OBT: Thomas Koller und Marcel Baghdassarian über E-Learning und Know-how-Transfer
Digitalisierung – ein aktueller Trend, der schon lange keine Neuigkeit mehr ist. Es gibt einen branchenübergreifenden Konsens, dass nur wer sich damit auseinandersetzt, eine Chance auf zukünftigen Erfolg hat. Und obwohl dieses Credo bereits auch in den entlegensten Orten der Industrienationen angekommen ist, wissen viele Unternehmen noch immer nicht, wie sie den geänderten Anforderungen gegenübertreten sollen. Die OBT AG stellt sich den internen und externen Herausforderungen der Digitalisierung systematisch: Einmal im Monat treffen sich die beiden Strategen von OBT – Thomas Koller, VR-Präsident, und Marcel Baghdassarian aus dem Fachbereich Informatik – und stecken zu diesem Thema die Köpfe zusammen. Gemeinsam besprechen sie aktuelle Fragestellungen, identifizieren mögliche Stolpersteine und erarbeiten praxisnahe Lösungsansätze.
Worauf muss bei der Bedarfsanalyse im Vorfeld geachtet werden?
Thomas: Der erfolgreiche Know-how-Transfer hängt wesentlich von einer fundierten Bedarfsanalyse im Vorfeld eines E-Learning-Projekts ab. Da Mitarbeitende immer von unterschiedlichen Wissenslevels aus starten, stellen wir mit standardisierten E-Learning-Containern sicher, dass alle Mitarbeitenden in den definierten Themenfeldern den gleichen Wissens- und Ausbildungsstand sicher erreichen können. Das klingt in der Theorie einfach, erfordert aber in der Praxis gerade bei komplexen Lerninhalten eine exakte Definition von Rollen, Prozessen und Dokumenten.
Marcel: Selbstverständlich muss bei der Bedarfsanalyse auch verifiziert werden, welche Themen mit E-Learning-Konzepten oder mit Präsenzveranstaltungen vermittelt werden sollen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass eben nicht alle Themen für E-Learning geeignet sind. Gerade wenn spontan auf Einwände, Fragen und Anmerkungen reagiert werden muss, braucht es die unmittelbare Interaktion zwischen Lehrperson und den Lernenden.
Funktionieren die elektronischen Lernräume auch ganz ohne Trainer oder Moderatoren?
Marcel: Ja und nein. Grundsätzlich gilt, dass klassische E-Learnings ohne Trainer oder Moderatoren funktionieren. Das heisst aber, Rückfragen werden aufgrund der fehlenden Interaktion zwischen den Mitarbeitenden und dem Trainer bzw. Moderator nicht direkt beantwortet. Das kann verunsichern und die Akzeptanz des E-Learning-Systems bei den Mitarbeitenden mindern. Man kann dem entgegenwirken: Einerseits, indem man virtuelle Assistenzsystemen und Chatbots, die mit den Mitarbeitenden interagieren können, ins E-Learning integriert. Und andererseits, indem man Chats mit dem Trainer bzw. Moderator zu bestimmten Zeiten zur Verfügung stellt. Hier würden aber wiederum Trainer oder Moderatoren benötigt. In der Praxis ist zu beobachten, dass viele Mitarbeitende bei Unsicherheiten den Kontakt mit E-Mails suchen. Ich denke, es braucht noch etwas Zeit und ein Umdenken bei den Mitarbeitenden. E-Learning funktioniert anders wie der klassische Frontalunterricht.
«Trotz ausgereifter E-Learning-Methoden mit positiver Arbeitsatmosphäre, ansprechendem Design und einer zielgruppengerechten Ansprache ist E-Learning immer noch «virtuelles Lernen», das von Mitarbeitenden oft im Vergleich zum betrieblichen Alltag als zu theoretisch wahrgenommen wird.»
Welche Erfahrungen habt ihr mit dem selbstorganisierten Lernen gemacht? Spiegelt das die betriebliche Realität wieder – auch wenn es um «Muss-Themen» geht?
Thomas: Trotz ausgereifter E-Learning-Methoden mit positiver Arbeitsatmosphäre, ansprechendem Design und einer zielgruppengerechten Ansprache ist E-Learning immer noch «virtuelles Lernen», das von Mitarbeitenden oft im Vergleich zum betrieblichen Alltag als zu theoretisch wahrgenommen wird. Das Problem haben wir natürlich erkannt. Insofern wählen wir genau aus, welche Themen im E-Learning sinnvoll sind. Interessanterweise steigert die Publizierung eines neuen E-Learning-Themas unmittelbar auch die Präsenz und Wahrnehmung im Arbeitsalltag, wie wir beim Thema «Einhaltung von Compliance-Vorschriften» gesehen haben.
Marcel: OBT verfügt über die ISO-Zertifizierung 27001. Damit ist die Pflicht, dass Mitarbeitende einen Kurs absolvieren müssen, bereits festgelegt. Die Praxis zeigt, dass dieser rechtliche Rahmen für E-Learning auch gut funktioniert. So bekommt jeder neue Mitarbeitende beim On-Boarding seinen persönlichen Link zu Lerncontainern und kann die Themen Schritt für Schritt abarbeiten. Im Anschluss gibt es jeweils einen obligatorischen Test. Hierbei setzen wir natürlich auf Vertrauen und observieren die Lernumgebung nicht per Kamera (schmunzelt). Insofern wissen wir nicht, ob Antworten von Dritten vorgegeben werden oder nicht – aber die Erfahrung zeigt, dass der Ehrgeiz beim E-Learning generell hoch ist.
Welche Vorteile bietet E-Learning?
Thomas: Digitale Lernmethoden sind meines Erachtens nicht mehr wegzudenken, denn E-Learning bietet neue Perspektiven für die gezielte Entwicklung von Mitarbeitenden. Bisher haben Führungskräfte gemeinsam mit den Mitarbeitenden fachliche Entwicklungsziele definiert. Die Kontrolle der Zielerreichung war dann aber eher dem Zufall und dem Bauchgefühl der Vorgesetzten aus der Kontrolle der Arbeitsergebnisse überlassen. Mit E-Learning-Sequenzen kann nun eine systematische Ausbildungsziel-Kontrolle betrieben werden. Auch im Rekrutierungsbereich bieten sich dank E-Learning neue Möglichkeiten, indem die Qualifizierung von Bewerberinnen und Bewerbern vor der Anstellung im Rahmen von Online-Leistungstests verifiziert werden kann.
Marcel: Die Vorteile sind vielfältig. Die Mitarbeitenden können die E-Learnings orts- und zeitunabhängig absolvieren – für Unternehmen mit mehreren Standorten ist das ideal. Sogar verschiedene Zeitzonen sind kein Hindernis mehr. E-Learning wird auch den unterschiedlichen Lerngeschwindigkeiten gerecht: Jeder lernt im eigenen Tempo, ohne von einer Klasse gehetzt oder gebremst zu werden. Das steigert die Lerneffizienz enorm. E-Learning ist zu Beginn sicherlich eine Investition für das Unternehmen. Diese zahlt sich aber aus, je mehr es genutzt wird. Die Initialkosten bleiben gleich – egal, wie viele Mitarbeitende unterrichtet werden. Das heisst, Kosten für Trainer und Moderatoren sowie für Schulungsräume steigen nicht mit der Anzahl der zu schulenden Mitarbeitenden. Kurz: Je mehr Mitarbeitende ein Unternehmen schult, desto günstiger wird es je Teilnehmer.
Was sind aus eurer Sicht die wichtigsten Entwicklungen im Bereich des E-Learnings in den letzten Jahren?
Thomas: Die technologische Entwicklung hat eine extrem hohe Usability gebracht. Und was in der analogen Schule durchaus Sinn gemacht hat, macht heute digital kaum noch Sinn. Dank zahlreicher Devices, schnellem Internet und modernen LMS ist das Lernen zeit- und standortunabhängig geworden. Man denke nur an die unzähligen Sprach-Apps, die man auf allen mobilen Geräten nutzen kann. Daneben hat der spielerische Umgang mit Lernen und Prüfen auch zu einem unverkrampften Verhältnis der Millennials zu diesem Thema geführt.
Marcel: Mit der digitalen Revolution im E-Learning ist es wie mit der Dampfmaschine: Erst nach zehn Jahren wurde der Elektromotor kleiner und flexibler. Insofern werden in den nächsten Jahren dank den Technologien von Google, YouTube, Apple & Co., virtuellen Welten sowie künstlicher Intelligenz im E-Learning neue Methoden, Tools und Prozesse entstehen – mit ungeahnter Flexibilität und Effizienz, was das Lernen angeht. Gut beobachten kann man die Trends jetzt schon beim E-Learning-Setup der amerikanischen Elite-Universitäten mit ihrem «Massive Open Online Course», an dem teilweise mehr als 100’000 Studenten teilnehmen.
In der nächsten Ausgabe besprechen Thomas und Marcel mögliche weitere spannende Themen im Bereich der Digitalisierung.
Wir lesen uns!