von Patrick Gunti
Moneycab.com: Herr Kessler, Sie sind als optimistischer Mensch bekannt. Kommt Ihnen diese Lebenseinstellung nach bald zwei Jahren in der Pandemie nie abhanden?
Urs Kessler: Im Gegenteil: Mein Optimismus hilft mir auch gerade in diesen herausfordernden Zeiten. Ich will vorwärtsschauen, das Jungfraubahnen-Team immer von Neuem motivieren und das Unternehmen möglichst sicher und umsichtig durch diese unruhigen Zeiten führen.
Zum Jahresende hin konnte die Jungfrau Ski Region den besten Saisonstart seit zehn Jahren vermelden. Bemerken Sie bei vielen Gästen auch eine wiederentdecke Lust auf Outdoor-Sport, nach dem Motto «bloss raus an die frische Luft»?
Das ist sicher einer der Gründe. Dazu kommt, dass doch viele Schweizerinnen und Schweizer nun bereits den zweiten Winter eher in der Schweiz als irgendwo am Meer verbringen. Sie sind auf den Geschmack gekommen, das stellen wir auch bei den guten Verkaufszahlen von Winterwander- und Schlittelpässen fest. Wie die Ski- und Snowboardfans werden sie alle auch von der neuen V-Bahn angezogen. Sie kommen so mit dem Eiger Express in nur 15 Minuten schneller und komfortabler ins Wintersportgebiet.
Haben sich bis anhin die Corona-Massnahmen im Wintersportgebiet auch bei fast 200’000 Skier Visits bewährt?
Unsere Gäste haben sich inzwischen an die Massnahmen gewöhnt. Maskentragen und Abstand halten sind für viele selbstverständlich geworden. Sicher müssen unsere Mitarbeitenden auch ab und zu wieder darauf hinweisen. Sehr schön ist, dass die Restaurants nun wieder geöffnet sein dürfen, dort gilt ja Zertifikatspflicht (2G).
«Maskentragen und Abstand halten sind für viele selbstverständlich geworden.»
Urs Kessler, CEO Jungfraubahn Gruppe
Wie stark konnten 2021 die Schweizer Touristen das Minus bei den Gästen aus dem Ausland kompensieren?
Wir verzeichneten auf dem Jungfraujoch Frequenzen, die leicht über dem 2020 lagen, aber immer noch rund 65 Prozent unter dem Rekordjahr 2019. Das zeigt, dass zwar weiterhin viele Schweizerinnen und Schweizer das Jungfraujoch besuchen. Auch Gäste aus anderen europäischen Ländern sowie den USA und den Golfstaaten waren im 2021 wieder öfters in unserer Region unterwegs. Noch fehlen uns die rund 70 Prozent Gäste aus Asien.
Sie haben die V-Bahn angesprochen. Welchen Einfluss hatte sie auf die Entwicklung?
Dank der V-Bahn sind die Jungfraubahnen gut gerüstet für den kommenden Aufschwung. Wir haben unsere Wettbewerbsfähigkeit weiter gesteigert. Das Generationenprojekt V-Bahn macht die Jungfraubahnen viel konkurrenzfähiger, sowohl im Winter, wie auch im Sommer. Das zeigt sich diesen Winter, bei dem wir den besten Saisonstart der letzten zehn Jahre verzeichneten (+25 Prozent). Dank der V-Bahn sind unsere Gäste schneller und komfortabler im Wintersportgebiet.
«Das Generationenprojekt V-Bahn macht die Jungfraubahnen viel konkurrenzfähiger, sowohl im Winter, wie auch im Sommer.»
Die V-Bahn ist nach acht Jahren Planungs- und Bauzeit seit etwas über 13 Monaten in Betrieb. Es mussten viele Hürden genommen werden, es gab Einsprachen und Kritik und Sie wurden persönlich angefeindet. Haben Sie nie ans Aufgeben gedacht?
Nein. Mein Leitmotiv war während der gesamten Zeit: Wer etwas will, sucht Wege. Wer etwas nicht will, sucht Gründe. Sehr intensiv war auf jeden Fall die Phase mit den Einsprachen. Ich habe fast jeden Abend und jedes Wochenende in Grindelwald Gespräche geführt und verhandelt.
Die Bahn hat fast eine halbe Milliarde Franken gekostet. Wann werden sich die Investitionen rechnen?
Die V-Bahn steigert die Wettbewerbsfähigkeit der Jungfrau Region im gesamten Alpenraum. Sie ist der Motor für den Aufschwung. Wichtig ist, dass alle mitziehen. Das Dorf, die Gastronomie, die Hotellerie, die Geschäfte und der gesamte Tourismus müssen sich weiterentwickeln. Es besteht ein enormes Nachholbedürfnis für Reisen, sobald das wieder unkompliziert möglich sein wird.
Zwischen Weihnachten und Neujahr haben sich gemäss Daten von Kreditkartenzahlungen wieder deutlich mehr ausländische Gäste in der Schweiz aufgehalten. Können Sie diese Entwicklung für Ihre Region bestätigen?
Wir verzeichneten in der Jungfrau Ski Region den besten Saisonstart der letzten zehn Jahre. Dafür können wir den Schweizerinnen und Schweizern danken, effektiv waren aber auch viele Gäste aus weiteren europäischen Ländern in der Region.
Bis Mitte Dezember wurden im Vorverkauf 37’300 Top4-Skipässe für 777 Franken verkauft. Teurer, nämlich 12’000 Franken, wird es im Platinum Club der Jungfraubahn. Was bietet sich Clubmitgliedern und wie gross ist die Nachfrage?
Wir haben schon einige Mitgliedschaften, auch von internationalen Gästen. Sie erhalten Zutritt zur exklusiven Platinum Lounge im Grindelwald Terminal mit Verpflegung und einem reservierten Parkplatz im benachbarten Parkhaus. Sie erhalten Sport- und Ausflugspässe und können die VIP-Kabine auf die gewünschte Zeit bestellen, um zum Eigergletscher zu gelangen.
2021 haben den Jungfraubahnen wie schon 2020 die ausländischen Gäste gefehlt. Prognosen sind schwierig, aber bis wann rechnen Sie mit einer Normalisierung?
2022 wird ein Übergangsjahr werden. Meine Marktbeobachtungen zeigen – wie auch die KOF-Prognosen – dass im 2023 wieder rund 80% der internationalen Gäste zurückkehren werden. So sollten wir auch dank des Generationenprojekts V-Bahn wieder aufs Niveau vor Corona (also 2019) kommen.
«Meine Marktbeobachtungen zeigen – wie auch die KOF-Prognosen – dass im 2023 wieder rund 80% der internationalen Gäste zurückkehren werden.»
Touristen aus Asien machen in normalen Zeiten etwa 70 Prozent Ihrer Gäste aus. Wie schwierig ist es, dem Zielpublikum in der aktuellen Situation Reisen in die Oberländer Bergwelt zu verkaufen?
Ich war gegen Ende 2021 mehrmals in Asien. Auf den Märkten konnte ich den Puls spüren. Das Bedürfnis nach Reisen ist gross. So wie die Schweizerinnen und Schweizer wieder ans Meer wollen, wollen die Menschen in Asien wieder Europa und die Schweiz besuchen. Wir haben Anfragen und Buchungen für März 2022, das stimmt mich zuversichtlich.
Welche Lehren haben Sie aus der Pandemie gezogen, einerseits für das Unternehmen, andererseits für sich persönlich?
Aus Sicht der Jungfraubahnen: Wir schliessen nur noch kurzfristige Verträge ab. Mit langfristigen, gezielten Investitionen wie der V-Bahn wollen wir den Wert der Unternehmung steigern. Wir achten weiter darauf, langfristig und solide finanziert zu bleiben, mit möglichst wenig Fremdkapital, um gestärkt aus der Krise zu kommen. Hier darf man durchaus konservativ sein, als Beitrag zum Fortschritt.
Persönlich: Als Führungskraft darf ich die Situation nicht nach der Vergangenheit beurteilen, sondern muss die Entscheide stets mit Blick auf die Zukunft fällen, die wir alle nicht kennen.
Herr Kessler, wir bedanken uns für das Interview.