Wolfgang Wienand, CEO Siegfried Gruppe, im Interview

Wolfgang Wienand, CEO Siegfried Gruppe, im Interview
Wolfgang Wienand, scheidender Siegfried-CEO. (Foto: Siegfried)

von Patrick Gunti

Moneycab.com: Herr Wienand, Siegfried ist im ersten Halbjahr stark gewachsen und hat auch deutlich mehr verdient. Einzig die Cyberattacke im Mai hat negative Spuren hinterlassen. Welches Fazit ziehen Sie bezüglich des ersten Semesters?

Wolfgang Wienand. Für uns war das erste Halbjahr in der Tat anspruchsvoll, aber wir gemeinsam haben wichtige Ziele erreicht. Wir haben die Integration und Transformation der beiden neuen spanischen Standorte erfolgreich auf den Weg gebracht und am Standort Hameln trotz der sehr engen Timelines wie geplant die Impfstoffabfüllung für BioNTech gestartet. Wir haben uns als Unternehmen anspruchsvollen ESG-Zielen verpflichtet und unser Debut mit einer kotierten Siegfried-Unternehmensanleihe gegeben. Damit haben wir auf verschiedenen wichtigen Handlungsfeldern die Voraussetzungen für eine weiterhin erfolgreiche Zukunft von Siegfried geschaffen.

Mit zunehmender Digitalisierung und Vernetzung steigt auch die Gefahr von Cyberattacken. Inwieweit war Siegfried auf einen Angriff vorbereitet und wie haben die IT-Spezialisten von Siegfried auf den Angriff reagiert?

Wir sehen ja alle, wie stark diese Attacken in den vergangenen Monaten zugenommen haben. Niemand scheint völlig gefeit. Um uns zu wappnen, haben wir erst im vergangenen Jahr einen Probeangriff durch externe Cybersecurity Experten durchführen lassen und erfolgreich überstanden. Teil der Wahrheit ist aber, dass ein vollkommener Schutz nicht möglich ist – insbesondere bei einem hochprofessionellen Angriff wie bei dem auf uns im Mai.

Wir haben diese Attacke durch zupackendes Krisenmanagement und den Einsatz vieler Kolleginnen und Kollegen auf allen Standorten erfolgreich überwunden. Durch ein kontrolliertes Herunterfahren unserer Anlagen haben wir sofort die Sicherheit aller Mitarbeitenden und Produktionsanlagen gewährleistet. Und dann ging es darum, möglichst schnell die Ursache zu identifizieren und die Systeme wiederherzustellen. Und für unsere Kunden lieferfähig zu bleiben für viele teilweise lebenswichtige Produkte und den Start der Impfstoffproduktion in Hameln nicht zu gefährden. All das ist uns dank des grossen Einsatzes und Zusammenhalts unserer Teams gut gelungen und wir konnten die Ausfallzeiten insgesamt in Grenzen halten.

«Teil der Wahrheit ist aber, dass ein vollkommener Schutz nicht möglich ist – insbesondere bei einem hochprofessionellen Angriff wie bei dem auf uns im Mai.»
Wolfgang Wienand, CEO Siegfried Gruppe

Mehrere Produktionsstandorte mussten vorübergehend stillgelegt werden. Lässt sich die Höhe des Schadens konkret beziffern?

Wir beziffern den Gesamteffekt nicht und werden ihn auch nicht separat ausweisen. Wir haben über den Cyberangriff jeweils zeitnah in drei Medienmitteilungen berichtet: Zunächst die Entdeckung des Angriffs und unsere Sofortmassnahmen zur Anlagensicherheit und Rückgewinnung der Kontrolle über unsere IT-Systeme. Anschliessend mit zwei Updates zu der zügigen Wiederaufnahme des regulären Produktionsbetriebs. Dieser ist in der Woche vom 7. Juni 2021 dann für die ganze Siegfried Gruppe mit Ausnahme des kleinen Standortes in Malta geglückt.

Natürlich hat dieser Stillstand zum Verlust von Produktionskapazitäten und zum Ausfall und Verzögerungen von Umsatz im ersten Halbjahr geführt. Letzteres insbesondere im Bereich der Drug Substances, da dort die Produktionszyklen länger sind als bei den Drug Products. Neben den Leerkosten während des Stillstands gab es auch Einmalaufwendungen für externe Dienstleister, die uns bei der Bewältigung der Attacke unterstützt haben. Die Leerkosten finden sich als Teil unserer Produktionskosten, die zusätzlichen externen Kosten sind grösstenteils in den Gemein- und Verwaltungskosten des ersten Halbjahres enthalten.

Siegfried konnte sich letztes Jahr von BioNTech einen Grossauftrag für die aseptische Abfüllung ihres mRNA-Coronavirus-Impfstoffs sichern. Seit Juni läuft das «Fill & Finish» der Impfstoffe am Standort Hameln. Wie aufwändig war der Prozess von der Auftragsvergabe bis zur Betriebsaufnahme?

Bei der Impfstoffabfüllung handelt es sich um ein technologisch sehr anspruchsvolles Projekt, das zudem in Rekordzeit realisiert werden musste. Dabei ging es ja nicht nur um die Etablierung des komplexen Fertigungsprozesses selbst, sondern wir mussten die nötigen zusätzlichen Kapazitäten erst aufbauen. Dass uns dies so gut gelungen ist, zeigt die Leistungsfähigkeit von Siegfried und ist dem Enthusiasmus und dem Einsatz zu verdanken, mit dem sich das Team in Hameln und viele andere im Siegfried Netzwerk dieser enormen Herausforderung gestellt haben. Darauf dürfen die Kolleginnen und Kollegen – und wir als Siegfried – durchaus ein wenig stolz sein.

Welche Kapazitäten weisen die Anlagen auf?

Wir freuen uns sehr über die Zusammenarbeit mit BioNTech, geben aber grundsätzlich keine Auskunft zu Mengen und Umsätze einzelner Projekte und Kunden.

«Wir bei Siegfried haben natürlich das Ziel, BioNTech unsere Expertise und Dienstleistungen auch über 2022 hinaus verfügbar zu machen, sei es für eine andauernde Produktion des Impfstoffes oder neue mRNA-basierte Produkte.»

Können die gleichen Produktionsanlagen für den proteinbasierten Impfstoff von Novavax genutzt werden, wenn dieser dann zugelassen wird?

Nein, die Voraussetzungen für die Abfüllung der beiden Impfstoffe sind unterschiedlich. Dementsprechend haben wir für BioNTech eine dedizierte Anlage gebaut. Für Novavax können wir dagegen auf bereits vorhandene Kapazitäten zurückgreifen.

Nochmals zurück zu BioNTech. BioNTech-Chef Sahin schätzt, dass schon in 15 Jahren ein Drittel aller neu zugelassenen Arzneimittel auf der mRNA-Technologie basieren könnte. Wie gross ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Zusammenarbeit über 2022 hinaus fortgesetzt wird?

Die mRNA-Technologie ist faszinierend und wir alle können froh sein, dass BioNTech so vorausschauend war und sofort gehandelt hat, als aus China die ersten Berichte über ein gefährliches neues Coronavirus bekannt wurden. Und in der Tat kann der Erfolg des BioNTech-Impfstoffs als Katalysator für weitere innovative mRNA-Therapien für andere Krankheiten wirken. Wir bei Siegfried haben natürlich das Ziel, BioNTech unsere Expertise und Dienstleistungen auch über 2022 hinaus verfügbar zu machen, sei es für eine andauernde Produktion des Impfstoffes oder neue mRNA-basierte Produkte.

Ärgert es Sie eigentlich manchmal, dass die ganze Welt von Corona-Impfstoffen, BioNTech oder Moderna spricht, aber kaum jemand weiss, wie die Dosen keimfrei bereitgestellt werden?

Nein, denn das liegt ja in unserem Geschäftsmodell als Pharmazulieferer begründet, da gibt es keine Eitelkeiten auf unserer Seite. Wir gehen normalerweise gar nicht mit Namen von Produkten oder Geschäftspartnern an die Öffentlichkeit. Bei der Abfüllung der Impfstoffe hat sich das nach Rücksprache mit unseren Partnern so ergeben, weil das Interesse in der Bevölkerung so gross und ja auch vollkommen berechtigt war. Zudem hat uns das auch dabei geholfen, unsere Zulieferer von der Wichtigkeit dieses Projekts nicht nur für sie selbst oder für Siegfried, sondern weit darüber hinaus zu überzeugen und auch in kürzester Zeit rund 60 neue Mitarbeiter an unserem Standort in Hameln zu rekrutieren.

Zu Jahresbeginn hat Siegfried in Spanien zwei Standorte von Novartis übernommen. Wie weit ist die Integration und Transformation zum heutigen Zeitpunkt fortgeschritten und wo stehen Sie mit der Vermarktung der neuen Standorte?

Die Strategie hinter der Übernahme der beiden Werke in Barcelona war, auch im Bereich Drug Products die angestrebte kritische Grösse zu erreichen, die wir in den Drug Substances seit der BASF-Akquisition 2015 schon haben. Ausserdem haben wir starke Teams, differenzierende Technologien und attraktive Produktionskapazitäten hinzugewonnen, die unser Angebot an den Standorten in Malta und Irvine (USA) sehr gut ergänzen. Die Integration der beiden Standorte in das Siegfried Netzwerk verläuft nach Plan. Wir haben bereits wichtige organisatorische Anpassungen vorgenommen und mit dem Aufbau des geplanten Centers of Excellence für hochwertige Entwicklungsdienstleistungen begonnen. Im kommenden Jahr werden wir dafür bis zu 15 Millionen Schweizer Franken in Labors, Geräte und Pilotanlagen investieren.

Im CDMO-Geschäft dauert es in der Regel rund drei Jahre, bis nennenswerte Umsätze aus neuen Aufträgen realisiert werden können. Neben der Entscheidungsfindung auf Seiten unserer Kunden liegt das am Aufwand für die Entwicklung und Etablierung der Produktionsprozesse, den hohen technologischen Standards und an den regulatorischen Anforderungen, die in der Pharmaindustrie aus guten Gründen besonders hoch sind. Parallel zu dieser Geschäftsentwicklung mit Drittkunden läuft unser langjähriger Liefervertrag mit Novartis als unserem strategischen Partner. Mit nennenswertem Neugeschäft rechnen wir in 2023 oder 2024.

«Wir konnten nicht einfach alles stehen und liegen lassen oder alle ins Homeoffice schicken, sondern mussten unsere Anlagen vor Ort am Laufen halten.»

Letzte Frage: Welche Lehren ziehen Sie nach rund eineinhalb Jahren aus der Pandemie. Einerseits für das Unternehmen, andererseits für sich persönlich?

Ausnahmesituationen wie die einer Pandemie stellen für alle eine grosse Herausforderung dar. Und Sie geben immer auch die Möglichkeit, sich selbst und seine Mitmenschen noch besser kennenzulernen und einzuschätzen. Wir bei Siegfried konnten auf einen starken Teamgeist zurückgreifen. Und haben bei aller Sorge und Verunsicherung bei vielen gerade zu Beginn der Pandemie sehr besonnen reagiert und die umfangreichen Schutzmassnahmen am Arbeitsplatz diszipliniert umgesetzt. Wir als Pharmaunternehmen waren uns jederzeit unserer besonderen Verantwortung für unsere Mitarbeitenden und auch für unsere Kunden und die ununterbrochene Versorgung vieler Patienten weltweit bewusst. Wir konnten nicht einfach alles stehen und liegen lassen oder alle ins Homeoffice schicken, sondern mussten unsere Anlagen vor Ort am Laufen halten. Das ist uns weitestgehend geglückt, dank des hohen Einsatzes und des Zusammenhalts in unseren Teams.

Mein Fazit: Siegfried hat die Herausforderungen angenommen, gemeistert und Resilienz bewiesen. Es ist uns gemeinsam gelungen, unsere Firma auf Kurs zu halten und die vergangenen eineinhalb Jahre erfolgreich zu gestalten und wichtige Ziele zu erreichen, trotz der erschwerten Umstände. Persönlich und als Familienvater hoffe ich natürlich, dass wir bald wieder zu einer grösseren Normalität zurückkehren und diese aussergewöhnliche Zeit hinter uns lassen können.

Herr Wienand, besten Dank für das Interview.

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