Urs Kessler, CEO Jungfraubahnen

Urs Kessler

Urs Kessler, CEO Jungfraubahn Holding AG. (Copyright: Jungfraubahnen Management AG)

Urs Kessler, CEO Jungfraubahnen. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Kessler, heute starten mit der Alpinen Kombination die 85. Internationalen Lauberhornrennen. Welche Bedeutung haben diese für die Jungfraubahnen?

Urs Kessler: Die Lauberhornabfahrt geniesst international einen hohen Bekanntheitsgrad und gilt als eines der spektakulärsten Weltcuprennen im Skizirkus. Dank der weltweiten Ausstrahlung und der umfangreichen Medienberichterstattung hat dieser Anlass einen wichtigen Stellenwert für den hiesigen Wintersport und ist der bedeutendste Event der Jungfrau Region.

Wie viele zusätzliche Passagiere befördern die Jungfraubahnen während den Trainings- und Renntagen zwischen Mittwoch und Sonntag?

An den diesjährigen Lauberhornrennen stehen drei neue Panozüge der WAB im Einsatz, welche deutlich mehr Fahrkomfort und zusätzliche Sitzplätze bieten. Insgesamt rechnen wir mit einem Mehraufkommen von rund 20‘000 Gästen, ungefähr 10‘000 davon am Abfahrtsrenntag.

Die Jungfraubahnen und die Lauberhornrennen haben im Oktober einen neuen Zusammenarbeits-Vertrag geschlossen. Was beinhaltet dieser?

Der Vertrag regelt die Transportdienstleistungen für Güter, Helfer und Zuschauer sowie die Zusammenarbeit im Ticketverkauf, Marketing und im Pisten- und Rettungsdienst. Die Vertraglich gegenseitig zugesicherten Naturalleistungen belaufen sich auf 1,8 Millionen Franken und wiegen sich im gleichen Umfang auf. Sie betreffen vornehmlich die Bereiche Transport und Werbung.

«Die Herausforderungen im Wintersport sind gross. Dies zeigte auch die vergangene Wintersaison, welche trotz sehr guter Schneeverhältnisse deutlich hinter den guten Wintersportjahren zurücklag.»
Urs Kessler, CEO Jungfraubahnen

Der Start in die Wintersaison gestaltete sich aufgrund der meteorologischen Bedingungen schwierig. Die Jungfrau Ski Region, an der die Jungfraubahnen mit über 60 % beteiligt sind, verzeichnete vom Saisonstart bis Jahresbeginn rund einen Viertel weniger Skier Visits. Entsprechend sanken auch die Frequenzen der Firstbahn. Unter welchen Bedingungen lässt sich dieses Minus über die gesamte Saison noch aufholen?

Entscheidend für das Endergebnis der Wintersaison 2014/2015 werden die Besucherzahlen während der Hauptsaison im Februar sein. Dabei spielen das Wetter und die Schneeverhältnisse eine zentrale Rolle. Dank leistungsfähiger Beschneiungsanlagen war es uns bereits seit Saisonbeginn möglich, gute Pistenbedingungen und damit ein attraktives Angebot zu gewährleisten. Es wird jedoch schwierig sein, den Rückstand aufzuholen. Die Herausforderungen im Wintersport sind gross. Dies zeigte auch die vergangene Wintersaison, welche trotz sehr guter Schneeverhältnisse deutlich hinter den guten Wintersportjahren zurücklag.

Das macht deutlich, wie wichtig es ist, mit neuen Anlagen von internationalem Standard in den Wintersport zu investieren. Nur so können wir wettbewerbsfähig bleiben. Das geplante Projekt V-Bahn sieht massiv kürzere Anreisezeiten, einen direkten öV-Anschluss sowie einen Terminal mit Geschäften und Skidepots vor. Damit wollen wir in Zukunft wieder zu den Top-Wintersportdestinationen aufsteigen und an die Besucherzahlen aus den besten Jahren anknüpfen.

Einen neuen Besucherrekord konnten Sie beim Ausflugsverkehr auf das Jungfraujoch verzeichnen, dem wichtigsten Ertragspfeiler der Jungfraubahnen-Gruppe: 866’000 Personen waren «Top of Europe». Wie hoch war der Anteil der Gäste aus Asien und aus welchen asiatischen Ländern reisen am meisten Gäste an?

Rund 70% unserer Besucher stammen aus Asien. Nebst Gästen aus Ländern wie China, Indien und Japan ist das Jungfraujoch auch für Südkoreaner ein beliebtes Reiseziel.

Die hohe Besucherzahl ist die Folge der intensiven Bearbeitung der asiatischen Märkte. Wie sieht diese konkret aus, wo ist Ihr Marketing überall vertreten und wie oft sind Sie selber in Asien?

Wir haben bereits 1997/98 in Japan, China, Südkorea, Taiwan, Indien und Thailand ein eigenes Vertreternetz aufgebaut. Heute besitzen wir zudem eine Vertretung  in Brasilien. Eigene Leute vor Ort schaffen Kontakte und neue Kundenbeziehungen. Der persönliche Kontakt zu den Reiseveranstaltern ist das A&O. Deshalb reise ich jedes Jahr mehrmals persönlich nach Asien, um die Beziehungen zu pflegen.

«Wir haben gewisse Bestrebungen im Markt Russland unternommen. Der Anteil an russischen Gästen ist jedoch zurzeit verhältnismässig gering.»

Viel ist derzeit von den ausbleibenden Gästen aus Russland die Rede. Wie stark sind die Jungfraubahnen davon betroffen?

Wir haben gewisse Bestrebungen im Markt Russland unternommen. Der Anteil an russischen Gästen ist jedoch zurzeit verhältnismässig gering. Deshalb spüren die Jungfraubahnen die Auswirkungen des Rückgangs aus Russland kaum.

Deutlich mehr Passagiere beförderten auch die Mürrenbahn (+ 7,4%) und die Harderbahn auf den Interlakener Hausberg Harder Kulm (+ 15,5%). Worauf führen Sie hier die guten Frequenzzahlen zurück?

Die Frequenzzunahmen lassen sich zum grössten Teil auf unser Cross-Marketing zurückführen. Die Kombination des Jungfraujochs mit einem Ausflug auf den Harder Kulm stiess auf grosse Nachfrage. Beliebt war auch die Verbindung des Jungfraujochs mit der Mürrenbahn. Insbesondere asiatische Gäste haben zusätzlich zu ihrem Ausflug zum Top of Europe vermehrt einen Dorfbesuch nach Mürren unternommen, dies mit der BLM via Lauterbrunnen, Grütschalp und Winteregg.

Seit Saisonbeginn ist der erste von sechs neuen Panoramatriebzügen der Wengernalpbahn zwischen Lauterbrunnen und der Kleinen Scheidegg im Einsatz. Wie hoch sind die Investitionen in neues Rollmaterial bei den Jungfraubahnen?

Die Erneuerung des WAB-Rollmaterials ist ein Bestandteil des Gesamtprojekts V-Bahn. Insgesamt wurden bei der Firma Stadler AG für 42 Millionen Franken sechs dreiteilige Panoramatriebzüge bestellt. Bis im Herbst 2015 erfolgt die Inbetriebnahme aller sechs Panozüge auf der Strecke Lauterbrunnen – Kleine Scheidegg. Ebenfalls im Zuge des V-Projekts wird das Rollmaterial bei der Jungfraubahn (JB) sowie bei der Berner Oberland-Bahn (BOB) erneuert. Bei der Jungfraubahn werden die neuen Niederflurtriebzüge von der Firma Stadler AG voraussichtlich in der ersten Hälfte des Jahres 2016 ausgeliefert.

Die Investition beläuft sich auf rund 32 Millionen Franken. Für die BOB wurden für insgesamt CHF 77,7 Mio. sechs neue dreiteilige Triebzüge und drei Steuerwagen bestellt. Die neuen Fahrzeuge werden 2017 in Betrieb genommen.

Welche Bedeutung hat die V-Bahn für die Jungfraubahnen einerseits, für die wirtschaftliche Entwicklung der Region andererseits?

Das Projekt V-Bahn ist mit seinen acht integrierten Bestandteilen ein umfassendes Projekt für die gesamte Jungfrau Region. Wir verfolgen damit die beiden Hauptziele Zukunft und Qualität. Nebst den Rollmaterialerneuerungen geht es um die direkte Anbindung an den öV mit einer neuen Bahnstation bei der BOB sowie um massive Reisezeitverkürzungen ab allen Schweizer Städten. Der neue Terminal bietet mit Geschäften zusätzliche Arbeitsplätze und ermöglicht die Entflechtung der Kundenströme. Mit der direkten Shuttle-Verbindung zur Firstbahn schaffen wir eine attraktive Verbindung unserer Skigebiete.

«Das Projekt V-Bahn ist mit seinen acht integrierten Bestandteilen ein umfassendes Projekt für die gesamte Jungfrau Region.»

Die V-Bahn ist seit dem Bau der Jungfraubahn das wohl grösste Projekt der Jungfraubahnen und ist zukunftsweisend sowohl für die Entwicklung des Jungfraujochs – Top of Europe wie auch für den Wintersport in der Region. Vom Kanton wurde eine Studie zu den „Volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Projekts V-Bahn auf den Kanton Bern“ in Auftrag gegeben. Der Schlussbericht zeigt, dass das Projekt für die Jungfrau Region und vor allem für Grindelwald eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung hat.

Die Grindelwaldner Stimmbürger haben dem Projekt im Oktober deutlich zugestimmt und auch die Gemeindeversammlung in Lauterbrunnen sprach sich deutlich für ein Teilstück des V-Bahn-Projekts aus. Wie geht es nun weiter? Noch verweigert ja die Bergschaft Wärgistal die Überfahrtsrechte für den geplanten Eigerexpress und auch Umweltschutzorganisationen haben Einspruch erhoben.

Mit einem Hürdenlauf verglichen, befinden wir uns zurzeit bei der zweiten Hürde. Das deutliche Ja der Bevölkerung von Grindelwald und Lauterbrunnen hat uns sehr gefreut. Allerdings wurde bei der betroffenen Bergschaft Wärgistal die nötige Zweidrittelmehrheit knapp verfehlt. Wir hoffen, in den kommenden Monaten eine Lösung zu finden, damit die Bergschaft doch noch ihre Zustimmung zum Überfahrrecht erteilt. Weiter gibt es mehrere Einsprachen, die hängig sind. Mit den Umweltorganisationen wollen wir den steten und konstruktiven Dialog fortsetzen. Ein wichtiges Anliegen ist uns dabei die qualitative Aufwertung der Kleinen Scheidegg. Die Planung des Projekts wird weiter fortgeführt, um die Dossiers für den zweiten Teil des Plangenehmigungsverfahrens so weit als möglich fertigzustellen.

Welche Erwartungen haben Sie für das laufende Jahr?

Mit den Gästezahlen für das Jahr 2014 haben wir uns eine hohe Messlatte gesetzt. Diese zu übertreffen, wird im laufenden Jahr eine grosse Herausforderung sein, wenn man bedenkt, dass 90% aller Jungfraujoch-Besucher jedes Jahr neu zu gewinnen sind. Die erfreulichen Besucherzahlen in den Monaten November und Dezember 2014 haben uns aber auch gezeigt, dass wir unserer Vision von zehn Monaten Hochsaison immer näher kommen. Daran arbeiten wir intensiv weiter. Nebst der weltweiten Marktbearbeitung wird es unsere Aufgabe sein, zusammen mit den involvierten Interessensgruppen das V-Projekt weiterzuentwickeln.

Herr Kessler, vielen Dank für das Interview.

Zur Person:
Urs Kessler war zunächst Betriebsdisponent auf Bahnhöfen der Schweiz im Fahrdienst und Verkauf und besetzte verschiedene Funktionen in der Direktion der BLS mit Schwerpunkt Marketing. Seit 1987 arbeitet er für die Jungfraubahnen. 1990 wird er Leiter “Kommerzielle Dienste”. In die Geschäftsleitung stieg er 2007 auf. Per 1.9.2008 erfolgte seine Wahl zum Vorsitzenden der Geschäftsleitung. Er ist gleichzeitig VR-Präsident der Tochtergesellschaften Bergbahn Lauterbrunnen-Mürren AG, Firstbahn AG, Harderbahn AG, Jungfraubahn AG, Parkhaus Lauterbrunnen AG und Wengernalpbahn AG.

Zum Unternehmen:
Die Jungfraubahn Holding AG ist an der Schweizer Börse SIX kotiert und umfasst acht Tochtergesellschaften. Die wichtigsten sind die Jungfraubahn AG und die Wengernalpbahn AG. Die Haupttätigkeit der Gruppe ist der Betrieb von Ausflugsbahnen und Wintersportanlagen in der Jungfrau Region sowie die Vermarktung des Erlebnisses “Jungfraujoch – Top of Europe”, der Reise zum 3‘454 m ü.M. gelegenen Jungfraujoch.

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