Ulrich Graf, VR-Präsident Dorma+Kaba Holding AG. (Bild: Kaba)
Interview von Anouk Arbenz und Christoph Hilber, Unternehmerzeitung, P-Connect
Sie sind nach langer operativer Karriere nun seit ca. zehn Jahren Profi-VR in Ihrem «eigenen» und weiteren Schweizer Industrieunternehmen. Was treibt Sie an, diese verantwortungsvollen Positionen in einem sehr hektischen Markt innezuhaben?
Ulrich Graf: Vorab vielleicht noch eine Bemerkung: «Profi-VR» gefällt mir nicht. Das klingt so distanziert.
Wie würden Sie ihren grossen Erfahrungsschatz denn eher umschreiben?
Ich würde mich einfach als engagierten Verwaltungsrat bezeichnen. Ich führe gerne Menschen und arbeite gerne mit ihnen zusammen. Wenn man die richtigen um sich hat, kann man Unternehmens-Strategien besprechen und sie schliesslich auch umsetzen. Nur umgesetzte Strategien sind gute Strategien. Wenn man Erfolg dabei hat, ist es ein angenehmer Nebeneffekt, dass sich auch das Salär entsprechend verändert. Geld war zwar nie meine Triebfeder, aber ein Zustupf ist trotzdem nicht schlecht. Was mich weiter antreibt, ist meine Ingenieur-Seele. Technik fasziniert mich heute noch.
«Grundsätzlich habe ich ein grosses Urvertrauen. Darum kann ich auch mit ungelösten Problemen ins Bett.» Ulrich Graf, VR-Präsident Dorma+Kaba
Wie wird man VR in den Firmen Ihrer Mandate?
Da gibt es kein Standardrezept. Ich glaube, man muss genügend lange in einer einflussreichen, operativen Position gewesen sein, in der man sein Können bewiesen hat. Aufgabe des Umfeldes ist dann, zu erkennen, wer auch als VR geeignet ist. Meine ausschlaggebende Position war CEO bei Kaba. Irgendwann haben die Leute gemerkt, wer da im Hintergrund geschoben hat. Immerhin bin ich mittlerweile fast 40 Jahre lang bei Kaba. Und wenn man einmal auf Sie aufmerksam geworden ist, kann es auch vorkommen, dass man sich vor Angeboten fast nicht mehr retten kann.
Dann mussten Sie sich auch die richtigen herauspicken?
Genau, da habe ich mir einige herausgepickt. Das ist auch der Grund, weshalb ich so viel machen kann: Ich habe die richtigen ausgewählt. Alle diese Mandate sind Industriefirmen – ausser der Rega natürlich, aber hier greift meine Pilotenseele – und haben mindestens in einer Sparte mit Gebäuden zu tun. Und damit kenne ich mich nun eben aus.
«Verantwortung trägt man doch nicht, die müssen Sie ausführen. «L’abilité de donner une réponse» – «respons-abilité».»
Hält einen die Verantwortung nachts auch mal wach?
Grundsätzlich habe ich ein grosses Urvertrauen. Darum kann ich auch mit ungelösten Problemen ins Bett. Wenn Sie Unternehmer spielen wollen, müssen Sie damit leben können. Sonst sind Sie wenig problemresistent und als CEO weniger geeignet.
Dennoch tragen Sie doch mit den verschiedenen Firmen eine grosse Verantwortung.
Verantwortung trägt man doch nicht, die müssen Sie ausführen. «L’abilité de donner une réponse» – «respons-abilité». Das müssen Sie ausüben. Was Sie ansprechen, ist die Haftung. Die Haftung, die man im schlecht verlaufenen Fall tragen muss.
«Man kann die Konkurrenz mit besseren Methoden und Produkten nicht ewig überflügeln. Darum lohnt sich von Zeit zu Zeit eine kluge Akquisition.»
Welche Verantwortung tragen Sie bezuüglich Unternehmensgewinn?
Ein nachhaltiger Gewinn in einem Unternehmen ist ein absolutes Muss. Es gibt nichts Sozialeres als nachhaltigen Gewinn. Nur weil Sie Gewinn machen, können Sie sich sozial verhalten. Das heisst nicht, dass sich jeder, der Gewinn macht, auch sozial verhält (lacht). Leider habe ich noch keine Methode gefunden, wie man ohne Umsatz direkt Gewinn machen kann (lacht wieder). Auch ohne das vierteljährliche Hyperventilieren an der Börse müssen Sie liefern. Man will Wachstum – einerseits beim Umsatz, andererseits beim Gewinn. Umsatzwachstum ist organisches Wachstum, dafür müssen Sie Ihre Kunden überzeugen. Mit dem Gewinnwachstum landen Sie irgendwann auf dem Marktwachstum. Man kann die Konkurrenz mit besseren Methoden und Produkten nicht ewig überflügeln. Darum lohnt sich von Zeit zu Zeit eine kluge Akquisition.
Was ist denn eine kluge Akquisition?
Sie brauchen Komplementarität. Und zwar im Produkteportfolio, in der Wertschöpfungskette und in der Geografie.
Was sind die grössten internen und externen Herausforderungen des VRs?
Das Geschäft zu verstehen. Ich habe schon oft erlebt, dass selbst erfahrene Verwaltungsräte nicht einmal die wichtigsten Konkurrenten des Unternehmens aufzählen konnten. Man muss das Geschäft, die Branche und die KPIs kennen, sonst funktioniert das nicht.
«Die Frauenquote ist in meinen Augen der falsche Weg.»
Gibt es genügend Frauen, die in den VRs unternehmerisches und technisches Know-how einbringen?
Diejenigen Frauen, die sich einen Namen in diesem Umfeld gemacht haben, können sich momentan vor VR-Mandaten kaum retten. Diejenigen, die an irgendwelchen VR-Programmen zur Frauenförderung teilnehmen, stehen etwas verloren da. Man kennt diese kaum, weil sie sich nicht vorher im operativen Bereich einen Namen gemacht haben. Die Frauenquote ist in meinen Augen der falsche Weg.
Welche Herausforderungen gibt es mit der Konkurrenz?
Ich habe mich immer auch in den Nachbar-Branchen informiert. Denn hier kann es passieren, dass plötzlich etwas vorangetrieben wird, das die eigenen Produkte substituiert. Wir haben aus unseren Nachbar-Branchen sehr früh gelernt, dass man zum Beispiel das Smartphone als Zutrittsmedium gebrauchen kann.
Besteht in dieser ganzen Digitalisierung nicht eine gewisse Kannibalisierungsgefahr?
Nein, glaube ich nicht. Als ich vor 40 Jahren hier angefangen habe, habe ich festgestellt, dass die Sicherheitsbranche 150 Jahre lang geschlafen hat. Damals hatte Linus Yale das Zylinderschloss erfunden. Seither war nichts Wesentliches mehr passiert. Was macht man also als Ingenieur? Man differenziert sich durch Technik. Wir haben unsere Branche aufgeweckt, weil wir dauernd Innovationen auf den Markt brachten, denen alle anderen teilweise nachrennen mussten.
Sind Sie als VRP noch immer so nahe am technischen Geschehen?
Sie werden nicht viele VRPs finden, die so viel vom Geschäft verstehen wie ich vom Kaba-Geschäft. Hier muss ich mich immer etwas zurückhalten. Ich würde gerne jeden Tag zwei Stunden in unsere Entwicklungsabteilungen gehen. Aber es ist klüger, Innovation an jüngere, bessere Ingenieure zu delegieren.
Was hat Dorma+Kaba an sich, dass Sie dieser Firma so lange treu geblieben sind?
Dorma+Kaba ist schon längst nicht mehr die alte Kaba. Ich habe diese Firma oft verändert. Darum bin ich eigentlich immer wieder in einer neuen Firma gewesen, konnte aber fast immer Mitarbeiter und Verwaltungsrat überzeugen, wie diese Firma aussehen soll. Mir wurde es nie langweilig. Was es aber braucht, ist die Fähigkeit, qualifizierte Leute anzuziehen und durch gute Führung auch zu halten, indem man ihnen den Spass an der Arbeit nicht nimmt.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie verändern?
Dass man den Föderalismus in einer vernünftigen Form weiterentwickelt. Weiter sollten wir die Initiativbedingungen den heutigen Verhältnissen anpassen. Für alles gibt es Kommissionen: Eine Übernahmekommission, Kartellrechtskommission, Finma etc. Wieso nicht auch eine Initiativkommission? Eine die sagt, was in die Verfassung gehört und was nicht. Persönlich wünsche ich mir, dass ich weiterhin die Kraft dazu habe, zu verändern, was ich verändern kann; die Gelassenheit, zu ertragen, was ich nicht verändern kann sowie die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Der Gesprächspartner:
Ulrich Graf wurde am 16. Mai 1945 in Winterthur geboren. Nach der Matura und dem Elektroingenieurstudium an der ETH Zürich wurde er Technischer Leiter der Procalor AG in Zürich, bevor er 1976 die Geschäftsführung verschiedener Bauer Kaba Gesellschaften übernahm. 1984 wurde Ulrich Graf Mitglied der Unternehmensleitung und 1989 Mitglied des Verwaltungsrates der Kaba Holding AG in Rümlang. 1990 bis 2006 war er CEO und Delegierter des Verwaltungsrates, den er seit 2006 präsidiert.
Weitere Tätigkeiten sind: Präsident Verwaltungsrat Dätwyler Holding AG, Griesser Holding AG; Verwaltungsrat Georg Fischer AG, Feller AG; Mitglied Präsidialrat Dekra e.V.; Stiftungsratspräsident der Rega Schweiz. 1966 wurde Ulrich Graf als Militärpilot brevetiert und flog diverse Flugzeuge und Helikoptertypen der Luftwaffe. Er ist auch heute noch fliegerisch aktiv und der Aviatik verbunden.