Gesichtserkennung ist ein emotionales Thema. Reflexartig werden Ängste in der Bevölkerung wachgerüttelt, und es werden chinesische Zustände von einem Überwachungsstaat heraufbeschwört.
Von Christian Fehrlin, CEO Deep Impact
Als unser Venture AVA-X, welches sich auf Identifikation von Menschen spezialisiert hat, auf nau.ch porträtiert wurde und dies von verschiedenen Medien, z.B. Russia Today, aufgenommen wurde, brach ein regelrechter Shitstorm über uns herein. Wir seien Faschisten und Nazis, oder es wäre doch ein netter Zufall, wenn jemand unsere Büros abbrennen würde. Dies eher die netteren Kommentare.
Warum emotionalisiert das Thema der Gesichtserkennung?
Gesichtserkennung wird unweigerlich mit dem Überwachungsstaat verknüpft. Die Empörten unterstellen, dass der Staat jederzeit weiss, wo ich mich gerade aufhalte. Aber dies benötigt keine Gesichtserkennung. Facebook, Google und Co. wissen sowieso, wo ich mir gerade eine Pizza reinziehe. Der Telekommunikationsanbieter weiss es auch.
Aber die Daten dürfen nicht systematisch ausgewertet werden, weil die Telekommunikationsanbieter den Schweizer Datenschutzregeln unterworfen sind. Bei den globalen Techfirmen ist dies schon etwas schwieriger. Sie beschwören zwar immer wieder, dass sie diese Technologien nicht für Polizeikorps anbieten, aber Militär und Geheimdienste klammern sie bewusst aus.
Was ist Gesichtserkennung eigentlich?
Es gibt verschiedene Stufen der Gesichtserkennung.
- Die erste Stufe ist “Face Detection”. D.h. es muss zuerst überhaupt von der künstlichen Intelligenz (KI) ein Gesicht auf einem Video-Stream oder einem Bild erkannt werden. Das ist komplizierter als man denkt. Hier gehört der Algorithmus von AVA-X zu den besten auf der Welt. Die Identität der Person bleibt unbekannt.
- Die zweite Stufe ist “Face Match”. Es werden zwei Bilder aus unterschiedlichen Quellen miteinander verglichen und die KI überprüft, ob es das gleiche Gesicht ist. Die Identität der Person ist und bleibt unbekannt.
- Die dritte Stufe ist die eigentliche Gesichtserkennung: Erst auf dieser Stufe findet die Personalisierung statt. Die Software erkennt, wem das Gesicht gehört und kann die Person identifizieren. Und das ist in der Regel heikel.
Wie ist die Gesetzeslage in der Schweiz?
Es darf keine öffentliche Überwachung geben. Das Gesetz verbietet das. Der Staat wird hier also mit gesetzlichen Vorgaben zurückgebunden, und das funktioniert aus meiner Erfahrung hervorragend. Die Sicherheitsbehörden dürfen zwar in engen gesetzlichen Rahmen Identifikation von Personen durchführen oder Beweis-Material maschinell auswerten, was auch Sinn ergibt.
Die Abteilungen bei der Bundespolizei, welche Kinder-Pornografie oder Gewalt-Videos auswerten müssen, sind überfordert: psychisch und punkto Verlässlichkeit der Gesichtserkennung. Hier kann die KI viel besser stundenlanges Video-Material analysieren und die Opfer klassifizieren. Auch wenn der zeitliche Unterschied zwischen Tat und Sichtung relativ gross ist, erhöht die KI die Chance deutlich, einen Fall aufzuklären.
Zusammenfassend: eine Technologie mit Facetten
Natürlich kann die Technologie auch für Zutrittssysteme genutzt werden. Das biometrische Ticketing garantiert zum Beispiel einen hohen Komfort: Beim Check-in im Hotel mit dem Gesicht, beim Zutritt ins Bankgebäude mit dem Gesicht anstelle des Badges, der alles andere als sicher ist – oder eben beim Zutritt eines Events, für den Zertifikatspflicht herrscht. Oft reicht hier die Anwendung von Stufe 2, dem «Face-Match». Die Person wird unidentifiziert bleiben.
Die Anwendungsmöglichkeiten der KI im Feld der Gesichtserkennung sind gross und nicht nur negativ. Wir befürworten und fördern deshalb eine differenzierte und kritische Auseinandersetzung mit dem Thema. Technologie intelligent und verantwortungsvoll zu nutzen, bringt mehr Vor- als Nachteile. Und die Unabhängigkeit von globalen Techfirmen hat je länger je mehr auch einen beträchtlichen Wert.