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Zürich – Die Informations- und Warenflüsse zwischen Herstellern, Händlern und Konsumenten verändern sich weiter. Immer mehr Vertriebsformen entstehen und wetteifern miteinander. Internet und Digitalisierung bringen weitere, innovative Geschäftskonzepte hervor. Auslandsmärkte üben Druck auf die Schweiz aus, sowohl auf den traditionellen Einzelhandel als auch auf den E-Commerce. Markenhersteller wollen ihre Markenwelten besser zum Endkunden bringen und übernehmen auch klassische Handelsfunktionen. Für alle Formen des Handels wird eine Funktion immer wichtiger: die Schaffung von Zugängen zu Kunden.
Der E-Commerce-Report Schweiz untersucht seit 2009 Stellenwert, Wandel und Trends des Schweizer Onlinehandels – als einzige Studie aus Sicht der Anbieter. Realisiert wird die Befragung vom Online-Zahlungsverarbeiter Datatrans und der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW.
Anspruchsvolle Situation im Schweizer E-Commerce
Auch wenn der Onlinehandel im Jahr 2015 um weitere 10 % zulegte, für manche Anbieter war es ein schwieriges Jahr. Die Wachstumsraten der Studienteilnehmer lagen tiefer als in früheren Jahren. Etwa ein Drittel musste sogar einen Umsatzrückgang hinnehmen. Einer der Gründe dafür ist der starke Wettbewerb, insbesondere aus dem Ausland. Der Marktanteil ausländischer E-Commerce-Anbieter wuchs 2015 um zwei Prozentpunkte auf beachtliche 20 % – wobei erhebliche Unterschiede zwischen den Branchen bestehen. Auch Anpassungen am Geschäftskonzept können zunächst einen Umsatzrückgang bewirken. „Rentabilität und Nachhaltigkeit sind wichtiger geworden“, erklärt Studienautor Wölfle. „Schweizer Unternehmen setzen im E-Commerce nicht mehr blind auf Wachstum.“
Kanalübergreifende Geschäftskonzepte weiterhin von hoher Bedeutung
Anbieter, die die Möglichkeit dazu haben, treiben Multichannel-Konzepte voran. Die Kundenähe stationärer Kontaktpunkte soll auch im Kontext des E-Commerce als Vorteil ausgespielt werden. Stärker als in den Vorjahren öffnen sich auch Pure-Player für stationäre Konzepte. Sie wollen mehr Visibilität erreichen und lokale Services wie Abholstellen oder Service Points einrichten. Nicht zuletzt durch den massiven Roll-out von 290 PickMup-Abholstationen der Migros-Gruppe glauben zwischenzeitlich 80 % der Studienteilnehmer, dass sich Pick-up-Lösungen im Markt etablieren werden. Erste Anbieter versuchen, die beschränkten Sortimente in ihren Filialen durch einen Zugriff auf Onlinesortimente zu erweitern.
Logistik als Differenzierungsmerkmal
Schweizer Anbieter wollen auch in der Logistik von ihrer physischen Nähe zum Kunden profitieren: Sie können schneller liefern als ausländische Wettbewerber und leichter Abholmöglichkeiten einrichten. Viele Anbieter investieren erheblich in die Logistik. Nach einer Verkürzung der Lieferzeit rücken nun die Möglichkeiten zur Bestimmung von Lieferzeit und –ort durch den Kunden in den Vordergrund. Die Einbindung verschiedener, bausteinartiger Serviceleistungen und –partner, etwa für Montage, Inbetriebnahme und Entsorgung, bietet Kunden individuelle Auswahlmöglichkeiten.
Neuer Schub im Payment
Die Bestellung einer kaufbereiten Person darf nicht durch eine Barriere beim Bezahlvorgang gefährdet werden. Das ist die wichtigste Anforderung an Zahlungslösungen. Es folgt der Ruf nach mehr Einfachheit, auch auf dem Smartphone, und niedrigeren Kommissionen für die Anbieter. Während der Einzelhandel bisher weitgehend in seinen bereits in die Jahre gekommenen Lösungen verharrt, haben Dienstleistungsbranchen wie der öffentliche Verkehr grosse Fortschritte erzielt. Dieser ist mit mobilen Ticketverkaufslösungen und automatisiertem Zahlungsprozess äusserst erfolgreich: „Mit zwei Klicks auf dem Smartphone ein Billett kaufen“.
Amazon als Ansporn des Behauptungswillens
In vielen Ländern ist Amazon die erste Anlaufstelle für Onlineshopping. Das Angebot ist riesig und die Logistikleistungen sind spektakulär. In der Schweiz fehlt bis heute ein entsprechendes Pendant: Als B2C-Marktplätze befinden sich ricardo.ch und siroop sozusagen in einer Stunde null. siroop – derzeit vielleicht das aufregendste E-Commerce-Projekt der Schweiz – legt als Start-up ein beachtliches Tempo vor. Amazon wird gefürchtet: Was hätten Schweizer Anbieter Amazon entgegenzustellen? Eine Drei-Viertel-Mehrheit des Studienpanels ist der Meinung, dass ein starker Schweizer B2C-Onlinemarktplatz gut für die Schweiz wäre, um das Geschäftsfeld nicht einfach Amazon zu überlassen.
Zwei Onlinewarenhäuser auf dem Vormarsch
Digitec Galaxus erzielte 2015 einen Umsatz von fast 700 Mio. Franken und ist seither der grösste Schweizer E-Commerce-Anbieter für Konsumgüter. Neben Galaxus kann auch BRACK.CH wegen ihres sortimentsübergreifenden Angebots als Onlinewarenhaus bezeichnet werden. Beiden wird zugetraut, auch in einem verschärften Wettbewerb mit Amazon bestehen zu können. Aber über ihr eigenes Potenzial hinaus entfalten sie für den Schweizer E-Commerce keinen Hebel, Amazon etwas entgegenzustellen – sie sind eben keine Onlinemarktplätze.
Markenhersteller ergreifen die Initiative
Markenhersteller beanspruchen eine aktivere Rolle in der Beziehung zu Endkunden. Sie müssen das tun: Der traditionelle Handel verliert an Gewicht und Markenfans verlangen einen direkten Zugang. Markenhersteller wollen ihre Markenwelt über die traditionelle Distribution hinaus ausdehnen. Konflikte mit dem Handel sind programmiert, aber nicht zwingend. Die Arbeitsteilung ist neu auszuloten. Aber es gibt keine Alternative dazu, die Vielfalt der Kundenanforderungen und das Nebeneinander unterschiedlicher Bezugswege zu akzeptieren.
Der Handel wird auch in Zukunft gebraucht
Auch wenn sich Marken stärker im Vertrieb an Endkunden engagieren, der Handel wird für die meisten auch zukünftig ein unentbehrlicher Partner sein. Hersteller brauchen einen leistungsfähigen Handel, der ihnen Aufmerksamkeit in seinem Kundensegment verschafft (Reichweite), der sich auf geeignete Weise für ihre Produkte einsetzt (Promotion), der die Markenpolitik nicht untergräbt und bei Bedarf stellvertretend für die Marke mit den Kunden kommuniziert und deren Anliegen bedient (Service). Das mit Abstand wichtigste Asset eines Händlers ist sein Zugang zu den Konsumenten. «Beinahe alle Produkte und Leistungen sind an mehreren Stellen gleichzeitig verfügbar», so Studienautor Wölfle. «Für die Verkäufe entscheidend wird sein, wer den Zugang zu den Kunden hat.» (Datatrans/mc/pg)