Valentin Gutknecht, Gründer und Co-CEO neustark, im Interview

Valentin Gutknecht

Valentin Gutknecht, Gründer und Co-CEO neustark. (Foto: zvg)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Gutknecht, neustark hat eine Lösung entwickelt, die atmosphärisches CO2 dauerhaft in Rückbaubeton speichert. Ist das so komplex, wie es sich anhört?

Valentin Gutknecht: Nein. Im Grunde verschnellern wir um ein Vielfaches einen Vorgang, genannt Carbonatisierung, der auch in der Natur stattfindet. Gebäude und Gebirge nehmen über Jahre bis Jahrhunderte CO2 auf. Indem wir hochkonzentriertes CO2 mit Abbruchbeton in Kontakt bringen, passiert diese Aufnahme innert weniger Stunden.

Wenn wir die einzelnen Schritte anschauen – wie wird das CO2 eingefangen?

Wir arbeiten mit Biogasanlagen zusammen. Im Rahmen ihres Prozesses entsteht ein Abfallprodukt, CO2, welches normalerweise wieder in die Atmosphäre gelangt. Dort setzen wir an, indem wir das CO2 beim Kamin abfangen und anschliessend verflüssigen, um es transportfähig zu machen. Stand heute (November 2023) haben wir zwei solcher CO2-Quellen: Eine in der Nähe von Bern und eine in Dresden-Klotzsche. Darüber hinaus haben werden wir in den kommenden Monaten weitere Kooperationen mit Biogasanlagen verkünden.

Anschliessend transportieren Sie das flüssige CO2 zu einer Ihrer Anlagen und bringen es in Verbindung mit zerkleinertem Betongranulat, für das neustark mit verschiedenen Baustoffrecyclern zusammenarbeitet. Wie speichert dieses Granulat das CO2?

Im Abbruchbeton befindet sich noch Restzement, welcher reaktiv ist. Das heisst, dass das CO2 mit den Zementphasen im Abbruchbeton reagiert und zu Kalkstein wird. Dieser bindet sich an die Oberfläche des Granulats und ist somit permanent gebunden. Aufgrund der Tatsache, dass wir CO2 biogenen Ursprungs verwenden, kreieren wir sogenannte Negativemissionen, die für das Erreichen unserer Klimaziele unabdingbar sind.

«Im Abbruchbeton befindet sich noch Restzement, welcher reaktiv ist. Das heisst, dass das CO2 mit den Zementphasen im Abbruchbeton reagiert und zu Kalkstein wird. Dieser bindet sich an die Oberfläche des Granulats und ist somit permanent gebunden.»
Valentin Gutknecht, Gründer und Co-CEO neustark

Und anschliessend wird das Material als Recyclingbeton wiederverwendet?

Das ist eine Möglichkeit und wird in der Schweiz und anderen Ländern schon häufig praktiziert. Der mit CO2 angereicherte Recyclingbeton kann problemlos im Hoch- und Tiefbau eingesetzt werden. Er steht dem herkömmlichen Beton in Bezug auf die Qualität in Nichts nach. Man kann es aber auch im Strassenbau verwenden, was beispielsweise in Deutschland oft der Fall ist.

Sie sagen, das CO2 ist somit dauerhaft gespeichert. Was passiert, wenn zum Beispiel ein mit Recyclingbeton erstelltes Gebäude dereinst wieder abgerissen oder eine Strasse wieder aufgerissen wird?

Diese Gefahr besteht nicht. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass der Anteil des durch mit unserer Technologie gespeicherten CO2, der nach 1‘000 Jahren noch vorhanden ist, virtuell 100% betragen wird. Selbst wenn der Beton, in dem das CO2 gespeichert ist, immer wieder abgerissen wird, wird das CO2 nicht wieder in die Atmosphäre freigesetzt.

Wie viel CO2 lässt sich in Abbruchbeton speichern?

Pro Tonne Abbruchbeton sind wir in der Lage, durchschnittlich 10kg CO2 zu speichern. Langfristig wollen wir diesen Wert auf 60kg pro Tonne Abbruchbeton bringen.

Ist das Speicherpotenzial von Abbruchbeton damit ausgeschöpft?

Ja. Wichtig zu erwähnen ist hierbei, dass wir mit dem grössten Abfallstrom der Welt arbeiten. Jährlich fallen auf der ganzen Welt rund eine Milliarde Tonnen Abbruchbeton an. In der Schweiz haben wir eine potentielle Speicherkapazität von 60’000 Tonnen CO2 pro Jahr. In Europa sprechen wir von einer Grössenordnung von rund 1.6 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr.

«Wir arbeiten mit dem grössten Abfallstrom der Welt. Jährlich fallen auf der ganzen Welt rund eine Milliarde Tonnen Abbruchbeton an.»

Ist der von neustark angewandte Prozess auch bei anderen Materialien denkbar?

Das ist in der Tat so. Wir führen CO2 beispielsweise dem Restwasser zu, das bei der Reinigung von Betonmischer entsteht. Darüber hinaus arbeiten wir daran, CO2 auch in mineralischen Abfallströmen mit einer höheren Aufnahmekapazität wie Schlacken und Aschen zu ermöglichen.

Bis heute hat neustark über 530 Tonnen CO2 entfernt, bis zum Jahr 2030 soll es eine Million Tonnen jährlich sein. Wie viele Anlagen sind mittlerweile in Betrieb?

Stand heute haben wir zwölf CO2-Speicheranlagen in Betrieb. Elf Stück in der Schweiz und eine in Deutschland. Zurzeit haben wir eine potentielle Speicherkapazität von 5000 Tonnen CO2 pro Jahr. Um unser Ziel im Jahr 2030 zu erreichen, brauchen wir 1000-3000 Anlagen.

Die Anlage in Deutschland läuft seit Anfang Oktober. Welche Ausbaupläne verfolgen Sie im In- und Ausland?

Um unsere Ziele zu erreichen, müssen wir unsere Technologie grossflächig ausrollen. Zurzeit haben wir rund 15 Projekte in der DACH-Region und Frankreich in der Pipeline. In einem ersten Schritt wollen in Europa expandieren, bevor es 2025 nach Amerika geht.

Das alles kostet viel Geld. Wie funktioniert ihr Geschäftsmodell?

Wir arbeiten entlang der gesamten Wertschöpfungskette: Von der Quelle über die Senke bis zum Zertifikat. Den Betonrecyclern verkaufen wir unsere Anlagen, warten diese und sorgen für den Nachschub an CO2. Durch die geleistete CO2-Speicherleistung können wir Zertifikate generieren, die wir auf dem freiwilligen Zertifikatenmarkt veräussern. Unternehmen mit ambitionierten Klimazielen kaufen uns diese ab. Der Betonrecycler bekommt davon eine Rückvergütung.

«Durch die geleistete CO2-Speicherleistung können wir Zertifikate generieren, die wir auf dem freiwilligen Zertifikatenmarkt veräussern.»

Holcim ist schon seit über zwei Jahre Partner von neustark und hat nun eine bedeutende Investition in Ihr Unternehmen getätigt. Wie bedeutend ist dieses Engagement für neustark?

Sehr bedeutend. Holcim ist mit uns eine Investitions- und Kooperationsvereinbarung eingegangen. Dieses Unternehmen ist weltweit tätig und wird uns dabei unterstützen, unser Ziel – im Jahr 2030 eine Million Tonnen CO2 zu speichern – zu erreichen. Hoclim macht einen wesentlichen Teil unserer Megatonnen-Roadmap aus.

Sie haben neustark zusammen mit Johannes Tiefenthaler gegründet. Wie kam es dazu?

Vor neustark arbeitete ich bei einem Climate-tech, welches CO2 aus der Luft filtert und geologisch speichert. In einem Artikel las ich, dass man CO2 auch in mineralischen Abfallströmen permanent speichern kann. Diese Tatsache faszinierte mich und ich ging dem nach. Schnell kam ich jedoch zur Erkenntnis, dass mein betriebswirtschaftlicher Hintergrund nicht ausreicht, um vorwärts machen zu können. Über einen Bekannten lernte ich Johannes Tiefenthaler kennen, der sich an der ETH Zürich dem Thema aus wissenschaftlicher Perspektive beschäftigte. Zusammen gründeten wir 2019 neustark.

Herr Gutknecht, besten Dank für das Interview.


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