Thomas Zangerl, CEO AdNovum, im Interview
von Bob Buchheit
Moneycab.com: AdNovum ist bei Schweizer Unternehmen und Behörden seit über dreissig Jahren für ihre Software-Lösungen bekannt. Wie hat sich ihr Angebot in letzter Zeit ausdifferenziert?
Thomas Zangerl: In unserer Paradedisziplin Sicherheits- und Identity- und Access-Management-Lösungen (IAM) erweitern wir unser Portfolio um Cloud-Lösungen mit Microsoft Azure. Gleichzeitig verfolgen wir gemeinsam mit Technologiepartnern Trends wie Passwordless Authentication und Zero Downtime Deployment, zum Beispiel mit Nevis, das seit Anfang 2020 ein eigenständiges Unternehmen ist. Ausserdem bieten wir mit unserem Partner Spitch eine innovative Voicebot-Lösung an, welche in Callcentern den Service und die Erreichbarkeit verbessern kann.
Sie setzten in den letzten Jahren stark auf die Finanzwirtschaft. Was kommt da?
Wir sind heute als «Best-in-class»-Software-Entwickler bekannt, wollen aber in Zukunft vermehrt als Lösungslieferant wahrgenommen werden. Wir haben für Banking und Insurance wie auch für andere Branchen verschiedene Ideen für Business-Solutions. Dies auch im Kontext alternativer Geschäftsmodelle. So entwickeln wir gemeinsam mit dem Verein cardossier Services für die Automobil-Branche. Diese werden wir in der nächsten Zeit um wirkungsvolle Prozess-Automatisierungen erweitern, beispielweise für die Zulassung von Fahrzeugen.
«Wir sind heute als «Best-in-class»-Software-Entwickler bekannt, wollen aber in Zukunft vermehrt als Lösungslieferant wahrgenommen werden.»
Thomas Zangerl, CEO AdNovum
Welche Bedeutung hat die Transportbranche für AdNovum?
Für die Transport- und Logistikbranche realisieren wir schon länger erfolgreich Projekte und wollen diesen Bereich nun weiter ausbauen. Transport- und Logistikunternehmen sind angesichts des wettbewerbsintensiven internationalen Umfelds und der instabilen wirtschaftlichen Lage aufgrund der Pandemie gerade besonders gefordert, rasche und kostengünstige Lösungen anzubieten. Die Optimierung und die Digitalisierung von Logistikprozessen sowie die Steigerung der Kundenzufriedenheit sind für sie wichtiger denn je. Hierbei können wir sie gut unterstützen. Für das Supply Chain Management ist zum Beispiel unsere Erfahrung im Aufbau von unternehmensübergreifenden Plattformen und in der Implementierung von Blockchain-Lösungen wertvoll. Dazu kommt unsere Kompetenz in IAM und Informationssicherheit, für die wir auch Beratung anbieten, mit aktuellen Themen wie Datenschutz, Zero Trust Networking und Cloud Security.
Wie positioniert sich Ihre Firma in Bezug auf die unzähligen Cloud-Angebote, die es gibt?
Mit unseren Digitalisierungslösungen zeigen wir unseren Kunden, wie sie Cloud-Angebote effektiv, bereits vom Design her sicher und gemäss regulatorischen Vorgaben einsetzen können. So lassen sich etwa mit «Cloud Native» Platform- und Software-as-a-Service-Angebote von Cloud-Anbietern direkt nutzen. Die Lösungen skalieren sehr gut. Investitionsausgaben lassen sich durch die Nutzung solcher Angebote in Betriebskosten umwandeln. Über die laufenden Plattform-Updates ist auch ein Teil des Technologiemanagements bereits abgedeckt. Mit Hardware-Sicherheitsmodulen (HSM) und Double Key Encryption gewährleisten wir selbst bei hohen Anforderungen bezüglich Daten-Klassifizierung die nötige Sicherheit. Mit unserer Kollaborationsplattform «Secure Cloud Factory» nutzen wir die Cloud auch für die Entwicklung von Software.
«Investitionsausgaben lassen sich durch die Nutzung von Cloud-Angeboten in Betriebskosten umwandeln. Die laufenden Plattform-Updates decken zudem einen Teil des Technologiemanagements ab.»
Welche Anwendungsgebiete für die Modethemen Machine Learning (ML) und künstliche Intelligenz sind für Sie aktuell besonders interessant?
Wir empfehlen die automatische Beantwortung von Kundenanfragen mittels KI-gestützter Spracherkennung und Bot-Technologie. Damit lässt sich die Kundenzufriedenheit deutlich steigern, wie wir mit einem Voicebot für das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau zeigen konnten. Bereits mit 20 trainierten Fragen konnten über 25% der Kundenfragen beantwortet werden, was eine enorme Entlastung bringt. Das Potenzial von Voicebots in diesem Bereich ist noch lange nicht ausgeschöpft. So orten wir zum Beispiel in der bereits erwähnten Versicherungsbranche noch viel Potenzial.
Parallel dazu erkunden wir laufend neue Anwendungsgebiete für Machine Learning (ML) und künstliche Intelligenz und setzen Kundenprojekte damit um. Für Frimobil, den Tarifverbund der öffentlichen Verkehrsmittel im Kanton Freiburg, haben wir eine mobile Anwendung für Umfragen unter den Fahrgästen implementiert. Die darin eingebaute ML-Komponente extrahiert Daten aus einer Vielzahl unterschiedlicher Transporttickets. Frimobil hat damit nicht nur den Umfrageprozess digitalisiert, sondern einen neuen datengesteuerten Service implementiert – und damit die Qualität der Daten für die Einnahmenverteilung verbessert.
Wir erforschen auch Möglichkeiten zum Einsatz von kollaborativem Machine Learning. Und wir führen mit Kunden aus verschiedenen Branchen Workshops durch, in denen wir Use Cases ermitteln und schärfen sowie Wertnachweise (Proof of Value) erbringen. Parallel zu unseren praxisorientierten Analysen bieten wir unseren Kunden ein ML-Sicherheitstraining an. Ziel ist, dass sie erkennen können, wo ihre ML-Anwendungen anfällig sind, um sich wirkungsvoll gegen Bedrohungen zu schützen.
Kommen wir zum Top-Hype-Thema «Blockchain». Was konnten Sie da realisieren?
Wir sehen einerseits eine langsam, aber kontinuierlich wachsende Nachfrage nach Business Solutions auf der Basis privater Blockchains. Mit solchen Lösungen lassen sich Vertrauensketten (Trust Chains) und Auditketten (Nachverfolgungen) in jedem Markt und für alle Arten von Transaktionen aufbauen, etwa im Kunsthandel sowie für die Sicherstellung der Transparenz in Lieferketten. Deshalb haben wir Secure Blockchain for Business gestartet. Auf der Basis einer solchen Blockchain hat AdNovum auch die cardossier-Plattform aufgebaut, die den gesamten Lebenszyklus eines Fahrzeugs abbildet. Die cardossier-Plattform ging im Sommer 2020 live und wird laufend um neue Use-Cases erweitert. Cardossier ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie ein Blockchain-basiertes Ökosystem als Katalysator für die Digitalisierung einer ganzen Branche wirken kann. Solche Lösungen haben also enormes Potenzial. Doch braucht es Zeit, sie am Markt zu etablieren.
Bei den Kryptowährungen dürfte Blockchain aber wohl über dem Zenit sein?
Wir verfolgen auch den Boom der Kryptowährungen mit Interesse. Dabei sehen wir viel Potenzial in der Tokenisierung von Vermögenswerten durch Blockchain-Tokens, die reale, handelbare Vermögenswerte repräsentieren – von Kunstwerken über Gebäude bis hin zu Unternehmensanteilen. Bei den digitalen Assets liegt unser Fokus klar auf der sicheren Verwaltung und Aufbewahrung. Ein Beispiel dafür ist die Lösung, die wir mit der Crypto Finance Gruppe entwickelt haben, einem der führenden Player in der Branche. Solche Lösungen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Wir sehen dort eine wachsende Nachfrage. Ein weiterer Bereich, in dem die Blockchain wirksam eingesetzt wird, ist die Implementierung der Self-Sovereign Identity (SSI) für Transaktionen in diversen Branchen. Eine erste Anwendung von SSI konnten wir Ende 2020 für cardossier bauen. Speziell im Kontext der E-ID und Data-Privacy-Regulierungen (GDPR/ CCPA) halten wir SSI für einen erfolgsversprechenden Ansatz.
«Ein weiterer Bereich, in dem die Blockchain wirksam eingesetzt wird, ist die Implementierung der Self-Sovereign Identity (SSI) für Transaktionen in diversen Branchen.»
Wie schnell können Sie Kunden eine neue Lösung bereitstellen?
Bei den heutigen massgeschneiderten Lösungen nutzen wir Standard-Lösungen (buy) und implementieren spezifische Funktionen (build), welche die Standard-Lösungen auf die Bedürfnisse des Kunden ausrichten. So können wir ab Projektstart in 3 bis 4 Sprints, also in 10 bis 12 Wochen, Lösungen zur Produktionsreife bringen, die dem Kunden bereits signifikanten Mehrwert bringen. Ein Beispiel ist das Tool zum Generieren von Messgrössen bezüglich Environmental-, Social- und Governance-Performance von Unternehmen (ESG Rating Tool), das wir kürzlich für die VP Bank entwickelt haben. Wir brachten die Lösung innert drei Monaten nach Auftragsvergabe live.
Eine neue Funktionalität für eine bestehende Lösung geht noch schneller. Für Holcim hat AdNovum das Projektkoordinierungs-Tool ConcreteDirect entwickelt, mit dem Holcims Kunden direkt in der App Bestellungen aufgeben, ändern und bestätigen sowie den Lieferfortschritt verfolgen können. Seit April 2020 erlaubt ConcreteDirect für die Sicherheit von Holcims Kunden und Lkw-Fahrern während COVID-19 zudem die kontaktfreie Lieferung (Touchless Delivery) – mit Bestätigung auf Basis von Ort und Zeitstempel anstelle einer Unterschrift. Diese Funktion hat unser agiles Team innert einer Woche entwickelt und live gebracht. Bei Kundenprojekten wie dem ESG Rating Tool für die VP Bank, bei denen von Kollaboration und Entwicklung bis zur Produktion alles in der Cloud läuft, können wir Bugfixes oder Änderungswünsche innert Stunden umsetzen.
Sie bieten für Ihre Leistungen oft Festpreise an. Haben sie auch schon mal Geld draufgelegt?
Ja, dies gehört zum Geschäftsrisiko. Wichtiger als der kurzfristige Gewinn ist für uns die Pflege nachhaltiger Kundenbeziehungen. Für uns steht deshalb immer an erster Stelle, ein Projekt erfolgreich abzuschliessen. Wir haben in unserer Geschichte sämtliche Projekte erfolgreich live gebracht – dies ist unser Qualitätszeichen.
Programmierer sind manchmal ausgepowert. Wie steuert man dagegen?
Wir gehen alle Aspekte aktiv an, welche sich um unsere Mitarbeitenden drehen. Während der letzten 15 Monaten haben sie im Homeoffice unter zu Beginn teilweise schwierigen Bedingungen eine enorme Leistung erbracht. Um sie dabei zu unterstützen, haben wir unser Angebot im Bereich Fitness, Wellbeing und Mental-Health sowie Social- und Teambuilding-Aktivitäten ausgebaut. Zusätzlich bieten wir ihnen bei Bedarf Coaching oder betriebliche Sozialberatung an.
Weiter ermöglichen wir individuelle Lösungen im Bereich Smart Work. Aktuell sind wir daran, ein möglichst flexibles Konzept für das zukünftige Arbeiten umzusetzen, mit dem wir die Work-Life-Balance unserer Mitarbeitenden und die Wünsche und Anforderungen von Kunden in Einklang bringen. Diese Aspekte haben wir auch bei der Planung unseres neuen Hauptsitzes an der Kalkbreite in Zürich eingebracht, in den wir im September einziehen werden. Wir freuen uns auf dieses tolle neue Umfeld.
Sie sind jetzt über ein Jahr CEO und konnten die Firma von innen analysieren. Was war der grösste Schritt, der Adnovum nach vorne gebracht hat?
Mein Fokus und Interesse liegen auf der Analyse der Gegenwart und der Gestaltung der Zukunft. Aus meiner Perspektive war es jedoch in den vergangenen dreissig Jahren nicht ein einzelner prominenter Schritt, sondern das immer wieder bewusste Entscheiden für Qualität und Nachhaltigkeit – bei Dienstleistungen und Software, aber auch in den Beziehungen und in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden und Kunden. Ich denke, unsere Firmenkultur, unsere Bereitschaft, füreinander die Extra-Meile zu gehen, hat uns dahin gebracht, wo wir heute stehen.