Luzern – Eine bemerkenswerte Technologie hat das Potenzial, den globalen Warenhandel zu reformieren. Um den entscheidenden Moment nicht zu verpassen, sollte sich der Einkauf bereits jetzt mit den innovativen Möglichkeiten vertieft auseinandersetzen.
Von Thomas Schatt und Stephan Trost
Bemerkenswerte Technologien reformieren den Warenhandel ganzer Branchen, was den Einkauf ins Rampenlicht rückt. Stellen Sie sich vor, Sie würden zukünftig – gemessen an der Supply-Chain-Performance – immer ohne vorherige Verhandlungen die optimalen Einkaufspreise erhalten. Sie würden jede einzelne Transaktion der gesamten Lieferkette kennen und hätten kaum mehr Qualitätsausfälle zu befürchten. Eine Illusion?
Voraussetzung dafür wäre eine vollständige, verlässliche und unveränderbare Quelle dieser Informationen. Ein autonomes, dezentrales System, das durch keinen Staat, keine Organisation kontrolliert werden kann und barrierefrei zugänglich ist. Eine unzerstörbare Kette an essenziellem Wissen für den Warenhandel der Zukunft.
Technologie löst die Vision ab
Eine der Technologien dieser Zukunftsvision ist bereits in der Gegenwart angekommen und nennt sich Blockchain. Kryptowährungen wie Bitcoin sind dabei nur ein kleiner Teil möglicher Anwendungen. Die in Luzern ansässige Firma Gübelin beispielsweise nutzt seit Kurzem die Blockchain zur lückenlosen Dokumentation der Entstehung und des Weges ihrer Farbedelsteine.
Die Blockchain ist eine sich kontinuierlich erweiternde Kette (engl. Chain) von Datensätzen, «Blocks» genannt. Diese Datenblöcke werden durch ein kryptografisches Verfahren untrennbar miteinander verbunden, wodurch eine nicht veränderbare Datenkette entsteht. Jeder Block baut auf dem vorhergehenden Block auf, der bestimmt, wie der nachfolgende Block geschrieben beziehungsweise errechnet werden muss. Da diese Blockchains immer redundant auf mehreren Servern weltweit gespeichert sind, die Änderungen zwingend bestätigen müssen, ist es praktisch unmöglich, gespeicherte Informationen zu verändern oder neue Informationen zu fälschen. Dies eröffnet enorme Chancen zur Effizienzsteigerung und für deutliche Kostenreduktionen.
Im Fall von Gübelin bedeutet dies ein unverfälschliches Gütesiegel für faire und transparente Produkte für qualitätsbewusste Kunden.
Bereits seit einigen Jahren auf dem Markt ist die Londoner Plattform Provenance, die interessierten Unternehmen auf einfache Weise ermöglicht, der Öffentlichkeit dank Blockchain die Nachhaltigkeit ihrer Produkte aufzuzeigen. Durch die fixe Verschweissung von Herstellungsinformationen mit den Handelsgütern werden Herkunft, Weg und Wert der Produkte offengelegt. Die Idee dazu hatte vor einigen Jahren die Gründerin und heutige CEO, Jessi Baker. Sie ärgerte sich damals darüber, wie wenig man über gekaufte Produkte wusste. Heute gehören bereits zahlreiche, namhafte Unternehmen und Organisationen aus den Bereichen Lebensmittel und Bekleidung zur Kundschaft von Provenance.
Die anstehende Disruption
Wie könnte so ein Blockchain-unterstützter Produktehandel aus Sicht des Einkaufs zukünftig aussehen? Produkte kennen jederzeit ihren exakten Wert und die Lieferkette und somit ist der Status der Produktion beziehungsweise sind die Verfügbarkeiten rund um die Uhr abrufbar. Die Performance der einzelnen Lieferanten wird fälschungssicher dokumentiert.
Wo früher Produkt-Preis-Verhandlungen im Zentrum von Lieferantenmeetings standen, diskutiert man heute über die Höhe der Margen. Qualitätsfälle lassen sich dank Früherkennung grösstenteils vermeiden und können im seltenen Eintretensfall verursachergerecht abgehandelt werden. Nicht nur alle operativen Einkaufsprozesse sind vollständig automatisiert, sondern auch ein Grossteil der strategischen Tätigkeiten. Die ehemalige Fokussierung des Einkaufs auf Kostenreduktion und Effizienz ist dem unternehmerischen Risikomanagement, dem internationalen Vertragsmanagement sowie der technologischen Kooperation mit strategisch wichtigen Lieferanten gewichen.
Voraussetzung dafür, dass ein solches oder ein ähnliches Zukunftsbild für Einkaufsorganisationen überhaupt eintreten kann, ist die frühzeitige und aktive Auseinandersetzung mit den Chancen der Blockchain-Technologie. Nur wenn der Einkauf den Wandel aktiv vorantreibt, kann er die Richtung mitbestimmen. Wer diese Chance verpasst, riskiert im Extremfall das Ende der klassischen Einkaufsabteilung, wie wir sie heute kennen.
Kein risikoloser Selbstläufer
Es gibt zweifelsohne auch Aspekte der Blockchain, die vorgängig genauer betrachtet werden sollten, bevor man sich in die Abhängigkeit dieser Technologie begibt. So besteht beispielsweise trotz der innovativen Technik immer noch ein kleines Restrisiko einer Manipulation. Nebst diesem sehr unwahrscheinlichen Fall wäre zu bedenken, dass eine «Unvergesslichkeit» und Transparenz nicht in jedem Fall von Vorteil sein müssen. Jeder Nutzer der Blockchain hat Einsicht in die komplette Transaktionshistorie. Hinzu kommt, dass eine Blockchain-Datenbank immer weiterwächst. Egal, wie relevant gewisse Daten später noch sein werden, sie können nicht gelöscht werden. Und nicht zuletzt bewirkt die dezentrale Datenverwaltungsarchitektur, dass alle in einer Blockchain stehenden Server die gleichen Daten redundant abspeichern. Damit ist die Blockchain-Technologie weitaus speicher- und somit energieintensiver als herkömmliche, relationale Datenbanken. Die Blockchain-Technologie ist keine einfache Lösung aus der Schublade. Sie ist vielmehr ein «Enabler» von innovativen, nachhaltigen und gewinnbringenden Geschäftsmodellen. Sie braucht jedoch zur Entfaltung der vollen Wirkung einerseits eine Verbindung mit anderen Technologien und andererseits ein Umfeld, das bereit ist, die Möglichkeiten dieser Technologie zu erkunden.
Die Autoren:
Thomas Schatt Der Autor ist «Bereichsleiter Logistik, Fertigung, Lager» bei DOM Schweiz AG in Altendorf und Teilnehmer des Executive MBA der Hochschule Luzern – Wirtschaft. | |
Stephan Trost Der Autor ist «Global Head Procurement EQ/MCS» bei Oerlikon Metco AG in Wohlen und ist Teilnehmer des Executive MBA der Hochschule Luzern – Wirtschaft. |