Urs Berger, Präsident Schweiz. Versicherungsverband.
Interview von Mitarbeitenden des Europa Forums Luzern
Europa Forum Luzern: Der wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland hat im ersten Quartal Optimismus ausgelöst. Die Finanzmärkte reagierten in jüngster Zeit aber wieder sehr negativ auf die anhaltende Schuldenkrise. Wie schätzen Sie die Entwicklung der Versicherungswirtschaft in Europa und in der Schweiz ein?
Urs Berger: Die starke Volatilität der Märkte und die zum Teil hohe Staatsverschuldung verursachen allgemein grosse Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Europa wie auch in den USA und schüren spürbar die Angst vor einer starken Rezession. Unklar sind auch die langfristigen Auswirkungen der Katastrophe von Fukushima. Zwar ist die Schweiz weit weniger stark von der Finanzmarktkrise betroffen, doch sind Chancen wie Risiken in einer solchen Situation stets auch im globalen Kontext zu betrachten. Herausforderungen für die Weiterentwicklung der Versicherungsindustrie im gesättigten Schweizer Markt werden die Entwicklung neuer Produkte oder auch die Definition interessanter Nischenmärkte sein. Es gilt aber auch, sich in Wachstumsmärkten ausserhalb der Schweiz und gar ausserhalb Europas zu etablieren.
«Der starke Franken trägt massgeblich zur weiteren Attraktivitätssteigerung der Schweiz für Arbeitnehmer aus dem Ausland bei.» Urs Berger, Präsident Schweiz. Versicherungsverband
Welche Auswirkungen hat die gegenwärtige Frankenstärke auf Ihre Branche?
Wie für viele andere Branchen birgt die Frankenstärke auch für die Schweizer Versicherungswirtschaft ein gewisses Risiko, bietet aber wiederum auch Chancen. Zum einen kann der hohe Franken zu Währungsverlusten auf Anlagen in Fremdwährungen und damit zu tieferen Finanzergebnissen führen. Auf der anderen Seite kann die Nachfrage nach finanzieller Absicherung bestimmter Risiken in unsicheren Zeiten steigen, was zu höheren Prämieneinnahmen führt. Zukäufe im Ausland könnten für Schweizer Gesellschaften attraktiver werden, ebenso wie deren Aktien. Die Versicherungswirtschaft hat sich in der Finanzmarktkrise als Stabilisator unserer Volkswirtschaft erwiesen und vieles deutet darauf hin, dass dies weiterhin so sein wird. Gegen einen hohen Franken können steuerliche und regulatorische Entlastungen helfen – damit der Finanzplatz Schweiz für Unternehmen und Investoren attraktiver wird.
Welche Folgen hat dies für Arbeitgeber und Arbeitnehmende in Ihrer Branche?
Der starke Franken trägt massgeblich zur weiteren Attraktivitätssteigerung der Schweiz für Arbeitnehmer aus dem Ausland bei. Der Schweizer Versicherungsstandort profitiert im Rahmen des derzeit herrschenden «War for Talents» bei der Rekrutierung ausländischer Topkräfte durchaus von dieser Situation. Und für Grenzgänger ist das ohnehin schon vergleichsweise hohe Lohnniveau in der Schweiz in Kombination mit der Währungsstärke ganz besonders interessant. Die Versicherungsbranche wird in der Schweiz in der personellen Besetzung sicher noch internationaler werden. Kurzfristig ändert die Frankenstärke innerhalb der Schweiz für die Mitarbeitenden der Versicherungen kaum etwas. Allerdings kann gerade durch die Internationalisierung der Belegschaft der Druck auf die Schweizer Arbeitnehmer steigen.
Was für Auswirkungen würde ein Staatsbankrott eines EU-Landes auf die Schweiz und speziell auf die Versicherungswirtschaft haben?
Nur schon auf Grund der intensiven Handelsbeziehungen ist die Stabilität der EU-Staaten für unsere Branche sehr wichtig. Für die Schweizer Versicherungswirtschaft würde aber keine bedrohliche Situation entstehen. Zwar ist die Auswirkung eines «Crash» und dadurch der generellen Vernichtung von Werten auf dem Finanzmarkt – an dem auch die Versicherer teilhaben – schlicht nicht absehbar. Aber wir haben Lehren aus der letzten Krise gezogen und erkannt, dass auch Staatsanleihen keine absolute Sicherheit bieten. Mittlerweile hat die Branche das Risiko kontrollierbar organisiert und den Quotenanteil von Staatsanleihen angepasst. Die Versicherungswirtschaft unterstützt denn auch den Grundsatz der solvenzbasierten Versicherungsaufsicht. Das im Schweizer Solvenztest SST verankerte Denken, Rechnen und Planen in Risikoszenarien – und gar in Extremszenarien – hat sich in der ersten Finanzkrise von 2008 bewährt und seinen Zweck erfüllt. Inzwischen ist aber bekannt, dass das Schweizer Regelwerk für die Lebensversicherungen wesentlich strenger ist als die geplanten EU-Normen. Das kann ein Wettbewerbsnachteil für die Schweizer Unternehmen sein. Deshalb setzen wir uns vehement für die Angleichung der Schweizer Risikovorschriften an diejenigen der EU nach Solvency II ein.
«Die Versicherer unterliegen strengeren Anlagevorschriften als die Pensionskassen. Dies gilt auch für die Investitionsquoten in ausländische Staatsanleihen.»
Gefährden Investitionen der Versicherer in ausländische Staatsanleihen die Schweizer Pensionskassengelder oder andere Anlagen?
Die Versicherer unterliegen strengeren Anlagevorschriften als die Pensionskassen. Dies gilt auch für die Investitionsquoten in ausländische Staatsanleihen. Von einer generellen Gefährdung durch das Anlageverhalten der Versicherer kann deshalb nicht gesprochen werden. Aber natürlich spielt auch die individuelle Anlagestrategie und dementsprechend das Risikokapital der Versicherer eine Rolle. Die hohen Solvenzanforderungen der Finanzmarktaufsicht berücksichtigen Szenarien, wie wir sie derzeit erleben. Deshalb, aber vor allem dank den von den Versicherern selbst umgesetzten Anpassungen nach der letzten Krise können sich Versicherungskunden auch weiterhin auf ihren Versicherer verlassen.
Was bedeutet es für die Schweizer Versicherer, wenn sich im Zuge der Euro-Krise private Gläubiger an den Kosten einer Umschuldung beteiligen?
Da die Schweizer Versicherer den Anteil von Staatsanleihen gefährdeter Länder in ihren Portfolios unter Kontrolle haben, ist – soweit es sich um Solidaritätsmassnahmen handelt – nicht von einem unmittelbaren Gefahrenszenario für die schweizerische Versicherungswirtschaft auszugehen: ihre Liquidität ist breit abgesichert.
21 internat. Europa Forum Luzern vom 7./8. November 2011
Wege aus der Schuldenkrise
Antworten auf aktuell brennende Fragen und mögliche Wege aus der Schuldenkrise zeigen am 21. internationalen Europa Forum Luzern vom 7. und 8. November im KKL Luzern Top-Shots aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Am Symposium vom 8. November analysieren hochkarätige Experten die aktuelle Lage im internationalen Kontext. Neben Jürgen Stark und Thomas Jordan sprechen William White von der OECD, der CEO des Euro-Rettungsfonds Klaus Regling sowie Professor Harold James von der Princeton University, USA. Länderexperten wie der Irland-Korrespondent Martin Alioth oder Werner van Gent aus Griechenland beurteilen die ungemütliche Lage aus Sicht der betroffenen Staaten. Über die Situation und Perspektiven der Schweiz, angesichts der dramatischen internationalen Entwicklungen, diskutieren Fritz Zurbrügg, Chef der eidgenössischen Finanzverwaltung, Urs Berger vom Schweizerischen Versicherungsverband, Wirtschafts-Leader sowie Schweizer Finanzwissenschaftler. Am Vorabend wird im Beisein von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf die schweizerische Finanzpolitik im internationalen Umfeld erörtert. Während Ökonomieprofessor Bert Rürup die Lage des Euro analysiert. In der anschliessenden Wirtschaftsrunde diskutieren unter anderen Economiesuisse-Präsident Gerold Bührer, Nationalbank-Vizepräsident Thomas J. Jordan, Patrick Odier, Präsident der Bankier-Vereinigung, und Jürgen Stark, Direktionsmitglied der Europäischen Zentralbank über die Risiken der Schuldenkrise für Europa und die Schweiz.
21. Internationales Europa Forum Luzern, Montag, 7. und 8. November 2011 im KKL Luzern. Symposium Dienstag, 8. November 2011 (9 bis 17.15 Uhr) Eintritt CHF 350.00, Weitere Infos und Anmeldung: www.europa-forum-luzern.ch – Öffentliche Eröffnungsveranstaltung Montag, 7. November, 2011 von 17.30 Uhr bis 19. 30 Uhr (gratis – Anmeldung obligatorisch)