Urs Wohler, Geschäftsführer Niesenbahn AG, im Interview

Urs Wohler, Geschäftsführer Niesenbahn AG, im Interview
Urs Wohler, Geschäftsführer Niesenbahn. (Foto: zvg)

von Bob Buchheit

Moneycab.com: Herr Wohler, hat der Niesen einen Kragen, darfst du’s grad noch wagen. Bezieht sich dieser Niesenspruch auf Gleitschirmpiloten?

Urs Wohler: Natürlich auch, gerade Gleitschirmpiloten sind sehr aufmerksam gegenüber allen Wolkenformen. Der Niesenkragen steht aber primär stellvertretend für die zahlreichen Wettersprüche, die es in Zusammenhang mit dem Niesen gibt; der Fantasie sind da kaum Grenzen gesetzt; von Brille und Bart bis Weste und Hosen.

Der Niesen als Eckpunkt der über 20 Kilometer langen Bergkette ist einer der schönsten Aussichtspunkte der Alpen. Seine exponierte Lage macht ihn auch zum Wetterindikator. Als typischer Sommerausflugsberg hängen die Besucherfrequenzen natürlich stark von der Sonne ab. Hilft Ihnen da schon manchmal der Föhn?

Der Föhn ist ein eher unzuverlässiger Helfer. Er kommt ja meist vor einem Wetterwechsel, dann haben unsere Besucher in Erwartung „schlechten Wetters“ bereits ein Alternativprogramm; da kann sich der Föhn noch so Mühe geben und eine kommende Front in Schach halten. Die Gäste, die dann trotzdem kommen, werden aber natürlich durch Föhnfenster belohnt. Wir müssen uns von Wetter und Föhn unabhängiger machen. Eine schlaue Angebotsgestaltung muss den Magneten zum Kommen stärker machen als allfälliges „Schlechtwetter“. Das Image schlechten Wetters ist eh zu schlecht. Auf dem Berg ist es auch bei Nebel und Wind ganz speziell.

Die Standseilbahn auf den Niesen hat gegenüber Schwebebahnen den Vorteil robuster gegen Wettereinflüsse zu sein. Wann wird nicht mehr gefahren?

Vor aufziehenden Gewittern haben wir Respekt. Drohen Blitzeinschläge, reduzieren wir die Geschwindigkeit oder machen eine Pause, um einen steuerungsbedingten Notstopp auf der Strecke zu vermeiden. Wind hingegen kann uns kaum stoppen. Eher stoppt uns ein Baum auf der Strecke als ein reiner Windstoss.

„Der Niesen“ bildet auch einen Seilbahnmechatronikerlehrling aus. Glauben Sie, dass diese Spezialisierung Schule machen wird?

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Branche ihren Nachwuchs selber ausbilden muss: In der Grundausbildung die Seilbahnmechatroniker, in der Weiterbildung die Seilbahnfachleute. Wenn dies alle Bahnen machen, haben wir genügend Fachpersonal. Dorthin ist es noch ein weiter Weg. Als kleine Bahngesellschaft bilden wir den Lehrling deshalb zusammen mit der Stockhornbahn aus. So lernt der Lehrling verschiedene Bahnsysteme und Betriebe kennen.

«Ich bin der festen Überzeugung, dass die Branche ihren Nachwuchs selber ausbilden muss. In der Grundausbildung die Seilbahnmechatroniker, in der Weiterbildung die Seilbahnfachleute.»
Urs Wohler, Geschäftsführer Niesenbahn AG

Mit einem freiwilligen Beitrag von einem Prozent des Ticketpreises können Niesen-Gäste aktiv einen Beitrag an den Klimaschutz leisten. Wie viel Prozent der Besucher machen da mit?

Wir haben mit den Gutscheinen begonnen, da machen wir namhafte Umsätze. 60 Prozent der Gäste waren im ersten Jahr bereit, rasch und unkompliziert etwas für den Klimaschutz zu tun und ihr Erlebnis durch ihren kleinen Beitrag klimaneutral zu erhalten.

Wie meistern Sie sonst noch den Spagat zwischen Ausflugstourismus und Umwelt?

Das ganze Leben besteht aus Interessen- und Zielkonflikten. Unsere Haltung ist geprägt davon, durch neue Geschäftsmodelle, neues Verständnis nachhaltigen Wirtschaftens und lösungsorientierte Ansätze zu messbaren Mehrwerten zu kommen. Schwarz-weiss-Denken und Ideologien sind passé, Shareholder- versus Umweltdenken bringt uns auch nicht weiter. Durch ständige Innovation und Nutzung digitaler Möglichkeiten leisten wir unseren Beitrag. Jeder Investitionsschritt wird auch umwelttechnisch genutzt; als Unternehmer hat man da tolle Möglichkeiten. Dies in allen drei Nachhaltigkeitsdimensionen, konsequent in jedem noch so kleinen Thema, ohne Ausreden und Entschuldigungen.

In vielen Gegenden war das Jahr 2018 ja das wärmste in der Geschichte. Erwarten Sie auch 2019 mehr als 200 Betriebstage?

Nein, unsere Saisonzeiten bleiben fix. Im 2019 werden wir 185 Betriebstage haben, weil wir des Umbaus wegen später starten. Im 2020 werden es dann 212 Betriebstage sein.

Mit einer Grossbank machte die Niesenbahn im 2016 eine Grossaktion. Das schlug sich im bisherigen Frequenzrekord (212’824) nieder. Haben Sie wieder eine derartige Aktion in der Pipeline?

Nein. Da unsere Transportkapazitäten mit bescheidenen 200 Personen je Stunde limitiert sind, kann es bei uns nicht darum gehen, die Frequenzen bei Schönwetter zu steigern, sondern die Auslastung während der ganzen Saison zu glätten. Nur so können Mitarbeitende gleichmässig beschäftigt und die Qualität unverändert hoch gehalten werden. Aktionen machen ist einfach; die Auslastung durch eine mehrwertbasierte Angebotsgestaltung für Individualgäste, private Gruppen und Firmen wetterunabhängig auszugleichen, hingegen sehr anspruchsvoll, aber ein Muss. Zweiflern und solchen, die „das haben wir alles schon probiert“ sagen, antworte ich jeweils mit „es gibt nur einen Weg über die Hürden, nämlich oben drüber“. Das braucht eine gute Taktik, Wissen und Können.

Der Niesen gilt als anspruchsvoller Flugberg. Dennoch kam es meines Wissens nie zu tödlichen Unfällen. Wäre eine Häufung wie beispielsweise letzten Sommer am Kronberg oder bei den Basejumpern hinten im Lauterbrunnental schlecht für den Ruf?

Jeder Unfall ist schlecht und für die Betroffenen eine Tragödie. Wir leisten unseren Beitrag, indem wir für Schwierigkeiten und Hindernisse sensibilisieren, optimal informieren und mit den Flugschulen zusammenarbeiten. Zudem beinhalten die Gleitschirmtickets alle eine kostenlose Talfahrt, falls die Bedingungen einen Start nicht zulassen. Die Verantwortung können wir unseren Kunden aber nicht abnehmen.

«Die Gäste wollen wissen, woher die Produkte kommen; also ist die Rückverfolgung bis hin zur Produktion unerlässlich.»

Bequeme Ausflügler sind aber eindeutig Ihre Zielgruppe Nummer eins; die Gastronomie macht am Niesen fast die Hälfte des Umsatzes aus. Da ist es wichtig, dass die Restauration auf der Höhe der Zeit ist. Was sind die kulinarischen Tendenzen?

Die Gastronomie ist geprägt von unendlich vielen Richtungen, Moden und Trends. Ich sehe für uns drei relevante: Die Gäste wollen wissen, woher die Produkte kommen; also ist die Rückverfolgung bis hin zur Produktion unerlässlich. Da kann man tolle Geschichten erzählen, auch über die Produzenten. Weiter bleibt regional und saisonal wichtig; aber kombiniert mit raffiniert, überraschend, kreativ, sorgfältig garniert. Und schliesslich kommen wir um „vegetarisch, vegan und allergikerspezifisch“ nicht herum. Daraus lässt sich für den Niesen mit einheimischem Personal auch weiterhin eine Erfolg versprechende Positionierung ableiten.

Die Niesenbahn AG hat quasi keine Langfristschulden. Wo werden mittelfristig die nächsten grösseren Investitionen fällig?

Die Sanierung und Weiterentwicklung im Berghaus schliessen wir im Mai 2019 ab; dann sind 6,7 Mio. Franken investiert. Noch während der Amortisation der entsprechenden Bankschuld stehen Investitionen in beiden Bahnsektionen an: Die Steuerungen und Antriebe müssen ersetzt werden. Weiter gibt es ein Vorhaben „Wartehalle Niesen Kulm“, und schliesslich stehen Innovationen im Bereich alternativer Energien an. Damit wir weiter investieren; Lieferantenrechnungen und Löhne bezahlen können, müssen wir folglich auch künftig hart und hoffentlich erfolgreich arbeiten.

«Die Vereinfachung der Aktienstruktur ist angedacht, aber noch nicht spruchreif.»

Mit rund 40 Prozent Eigenkapital stehen Sie auf gesunder Basis. Bei den Aktien der Niesenbahn AG gibt es zwei Kategorien. Wird das so bleiben?

Die Vereinfachung der Aktienstruktur ist angedacht, aber noch nicht spruchreif. Wir haben mit Interesse verfolgt, wie zum Beispiel die Aktionäre der Schifffahrtsgesellschaft des Vierwaldstättersees (SGV) AG dem Umtausch der bisherigen Aktien in Einheitsaktien zugestimmt haben. Aus diesem „best case“ und anderen Entwicklungen werden wir unsere Schlüsse ziehen und zu gegebener Zeit auf unser Aktionariat zugehen.

Seit zwei Jahren sind Sie jetzt CEO der Niesenbahn. Hand aufs Herz: Hatten Sie schon mal Zeit die wunderschöne und ausgesetzte Höhenwanderung die gesamte Niesenkette entlang zu machen?

Nein, hatte ich nicht. Ich war auf einzelnen Gipfeln, aber die Kette vom oder zum Niesen fehlt mir. In meinem Umfeld habe ich aber Vorbilder, die mir Ansporn dazu sind.

Zum Gesprächspartner:
Urs Wohler (1965) ist in Uetendorf bei Thun aufgewachsen und Vater dreier Mädchen. Er hat die Tourismusfachschule Siders, die Ausbildung zum eidg. dipl. Tourismusexperten und verschiedene Weiterbildungen, u.a. in Internationalem Attraktionsmanagement, absolviert. In Vals war er von 1992 bis 1995 Geschäftsführer der lokalen Tourismusorganisation, bei Graubünden Ferien Leiter Marketing Services (1996 – 2005), und in Scuol entwickelte er die regionale Tourismusorganisation zur Destinationsmanagement-Organisation Scuol Samnaun Val Müstair (von 2005 bis 2016 als Direktor). Seit 2017 ist Urs Wohler Geschäftsführer der Niesenbahn AG im Berner Oberland. Seine Themen und Kompetenzen sind Geschäftsführung, Governance, Destinationsmanagement, Regional- und Systementwicklung, Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Marketing, Eventmanagement. Er wirkte in zahlreichen Publikationen und nationalen Projekten mit und konnte einige Auszeichnungen in Empfang nehmen, u.a. Myclimate-Awards.

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