen deutlichen Schub bekommen. Wir spüren diese auch schon in Gesprächen. Die Corona-Krise wirkte als Katalysator für die Digitalisierung, wovon wir langfristig profitieren können.
Aktuell geht ja nichts mehr ohne Künstliche Intelligenz und Robo-Advisory. Wo sehen Sie schon messbare Resultate bei Ihren Kunden, welche Anwendungsgebiete erzielen die grössten Fortschritte mit Künstlicher Intelligenz?
Für RobecoSAM haben wir eine der ersten produktiven AI-Anwendungen in der Schweiz realisiert. RobecoSAM erstellt einen Nachhaltigkeitsindex von börsennotierten Unternehmen. Dazu müssten sie hunderte von Geschäftsberichten händisch auswerten. Mit einem AI-Algorithmus haben wir diese Auswertung zu einem grossen Teil automatisieren können. Zudem haben wir auch marktreife Produkte im Angebot, die auf der AI-Technologie basieren. Dazu zählen etwa ti&m digidoc, für das Einscannen und automatisierte Verarbeiten von Formularen, ti&m online ident, zum Echtheitscheck von Ausweispapieren, oder das ti&m conversational Framework, zur produktiven Implementierung von Sprach- und Textassistenten. Weitere spannende Produkte werden folgen, denn AI entwächst gerade den Kinderschuhen und hat eine Marktreife erreicht.
Von der Digitalisierung bleiben auch die Informatiker nicht verschont. Selbstlernende Systeme oder die vermehrte Auslagerung der eigenen IT in die Cloud sind nur zwei Entwicklungen, welche auch IT-Jobs gefährden. In welche Fähigkeiten müssen Informatiker investieren, um auch in Zukunft gefragt zu sein?
Von Informatikern wird verstärkt Agilität und Teamfähigkeit gefragt. Die reine Konzentration auf Technologien reicht nicht aus, denn die Kommunikation und der Austausch mit dem Kunden ist bei der Softwareentwicklung mindestens ebenso wichtig.
«Von Informatikern wird verstärkt Agilität und Teamfähigkeit gefragt.»
Zudem müssen Informatiker sich stetig weiterbilden, da sich Technologien schnell wandeln. Wir begegnen dieser Herausforderung mit der ti&m academy, in der unsere Mitarbeitende die neuesten Technologien praxisnah kennenlernen und auch ihre Soft Skills verbessern können.
Unternehmen müssen sich auch in der Schweiz um die besten Talente bemühen. Welche Kultur, Werte und speziellen Angebote schaffen Sie, um im Wettbewerb um die besten Informatiker erfolgreich zu sein?
Für uns ist es extrem wichtig, dass unsere Mitarbeitenden sich bei uns wohlfühlen. Daher steht bei uns beispielsweise Talent vor Hierarchie. Für uns zählt allein, was ein Mitarbeitender kann, welche Ideen und Visionen er hat und wie er sich in den Projekten einbringt. Unsere Mitarbeitenden finden zudem attraktive Anstellungsbedingungen vor. Mit unserem Arbeitszeitmodell «ti&m liquid working» kann das Arbeitspensum monatlich angepasst werden, um etwa flexibel auf persönliche Veränderungen reagieren zu können.
«Frischgebackene Mütter können zudem bis zu 2 Jahre eine Auszeit nehmen und erhalten eine Wiedereinstiegsgarantie.»
Ausserdem besteht jederzeit die Möglichkeit, eine längere unbezahlte Auszeit zu nehmen. Frischgebackene Mütter können zudem bis zu 2 Jahre eine Auszeit nehmen und erhalten eine Wiedereinstiegsgarantie. Daneben bieten wir unseren Mitarbeitenden zahlreiche Fringe Benefits an. Mit all diesen Massnahmen können wir nicht nur die besten Talente der Schweiz anziehen, sondern auch langfristig an uns binden.
Welche technologischen Entwicklungen, glauben Sie, werden die nächsten Jahre fundamental prägen, welche Strategie haben Sie, um weiterhin zu wachsen und nicht durch technologische Altlasten in der Innovation ausgebremst zu werden?
Innovation ist einer der Werte von ti&m. Daher sind wir immer auf dem neuesten Stand, wenn es um den Einsatz von neuen Technologien geht, ob es nun AI, Security, Mobilelösungen oder Cloud geht. So sind wir mit unseren breit aufgestellten Partnerschaften und einer Hybrid- wie auch Multi-Cloud-Strategie sehr gut auf die Herausforderungen aufgestellt. Die Marktforscher von ISG haben uns daher auch in mehreren Marktsegmenten als Leader und Rising Star für unser Cloud-Offering ausgezeichnet. Wir sind auch der erste Schweizer Partner, mit einer lauffähigen Anthos LAB-Installation.
Die Schweizer Banken scheinen von aussen noch eher zurückhaltend beim Einsatz von neuesten Entwicklungen (Blockchain, Robo-Advisory, Künstliche Intelligenz). Wie sieht es hinter den Kulissen aus und wo stehen die Schweizer Banken im internationalen Vergleich?
International gesehen stehen Schweizer Banken nicht an der Spitze der technologischen Möglichkeiten. Dennoch hat sich auch in der Schweiz in den zurückliegenden Jahren einiges getan. Die Banken haben erkannt, dass sie mit neuen digitalen Angeboten auf die Bedürfnisse ihrer Kunden reagieren müssen und neue digitale Geschäftsmodelle entwickeln müssen.
Den grössten Nachholbedarf sehe ich bei der Entwicklung einer digitalen Kultur. Der Einsatz der neuesten Technologien bringt nichts, wenn sich die Strukturen und das Mindset in den Banken nicht auch gleichzeitig wandeln.
Während die ersten Fintechs sich nur auf einige wenige Funktionen im Kundenverkehr beschränkten, ist die neueste Generation in der Lage, grössere Bereiche der Wertschöpfungskette und umfassendere Funktionen zu bieten. Was bedeutet das für die traditionellen Bankensoftware-Anbieter und die Banken, welche noch eigene Systeme entwickeln?
Für Bankensoftware-Anbieter, wie auch für Kunden kommt der Offenheit der Systeme eine zunehmende Bedeutung zu. Mit offenen APIs lassen sich leichter Anwendungen auch von Drittanbietern integrieren und so echte Ökosysteme aufbauen. Mit unserer ti&m channel suite machen wir dies seit jeher.
Die nächste grosse Herausforderung lauert darin, dass Unternehmen wie Google, Facebook, Amazon oder auch Apple im Banking einsteigen. Allein mit ihrem Kundenstamm und der Durchdringung im Markt sind sie potenziell eine grosse Gefahr für die etablierten Banken. Zentral ist es daher, dass Banken die Kundenschnittstelle in der eigenen Hand behalten, um nicht nur zum blossen Abwickler zu verkommen und die lukrativen Geschäftsmodelle an die grossen IT-Firmen zu verlieren.
Zum Schluss des Interviews haben Sie zwei Wünsche frei für die nächsten 15 Jahre. Wie sehen die aus?
Zunächst wünsche ich mir Gesundheit, sowohl für mich und meine Familie wie auch alle Mitarbeitenden, Partner und Kunden von ti&m. Darüber hinaus wünsche mir ich, dass ti&m auch in den nächsten 15 Jahren eines der innovativsten Unternehmen der Schweiz sein wird und dabei mit den Werten erfolgreich sein wird.