Thomas Wulf, Generalsekretär der European Structured Investment Products Association, EUSIPA.
Von Martin Raab, Derivative Partners Media AG, www.payoff.ch
payoff: Herr Wulf, getreu dem Motto «Totgesagte leben länger» gibt es seit Kurzem einen neuen Derivatverband in Europa. Sie waren Geburtshelfer – wie lautet Ihr Fazit?
Thomas Wulf: BELSIPA, der neue Verband der in Belgien aktiven Emittenten, wurde Anfang Februar nach einjähriger Vorbereitungszeit gegründet. Der Verband hat sich die technische Harmonisierung, die bankinterne und anlegerbezogene Wissensvermittlung sowie eine koordinierte Datenerhebung als Ziele gesetzt. Im Moment steht die Erarbeitung einer einheitlichen Risikoklassifizierung für Strukturierte Produkte im Vordergrund.
«EUSIPA schaut derzeit auf eine Vielzahl rechtlicher Themen, allen voran PRIPS, MIFID/MIFIR und die Indexregulierung.»
Thomas Wulf, Generalsekretär EUSIPA
Welche Stimmen hört man in Belgien zum schwelenden Moratorium für Strukturierte Produkte?
Das Moratorium hat die Produktlandschaft in Belgien stark verändert. Die Emittenten bemühen sich, die Nachfrage der belgischen Kunden so gut es eben geht zu bedienen. Da die Existenz des Moratoriums politischen und nicht Markterfordernissen geschuldet ist, sind inhaltliche Diskussionen mit der Aufsicht zum Bestand des Moratoriums kaum zielführend. Wahrscheinlich wird es erst mit der unmittelbaren Geltung der künftigen EU-Verordnungen zu Retailkunden-Informationen (PRIPS) und Produktverboten (MIFIR) ein Ende finden. Leidtragender ist wie immer der Kunde, dem nur noch ein begrenztes Angebot zur Verfügung steht.
Welche aktuellen Themen dringen aus dem Schweizer Markt zu Ihnen durch?
Zum einen nehmen wir positive Marktsignale der Branche wahr, die letztlich auch durch den erfolgreichen Börsengang eines Schweizer Emittenten bestätigt werden. Zum anderen ist die Diskussion um die umfängliche Offenlegung von Kosten augenscheinlich auf einer Ebene angelangt, wo sich die Industrie positionieren muss.
Wie ist Ihre Meinung zur gerade erwähnten TER-Debatte?
Kostenoffenlegung ist ein Thema, das in der einen oder anderen Form in vielen Märkten auf die Emittenten zukommt. Wichtiger als alles andere ist dabei die technische Richtigkeit des von der Branche vertretenen Ansatzes.
Gibt es neue Impulse in Brüssel von legislativer bzw. regulatorischer Seite?
Die Brüsseler Maschine läuft derzeit auf Hochtouren, um so viele Dossiers wie möglich zum Abschluss zu bringen, bevor die Parlamentarier Ende des Jahres in die Wahlkreise zurückgehen, um sich für die Europawahl 2014 zu positionieren. Alles, was bis dahin nicht abgeschlossen wird, muss vom nächsten Parlament komplett neu verhandelt werden. EUSIPA ist daher in einer Vielzahl von Themen aktiv, um der Branche in diesem Konzert eine Stimme zu geben.
In Europa gibt es mit ESMA, EBA und neu der EZB als Bankenaufsicht inzwischen drei supranationale Behörden für den Finanzmarkt. Droht man sich nicht langsam im Dickicht der Kompetenzen völlig zu verlaufen?
Absolut richtig – der Aktivitätswirrwarr stösst mittlerweile auch vielen Beamten in der EU in negativer Hinsicht auf. Wir befürworten vor allem eine starke Rolle der ESMA gegenüber nationalen Behörden. ESMA bemüht sich, zuletzt mit Produktwarnungen vor CFDs (contracts for difference), das Level Playing Field in der EU zu erhalten und möchte erreichen, dass Regulierungsexzesse in einzelnen Staaten nicht zum Alltag werden.
«Die praktischen Probleme der Finanztransaktionssteuer sind immens.»
Welche Stimmung nehmen Sie bei Ihren Kollegen der Mitgliedsverbände wahr?
Es sind weniger politische als faktische Haushaltszwänge, die in den genannten Ländern zu einer schnellen Einführung der Finanztransaktionssteuer (FTT) geführt haben. Die dabei gewählten Wege sind unterschiedlich, da in Frankreich die Derivatbesteuerung ausgenommen, in Italien aber in die nationale FTT eingeschlossen ist. Mit Blick auf Europa wird nun sehr interessant, welchem Modell die Gruppe der elf EU-Staaten folgt, die diese Steuer EU-weit in einer Richtlinie regeln will.
Man hört, dass die Umsetzung der Transaktionssteuer oft chaotisch ist?
Die praktischen Probleme sind immens. So verfolgt z.B. sowohl die französische als auch die italienische Steuer einen extraterritorialen Ansatz, d.h. massgebend ist allein der Handel eines Produkts mit einem steuerlich relevanten Underlying, nicht hingegen Wohnsitz oder Geschäftssitz von Anbieter und Käufer. Völlig unklar aber ist, ob und inwieweit in der EU ein Staat sein Steuerrecht überhaupt in einem anderen Mitgliedsland durchsetzen kann.
Aus welchem Land bekommen Sie besonders positive Signale?
Hier würde ich Grossbritannien nennen, dessen Verband, die UK SPA, der EUSIPA im Januar beigetreten ist. Die Aufsichtsbehörden im United Kingdom haben es vor einigen Monaten für unabhängige Finanzvermittler zum Erfordernis gemacht, Strukturierte Produkte gleichrangig neben regulären einlagenbasierten Sparprodukten, Fonds- und Versicherungslösungen in der Kundenberatung anzubieten. Dies zeigt, dass die Landschaft der Strukturierten Produkte als etablierte Anlageform anerkannt wird. Die UK SPA hat ferner eine koordinierende Rolle bei der erforderlichen Weiterbildung der unabhängigen Finanzberater.
Welche Projekte hat die EUSIPA derzeit auf der Agenda?
EUSIPA schaut derzeit auf eine Vielzahl rechtlicher Themen, allen voran PRIPS, MIFID/MIFIR und die Indexregulierung. Daneben kümmern wir uns aus aktuellem Anlass verstärkt um die mit der FTT zusammenhängenden Fragen und werden auch einen eigenen Steuerausschuss einrichten. Wir wollen, auch in den Details, die Qualität unserer Einzelprojekte laufend verbessern. Die Ausweisung des Open Interest in den kommenden Quartalsberichten ist ein solcher Punkt.
Der Gesprächspartner:
Thomas Wulf: ist seit Januar 2012 EUSIPA-Generalsekretär und war zuvor sieben Jahre für die internationale Anwaltskanzlei Linklaters tätig. Zuletzt war er dort von Brüssel aus für Geschäftsentwicklung und Marketing in Westeuropa zuständig und leitete zuvor das Marketingteam der belgischen Büros der Kanzlei. Wulf ist Jurist und war von 2002 bis Anfang 2005 Mitarbeiter im EU-Verbindungsbüro der Commerzbank AG. Bereits im Referendariat hatte er beim Bundesverband der deutschen Industrie in Brüssel die Gelegenheit, die europäischen Institutionen und den Gesetzgebungsprozess aus der Nähe kennenzulernen. Der verheiratete Familienvater lebt in Brüssel.