Walter Schenkel, Präsident Verein Metropole Schweiz.
von Patrick Gunti
Moneycab: Herr Schenkel, wie definieren Sie den Begriff Landschaft?
Walter Schenkel: Emotional definiere ich Landschaft wie viele andere auch: Landschaft ist dort, wo keine oder nur wenige Gebäude und Verkehrswege sind. Landschaft ist dort, wo die natürlichen Ressourcen Boden, Wald, Luft und Wasser den Raum dominieren und nicht der Mensch. Aus fachlicher Sicht ist mir aber bewusst, dass diese Definition zu kurz greift: Es gibt auch Landschaften, die durch Siedlungs- und Verkehrsstrukturen geprägt sind. Wichtig erscheint mir das Qualitätskriterium: Eine qualitative hochwertige Landschaft im Siedlungsraum kann u.U. von grösserem Nutzen sein als eine „unbebaute“ Landschaft, wo aber die Biodiversität nicht oder schwach ausgeprägt ist.
Und wie erleben Sie persönlich die Landschaft, wenn Sie durch die Schweiz reisen?
Sehr vielfältig: Diese Vielfalt ist ein Qualitätskriterium, dem die Schweiz Sorge tragen sollte. Urbane Landschaften, unberührte Berglandschaften, bewirtschaftete Landschaften – sie alle haben wichtige Funktionen und Qualitäten, die es zu erhalten gilt. Eingriffe und Entwicklungen sollten mehr den je auf ihre Nachhaltigkeit geprüft werden. Nächste Generationen sollten über dieselbe landschaftliche Qualität verfügen können, wie wir sie heute haben. Das heisst aber nicht, dass sich die Landschaft nicht verändern darf.
«Urbane Landschaften, unberührte Berglandschaften, bewirtschaftete Landschaften – sie alle haben wichtige Funktionen und Qualitäten, die es zu erhalten gilt. Eingriffe und Entwicklungen sollten mehr den je auf ihre Nachhaltigkeit geprüft werden.»
Walter Schenkel, Präsident Verein Metropole Schweiz
Die kontinuierliche Ausdehnung der grossen Agglomerationen hat zur Bildung der Metropolräume Zürich, Basel, Genf-Lausanne, Bern und Tessin geführt, in denen auch weitaus die meisten Einwohner leben. Wie ländlich ist die Schweiz noch?
Diese Frage kann relativ einfach beantwortet werden: Mehr als zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung leben in sogenannten urbanen Gebieten. Und die Wirtschaft bzw. die Arbeitsplätze haben nur noch zu einem ganz kleinen Prozentanteil mit der ländlichen Schweiz zu tun. Insofern könnte eine Antwort lauten: Die Schweiz ist noch maximal zu einem Drittel ländlich. Etwas anders lautet die Antwort, wenn Identität, Image und reale politische Strukturen in Betracht gezogen werden: Dann ist die Schweiz überproportional ländlich geprägt, in einer Art und Weise, wie es nicht mehr der gesellschaftlichen Wirklichkeit entspricht. Kurzum: Die Realität ist urban, im Kopf sind die Schweizerin und der Schweizer noch ländlich.
Wie kritisch sehen Sie die allseits konstatierte Zubetonierung und Zersiedelung der Schweiz?
Landschaft wird zu wenig als natürliche Ressource, vergleichbar mit Luft, Wasser, Boden und Wald, anerkannt. So wie gute Luft und reines Wasser heute selbstverständlich sind, so sollte auch die Qualität der Landschaft als für den Menschen unabdingbare natürliche Ressource gesehen werden. Diese Sichtweise ist umso dringlicher, als Zubetonierung und Zersiedlung schlichtweg unnötig sind: Es hätte viel Potenzial für Verdichtung, Energieeffizienz und Rückbau, was im Übrigen auch aus wirtschaftlicher Sicht Kosten spart. Wie bereits angetönt, ist z.B. die räumliche Qualität der Schweiz ein wichtiger Standortfaktor. Unternehmen und gut qualifizierte Arbeitskräfte kommen nicht allein wegen dem hohen Lohn oder den niedrigen Steuern in die Schweiz, sondern auch wegen der hohen Lebensqualität.
Der Verein Metropole Schweiz setzt sich für eine gesamtheitliche Entwicklung der städtischen und ländlichen Schweiz ein. Wie soll das geschehen?
„Wer Land denkt, baut keine gute Stadt.“. Es braucht ein geschärftes Bewusstsein für die Qualitäten der ungebauten und der bebauten Landschaft. Der urbane Raum muss eine hohe Qualität haben, u.a. mit Naherholungsgebieten. Umgekehrt braucht es klare Grenzen zwischen Landschaft und Siedlung. Mit einer ganzheitlichen Entwicklung sind auch Reformen im Schweizer Föderalismus gemeint: Fusionen, verbindliche Zusammenarbeitsmodelle, etc. tragen dazu bei, dass die Lösung von Problemen nicht an den starren politischen Grenzen scheitert.
«Es hätte viel Potenzial für Verdichtung, Energieeffizienz und Rückbau, was im Übrigen auch aus wirtschaftlicher Sicht Kosten spart.»
Was müsste aus raumplanerischer Sicht getan werden?
Mehr Koordination und mehr Zusammenarbeit: Das Raumkonzept Schweiz geht in die richtige Richtung, ist aber für Kantone und Gemeinde noch zu wenig verbindlich. Aber auch die Kantone und Gemeinden könnten ähnliche Konzepte schaffen, damit sie sich in der Raumplanung besser koordinieren können. Es braucht Ausgleichsmechanismen, damit nicht immer alle Kantone und Gemeinden die genau gleichen Raumnutzungen vorsehen.
Können mit dem erwähnten Raumkonzept Schweiz die Weichen gestellt werden?
Das Raumkonzept kann eine gewisse Initialfunktion ausüben, die Weichen müssen wohl später gestellt werden, sei es im Rahmen von Gesetzgebungsprozessen, sei es in der Denkweise der politisch verantwortlichen Personen.
Welche Aspekte werden im Raumkonzept aus Sicht von Metropole Schweiz zu wenig berücksichtigt?
Die wichtigen Aspekte sind berücksichtigt, v.a. mit dem Begriff der funktionalen Räume (z.B. Metropolitanraum). Am Schluss fehlt aber eine gewisse Konsequenz, dass die postulierten funktionalen Räume auch tatsächlich als Akteure in der Bundespolitik wahrgenommen werden. Es reicht heute nicht mehr, allein Bundesstellen, Kantone und Gemeinden ins Zentrum der Raumplanung zu stellen. Es braucht Anreize, sich regional, d.h. in funktionalen Perimetern, zu koordinieren. Diverse funktionale Räume haben sich bereits heute gut organisiert.
Sie fordern eine Strategie, nach der die Menge des Nicht-Baulandes flächenmässig vermehrt, die Menge des Baulands flächenmässig verringert wird. Sie müssten also die Landschaftsinitiative befürworten?
Im Grunde ja, wobei auch mit der heute gültigen Gesetzgebung die Raumplanung optimiert werden kann. Die Landschaftsinititative trägt viel dazu bei, dass breit über unseren Flächenverbrauch bzw. die Endlichkeit der freien Landschaft nachgedacht wird. Gerade in Schweiz sollten diese Anliegen auch ein Anliegen der Wirtschaft werden. Bund, Kantone und Gemeinden müssen stärker über die Grenzen hinweg zusammenarbeiten und gemeinsame, aber v.a. auch verbindliche Raumkonzepte umsetzen. Dabei geht es nicht einfach um die Verringerung des Baulandes, sondern um eine nachhaltige Steuerung des Verhältnisses zwischen Landschaft und Siedlung.
«Wichtig ist ein gemeinsames Verständnis darüber, wie die Gesellschaft leben möchte.»
Was sind die Voraussetzungen für das Gestalten und Bauen in einer urbanen Landschaft?
Wichtig ist ein gemeinsames Verständnis darüber, wie die Gesellschaft leben möchte. Es braucht Qualitätsstandards, mit denen eine hohe Lebensqualität im urbanen Raum erreicht werden kann. Zentrale Steuerungsinstrumente dürften sich in Zukunft in der Energiepolitik finden, d.h. Gestalten und Bauen mit dem Ziel, möglichst wenig Energie zu verbrauchen (neue Bautechnologien, Verkehrsanbindung, Mischnutzungen, etc.).
Müssen wir die angesprochene Zersiedelung und teilweise Entwertung der Landschaft als irreversibel hinnehmen oder lässt sie sich erneuern?
Von Menschenhand gebaute Umwelt ist in den wenigsten Fällen irreversibel. Für die Zukunft braucht es Instrumente, welche Rückbau und Rückzonung zulassen. Auch hier: Wichtig sind räumliche Qualitäten und Nachhaltigkeit und nicht die „Musealisierung der Landschaft“. Eine sogenannt entwertete Landschaft sollte wieder einen Wert bekommen, was nicht mit dem ursprünglichen Zustand gleichzusetzen ist.
Wie wird die Metropole Schweiz in 50 Jahren aussehen und wie wird sie funktionieren?
Die Metropole Schweiz wird in 50 Jahren auch international als Metropole wahrgenommen. Geschätzt werden der gute öffentliche Verkehr, die nachhaltige Raumentwicklung und die politische Stabilität. Die Metropole Schweiz wird mit London, Paris, etc. verglichen, weil zwischen Zürich, Basel, Bern und Genf/Lausanne ähnliche Reisezeiten mit dem öffentlichen Verkehr wie in den europäischen Metropolen einzurechnen sind, aber die Landschafts- und Lebensqualität extrem hoch ist.
Wie schätzen Sie die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Führungsnachwuchses ein?
Gut, wobei die Qualität des Führungsnachwuchses weniger von der Staatszugehörigkeit, sondern vom Ausbildungsangebot abhängt. Es ist deshalb wichtig, dass in der Schweiz ausgebildete Personen später auch für die Schweizer Wirtschaft verfügbar bleiben. Das Bildungsangebot sollte in der Politik höchste Priorität haben.
Wie wichtig ist Diversity für Ihr Unternehmen und welche Massnahmen sind in Ihrem Unternehmen zum Thema geplant oder schon umgesetzt?
Im Verein Metropole Schweiz ist Diversity selbstverständlich. Die Mehrzahl der im Vorstand aktiven Personen sind Frauen. Aber auch die über die Firma laufenden Projekte erfüllen mehrheitlich die Kriterien von Diversity. Die Firma selbst ist zu klein, als dass Diversity ein Thema sein könnte.
Herr Schenkel, herzlichen Dank für das Interview.
Zur Person:
Walter Schenkel (Dr., Politologe, geb. 1963) ist Partner bei synergo, einer Firma für Forschung, Beratung und Projektmanagement in den Bereichen Stadt- und Raumentwicklung, Verkehr, Umwelt und Energie sowie politische Zusammenarbeit und Kommunikation. Er leitet kommunale, kantonale, nationale und europäische Forschungs- und Beratungsprojekte, nimmt Lehraufträge wahr (ETH, Uni) und ist für diverse Publikationen verantwortlich. Seit 2009 ist er zudem Geschäftsführer des Vereins Metropolitanraum Zürich (8 Kantone, 110 Städte und Gemeinden) und Präsident des Vereins Metropole Schweiz.