Ueli Litscher, Mitgründer Vikapu Bomba. (Foto: zvg)
von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Litscher, Sie haben 2014 in Tansania zusammen mit der Tansanierin Catherine Shembilu das soziale Unternehmen Vikapu Bomba gegründet. Sie arbeiten dabei mit Frauengruppen zusammen, die hochwertige Körbe, Taschen und Wohnaccessoires herstellen. Wie kam es dazu?
Ich komme aus einer Diplomatenfamilie und habe deshalb fast zehn Jahre ich Ostafrika gelebt – zuerst in Kenya, dann Mosambik und jetzt seit vier Jahren in Tansania. Ich fühle mich in diesem Teil der Welt also sehr wohl. Durch die Arbeit meiner Eltern konnte ich bereits in jungen Jahren Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit sammeln. In Tansania arbeitete ich während meinen ersten zwei Jahren in unterschiedlichen Entwicklungsprojekten. Ich wurde aber bald kritisch gegenüber der Effektivität dieser Projekte und der klassischen Entwicklungszusammenarbeit generell und kam immer mehr zur Überzeugung, dass sozialorientierte, privatwirtschaftliche Ansätze sehr effektiv und nachhaltig sein können in der Armutsbekämpfung.
Meine Kollegin Catherine gründete als junge Studentin im 2011 eine erste Flechtgruppe von sechs Frauen. Um ihr beim Absatz zu helfen, verkaufte ich ihre geflochtenen Taschen zum ersten Mal Ende 2013 an einem grossen Markt in Dar es Salaam. Die Nachfrage nach den Taschen war überwältigend – innert kürzester Zeit waren wir ausverkauft und nahmen zahlreiche Bestellungen auf. Unmittelbar nach dem Marktverkauf gründeten wir eine zweite Gruppe von lokalen Flechterinnen, und ich erschloss erste Absatzkanäle für deren Produkte – dies war der Beginn von Vikapu Bomba (‚Fantastische Körbe’).
Wie hat sich Vikapu Bomba seither entwickelt?
Was als kleine, lokale Entwicklungsinitiative begann, ist heute ein erfolgreiches soziales Startup-Unternehmen. Wir arbeiten zusammen mit über 60 Flechterinnen und unsere handgeflochtenen Tragetaschen, Korbsets und Wäschekörbe werden in über 35 Boutique- und Fair Trade-Läden bis nach Tokio verkauft. Aufgrund der steigenden Nachfrage und Produktion haben wir mittlerweile eine ‚Capacity Building’-Koordinatorin angestellt, welche neue Flechterinnen ausbildet, sowie eine Koordinatorin in der Qualitätskontrolle.
Wir sind aber immer noch stark im ‚Startup Modus’. Das heisst, dass wir letztlich immer noch alles selber machen: Suchmaschinen optimieren und Websites bauen, Videos drehen und zusammenschneiden bis hin zur Verpackung und Lieferung von Bestellungen – oft lange im Strassenverkehr und in mühsamen Verhandlungen mit lokalen Hafenbeamten. Das ist harte Arbeit und kostet Nerven. Man lernt aber auch unglaublich viel Neues dazu!
«Was als kleine, lokale Entwicklungsinitiative begann, ist heute ein erfolgreiches soziales Startup-Unternehmen.»
Ueli Litscher, Co-Foundes Vikapu Bomba
Sie produzieren in einer traditionellen Korbflechterregion. Aus welchen Materialien sind die Produkte gefertigt?
Alle unsere Produkte sind handgeflochten aus einem lokalen Schilfgrass namens ‚Milulu’. Dieses wächst entlang von Flüssen im südlichen Hochland Tansanias. Nach der Ernte wird das Gras für einen Tag lang getrocknet, bevor es zum Flechten gebündelt wird.
Was zeichnet die Produkte aus?
Als soziales Unternehmen ist unser wichtigstes Ziel, dass unsere Produzentinnen mit ihren Produkten nachhaltig ihre Lebensverhältnisse und die ihrer Familien verbessern können. Wir zahlen unseren Flechterinnen deshalb äusserst faire Preise. Einzigartig an Vikapu Bomba ist, dass wir alle unsere ‚Mamas’ persönlich kennen. Um auch unseren Kunden einen Einblick in das Leben der Frauen zu ermöglichen, ist jedes unserer Produkte versehen mit einem persönlichen Etikett der individuellen Produzentin. So wollen wir die grosse Distanz zwischen Konsument/innen und Produzentinnen überbrücken.
Wie Sie erwähnt haben, beschäftigen Sie derzeit über 60 Flechterinnen. Sind diese bei Ihnen angestellt oder funktionieren sie autonom und beliefern Vikapu Bomba mit ihren Produkten?
Wir stellen unsere Flechterinnen nicht direkt an sondern helfen ihnen, sich in Produzentinnengruppen zu organisieren – mit ausgebildeten ‚Leitflechterinnen’, die lernen, ihre Gruppen als unabhängige Kleinunternehmen zu führen. Diese Leiterinnen übernehmen die Rekrutierung und Ausbildung von neuen Produzentinnen, die Überwachung von Produktionszielen und die Qualitätskontrolle und führen eine Buchhaltung.
Dieses Konzept ist gerade deshalb nachhaltig, weil die Frauen eben ihre Gruppen selber führen und lokale unternehmerische Kapazitäten aufgebaut werden. Zusätzlich erlaubt uns dieses Modell trotz des schnellen Wachstums des Unternehmens immer noch eine sehr schlanke Geschäftsstruktur. Damit minimieren wir unsere Kosten und können unsere sehr fairen Ankaufspreise aufrechterhalten.
«Flechterinnen sollen sämtliche ihre Haushaltsausgaben decken und gleichzeitig für zukünftige Investitionen oder Notfälle Ersparnisse aufbauen können.»
Wie hoch sind denn die Löhne der Flechterinnen?
Wir zahlen nicht direkt Löhne an unsere Flechterinnen sondern bezahlen diese pro Produkt. Dies setzt Anreize, um über effizientes Flechten ein grösstmögliches Einkommen zu generieren. Grundsätzlich werden unsere Ankaufspreise zusammen mit den Flechterinnen bestimmt. Dabei sollen Flechterinnen sämtliche ihre Haushaltsausgaben decken und gleichzeitig für zukünftige Investitionen oder Notfälle Ersparnisse aufbauen können. Die Preise liegen im Schnitt 250% über den lokalen Marktpreisen. Vom Verkaufspreis bleiben rund 30% bei den Flechterinnen.
Kommen die Flechterinnen ihrem gelernten Handwerk nach oder bildet sie das Unternehmen aus?
Flechten hat eine lange Tradition im südlichen Hochland Tansanias. Das ist ja eigentlich das Schöne an unserem Konzept. Wir führen nichts Neues ein, sondern bauen lediglich auf bereits existierenden Fähigkeiten auf. Unsere Qualitätsstandards sind sehr hoch. Neue Produzentinnen arbeiten in den ersten zwei Monaten mit erfahrenen Flechterinnen zusammen, bis sie sämtliche Qualitätsmerkmale des Produktes meistern.
Vor Vikapu Bomba hatten vielen Frauen ihr Flechten aufgebeben, weil sie keine Möglichkeit hatten, ihre Produkte zu verkaufen. Durch Schaffung von Zugang zu internationalen Märkten tragen wir also auch zur Wiederbelebung einer alten tansanischen Tradition bei.
Wie haben sich Leben und Arbeit für die Flechterinnen verändert, seit sie für Vikapu Bomba produzieren können?
Die Auswirkungen von Vikapu Bomba auf das Leben der Flechterinnen und ihrer Familien sind deutlich erkennbar. Alle unsere ‚Mamas’ können nun ihre gesamten Haushaltsausgaben decken und ihre Familien mit ausreichend gesundem Essen versorgen. Die Mehrheit der Flechterinnen investiert einen Teil des Flechteinkommens in lokalen Spargruppen. Über diese Gruppen können sie dann Geld beziehen, wenn sie dieses am meisten benötigen: zur Bezahlung von Schulgeldern und Uniformen für die Kinder, zur Deckung von Gesundheitskosten oder auch zur Bezahlung von Teilzeitarbeitern, welche während der Ernte der angebauten landwirtschaftlichen Produkte aushelfen. Viele Flechterinnen schicken ihre Kinder bereits in gute Schulen in der Stadt. Einzelne ‚Mamas’ re-investierten ihr Flechteinkommen sogar in zusätzliche Kleinunternehmen als zweite Einnahmequelle.
Wie ist der Vertrieb organisiert und wo sind die Produkte erhältlich?
Catherine koordiniert im südlichen Hochland die Produktion, und ich bin verantwortlich für die Vermarktung von Dar es Salaam aus, an der Küste. Aufgrund der grossen Nachfrage produzieren wir stets auf voller Kapazität. Am Monatsende haben wir normalerweise alle unsere Produkte verkauft. Wir beliefern zahlreiche Hotel-Boutiqueläden in Tansania. Unsere grösste Kundin ist aber in Tokio, eine engagierte Japanerin, welche dort einen erfolgreichen Fair Trade Laden führt.
Lassen sich die Produkte auch online bestellen?
Wir sind in Zusammenarbeit mit einem Logistikunternehmen in München gerade im Aufbau eines Onlinevertriebssystems. Ab Juli sind in unserem Onlineshop alle unsere Produkte international bestellbar. Im Moment sind unsere Produkte zudem online auf unserer Crowdfunding-Kampagnenseite erhältlich.
«Über unsere Crowdfunding-Kampagne, welche am 2. Mai startete und bis Mitte Juni läuft, können engagierte Menschen, durch Bestellung unserer Produkte, Teil vom Projekt werden und uns helfen, unsere nächsten grossen Wachstumsschritte zu finanzieren.»
Welches waren beim Aufbau des Unternehmens die grössten Herausforderungen und welche sind es heute?
Das Leben in Tansania ist eine wilde Achterbahn von Emotionen. Auch die einfachsten Dinge sind kompliziert und dauern oft sehr lange. Das braucht Nerven und kostet viel Energie. Unser bisher grösstes Problem war, dass wir trotz stetiger Produktionssteigerung der wachsenden Nachfrage nie nachkommen konnten. Wir mussten deshalb auch schon Bestellungen absagen.
Sie haben die aktuelle Crowdfunding-Kampagne angesprochen. Welche Pläne sollen über den Onlineshop mit einer erfolgreichen Finanzierungskampagne verwirklicht werden?
Wir befinden uns in einer äusserst spannenden Phase des Startups. Über unsere Crowdfunding-Kampagne, welche am 2. Mai startete und bis Mitte Juni läuft, können engagierte Menschen, durch Bestellung unserer Produkte, Teil vom Projekt werden und uns helfen, unsere nächsten grossen Wachstumsschritte zu finanzieren.
Durch die Finanzierung der Ausbildung von über 100 neuen Flechterinnen werden wir unsere Produktionskapazität mehr als verdoppeln. Wir werden zudem in den Flechtgemeinden lokale Flechtzentren errichten und einen zentralen Workshop mit einem eigenen Schneider aufbauen. Die erfolgreiche Finanzierungskampagne wird es uns zudem ermöglichen, das erwähnte Onlinevertriebssystem mit Sitz in Deutschland zu testen und aufzubauen.
Wie sehen Sie die Entwicklung Ihres Unternehmens in den kommenden Jahren?
Unsere Expansionspläne werden uns für die nächsten zwei Jahre beschäftigen. Die Umsetzung dieser Pläne wird die Nachhaltigkeit des Unternehmens stärken und es uns erlauben, in Zukunft vielen zusätzlichen Familien eine Perspektive zu geben, ihre Lebensumstände mit sicherer Arbeit und fairem Einkommen dauerhaft zu verbessern.
Herr Litscher, wir bedanken uns für das Interview.
Zur Person:
Ueli Litscher ist gebürtiger Berner und ist 29 Jahre alt. Obschon er sein halbes Leben im Ausland verbrachte, fühlt er sich immer noch eng verbunden mit der Stadt Bern, welche er sein Zuhause nennt und wo er immer noch ein sehr enges soziales Netzwerk von Freunden pflegt. Nach seinem Master in Entwicklungswissenschaften zog er nach Tansania, wo er seit vier Jahren lebt zusammen mit seiner amerikanischen Verlobten und ihren zwei Katzen.