Ueli Locher, Direktor HEKS
Ueli Locher, Direktor HEKS
von Patrick Gunti
Moneycab: Herr Locher, welches ist die zentrale Botschaft des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Schweiz?
Ueli Locher: HEKS setzt sich ein für eine menschlichere und gerechtere Welt. Im Zentrum seines Engagements zugunsten von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen steht die Würde jedes Menschen. HEKS arbeitet nach dem Grundsatz «Hilfe zur Selbsthilfe». Schon eine kleine Hilfe kann, richtig eingesetzt, den Alltag für viele Menschen nachhaltig verbessern. Unser Claim «Im Kleinen Grosses bewirken» bringt das zum Ausdruck.
Welches sind die aktuell wichtigsten Kampagnen von HEKS?
Zu den wichtigen Kampagnen, mit denen HEKS an die breite Öffentlichkeit gelangt, gehört etwa die Inlandkampagne im Frühjahr, die sozial benachteiligten Menschen in der Schweiz eine Stimme gibt. Im Winter finden jeweils die Aktion «Hilfe schenken» und die HEKS-Sammelkampagne zur Weihnachtszeit statt. Letztere stellt die Entwicklung ländlicher Gemeinschaften in den Fokus und konzentriert sich 2011 auf den Zugang zu Land. Die Spendeneinnahmen kommen in diesem Jahr mittellosen Plantagenarbeitenden auf den Philippinen zugute, die für ihr eigenes Stück Land kämpfen.
Wie viele Projekte betreut HEKS derzeit und welches sind die Schwerpunktregionen?
Es sind rund 200 Projekte im In- und Ausland. Die Schwerpunktregionen im Ausland sind Südasien und Südostasien, Mittlerer Osten, Südliches Afrika und die Sahelländer, Lateinamerika sowie Europa, hautsächlich Osteuropa.
«Der Kampf um Aufmerksamkeit in den Medien ist schon seit vielen Jahren eine Realität.»
Ueli Locher, Direktor HEKS
Wo setzt HEKS in der Schweiz die Schwerpunkte seiner Arbeit?
HEKS setzt sich ein für ausgegrenzte und benachteiligte Personen. Das kann heissen, dass wir ihnen Rechtsberatung anbieten, damit sie in Auseinandersetzungen mit Behörden und Versicherungen zu ihrem Recht kommen. Es kann aber auch bedeuten, dass wir sie mit gezielten Projekten (z.B. Sprachkurse, berufliche Integration, Wohnbegleitung) darin unterstützen, ihren Platz in unserer Gesellschaft zu finden. Denn wer teilhaben kann am gesellschaftlichen Leben und für sich selbst Verantwortung übernimmt, der fällt der Allgemeinheit nicht zur Last.
Wie werden die Kampagnen hauptsächlich finanziert?
Sie werden aus Mitteln finanziert, die man uns anvertraut, ohne dafür einen bestimmten Verwendungszweck zu nennen.
In den Medien dominiert seit Monaten das Thema Schuldenkrise und ihre Folgen auch für die Schweiz die Schlagzeilen. Fällt es angesichts dieser Fokussierung schwerer, die Aufmerksamkeit auf Ihre Anliegen zu lenken?
Nein, der Kampf um Aufmerksamkeit in den Medien ist schon seit vielen Jahren eine Realität. Grosse Naturkatastrophen, wie der Tsunami oder das Erdbeben in Haiti, machen regelmässig Schlagzeilen. Weniger spektakuläre Themen haben es schwieriger und werden leider zu selten in vertiefenden Hintergrundberichten dargestellt.
Die Verunsicherung in weiten Teilen der Bevölkerung und in den Unternehmen ist gross, viele Menschen verlieren ihren Job. Schlägt sich das auch in einer nachlassenden Spendenbereitschaft nieder?
Nein. Gerade wenn es den Menschen in der Schweiz nicht mehr so gut geht, sie vielleicht den Gürtel etwas enger schnallen müssen, erinnern sie sich offenbar daran, dass es andern noch schlechter geht. Es scheint als werde die Solidarität dadurch gestärkt, dass man am eigenen Leib erfährt, was es heisst, Einschränkungen zu akzeptieren. Dafür gebührt der Schweizer Bevölkerung ein riesengrosses Dankeschön.
«Gerade wenn es den Menschen in der Schweiz nicht mehr so gut geht, sie vielleicht den Gürtel etwas enger schnallen müssen, erinnern sie sich offenbar daran, dass es andern noch schlechter geht.»
Viele Menschen haben Zweifel, dass von ihnen gespendetes Geld auch wirklich vollumfänglich und sinnvoll vor Ort eingesetzt wird. Wie können Sie das kontrollieren?
Die Zertifizierung durch die ZEWO garantiert einen sorgfältigen Umgang mit Spendengeldern. HEKS hat zahlreiche interne Kontrollen eingerichtet, die sicherstellen, dass die Gelder am richtigen Ort ankommen. Die Projekte im Ausland werden zudem regelmässig von unabhängigen Revisionsstellen kontrolliert. Deren Berichte werten wir aus und prüfen jeweils, wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt. Schliesslich wird die HEKS-Jahresrechnung durch eine zertifizierte Revisionsstelle in der Schweiz geprüft.
Korruption ist in den Ländern, in denen HEKS tätig ist ein weit verbreitetes Problem. Wie geht das HEKS damit um?
Durch klare und verbindliche Vorgaben, wie Projekte abgewickelt, Einkäufe getätigt, die Buchhaltung geführt und Tätigkeitsberichte verfasst werden, kann das Risiko der Korruption erheblich gesenkt werden. Dann sind aber auch unsere Mitarbeitenden vor Ort und die Programmverantwortlichen in der Schweiz, welche jedes Projekt ein- bis zweimal pro Jahr besuchen, wichtige Garanten für eine korrekte Verwendung der Spendengelder. Ganz kann man Korruption nie verhindern – auch in der Schweiz nicht.
Mit Brot für alle oder mission 21 gibt es weitere evangelische Werke in der Schweiz. Wo liegen einerseits die Gemeinsamkeiten und die Gebiete der Zusammenarbeit, wie unterscheiden sich andererseits die Aufgaben und Ziele?
Uns verbinden die Verankerung in den Evangelischen Kirchen der Schweiz und die gemeinsame Vision einer gerechteren Welt. Mit unserer Arbeit setzen wir uns dafür ein, dass alle Menschen ein Leben in Würde führen können.
Mission 21 arbeitet primär mit kirchlichen Organisationen in aller Welt zusammen, Brot für alle sensibilisiert in der Schweiz für wichtige entwicklungspolitische Themen und sammelt Geld für rund ein Dutzend kirchliche Hilfswerke, während der Schwerpunkt von HEKS auf der konkreten Durchführung von Projekten im In- und Ausland liegt.
«Solange wir unsere Hilfeleistungen nicht von einer bestimmten Religionszughörigkeit abhängig machen oder gar missionieren, sind wir überall willkommen.»
HEKS ist in vielen muslimischen Ländern wie etwa Indonesien, Bangladesch oder Pakistan tätig, ebenso im von Hindus, Buddhisten und Muslimen bevölkerten Indien sowie im vorwiegend katholischen Lateinamerika. Gibt es in diesen Ländern und Gebieten keine Vorbehalte gegenüber einem evangelischen Hilfswerk?
Nein, überhaupt nicht. Solange wir unsere Hilfeleistungen nicht von einer bestimmten Religionszughörigkeit abhängig machen oder gar missionieren, sind wir überall willkommen.
HEKS setzt sich für eine menschlichere und gerechtere Welt ein. Was antworten Sie Menschen, die Sie fragen, warum Gott das Unmenschliche und das weit verbreitete Unrecht auf der Welt überhaupt zulässt?
Die Beantwortung dieser Frage möchte ich den Theologen überlassen. Für mich ist von Bedeutung, dass in der Bibel steht, Jesus hätte gesagt: „Was du einem der Geringsten hast getan, das hast du mir getan.“ Damit ist der Auftrag eines kirchlichen Hilfswerkes eigentlich klar gegeben.
Welche Rolle spielt der Glaube in Ihrer täglichen Arbeit?
Ich bin überzeugt, dass vor allem Menschen, denen es gut geht im Leben, auch in der Pflicht stehen, jenen beizustehen, die nicht auf der Sonnenseite stehen. Wir sind schliesslich als Menschen verletzlich und können jederzeit selbst in die Lage kommen auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Tragen wir also im Rahmen unserer Möglichkeiten bei, Not zu lindern und anderen Menschen Perspektiven für die Zukunft zu eröffnen. Ich hoffe, das gelingt mir mit meiner Arbeit ein klein wenig.
Es ist kurz vor Weihnachten, und vielleicht ist noch jemand auf der Suche nach einem sinnvollen Weihnachtsgeschenk. Was für überraschende Geschenkideen hält das HEKS mit seiner Aktion „Hilfe schenken“ bereit?
Zum Beispiel 30 Enten. Sie kosten nur 30 Franken, ermöglichen aber BäuerInnen in Bangladesch den Schritt in eine selbstbestimmte Zukunft. Oder einen Wassertank für 100 Franken, der Kleinbäuerinnen und –bauern im trockenen Süden von Honduras hilft, das Regenwasser zu speichern und damit die nächste Ernte und das Überleben ihrer Familien zu sichern. Weitere neue und überraschende Geschenke können auf der Website www.hilfe-schenken.ch direkt bestellt werden.
Herr Locher, ganz herzlichen Dank für das Interview.
Zur Person:
Ueli Locher (59)
Wohnhaft in Zürich
Verheiratet, Vater einer Tochter
Seit 2007 Direktor von HEKS