SAP kappt Ziele wegen Corona und Schwenk zur Cloud – Aktie stürzt ab
Walldorf – Die Covid-19-Pandemie setzt Europas grösstem Softwarehersteller SAP stärker zu als bisher gedacht. Weil die Nachfrage wegen neuer Beschränkungen zuletzt verhaltener ausfiel als erwartet, geht das Management um Vorstandschef Christian Klein nun von weniger Umsatz in diesem Jahr aus, auch der operative Gewinn dürfte nicht mehr so hoch ausfallen wie zuletzt geplant. Klein legte zudem faktisch die ambitionierten Mittelfristziele für die Profitabilität 2023 ad acta, weil er den Konzern noch schneller auf den Bereich Cloudsoftware ausrichten will. Die Aktie stürzte ab.
In den ersten Handelsminuten verlor das Papier des wertvollsten deutschen Konzerns bis zu knapp 21 Prozent auf 98,88 Euro. Der Kurs rutschte damit erstmals seit Anfang April unter die Marke von 100 Euro. Durch den Kurssturz gingen 32 Milliarden Euro Marktwert flöten. Für Börsianer war das Paket aus schwachen Zahlen zum dritten Quartal und zurechtgestutzten Prognosen «eine böse Überraschung», wie ein Händler formulierte. Das Paradies sei aufgeschoben worden, schrieb UBS-Analyst Michael Briest in einer ersten Reaktion. Geduld sei jetzt gefragt.
JPMorgan-Expertin Stacy Pollard strich ihre Kaufempfehlung und senkte das Kursziel von 160 auf 120 Euro. Auch wenn sie wegen der Corona-Pandemie mit Verschiebungen bei den mittelfristigen Ergebniszielen gerechnet habe, seien die neuen Ambitionen doch um einiges schwächer als von ihr gedacht. SAP rechnet bis Mitte kommenden Jahres mit Belastungen durch Corona, was auch die für 2023 gesetzten Mittelfristziele um ein bis zwei Jahre nach hinten verschiebt. Wegen des noch schnelleren Umstiegs auf Cloudsoftware müssen sich Anleger nun darauf einstellen, dass SAP bis dahin auch kaum Fortschritte bei der Profitabilität machen wird.
Kleins Vorgänger an der Konzernspitze, Ex-Chef Bill McDermott, hatte nach Jahren des Margenschwunds versprochen, dass SAP nun endlich die Früchte ernten werde und die bereinigte operative Marge (bereinigtes Ebit) 2023 rund fünf Prozentpunkte über derjenigen von 2018 (29 Prozent) liegen sollte. Daraus wird nun nichts, SAP stellte den Finanzmarkt darauf ein, dass das starke Wachstum der Cloudangebote 2023 wohl vier bis fünf Prozentpunkte bei der operativen Marge kosten wird – womit der bisher angepeilte Anstieg nahezu komplett aufgezehrt werden dürfte.
«Ich opfere den Erfolg unserer Kunden nicht der kurzfristigen Optimierung unserer Marge», sagte Klein am Montag in einer Telefonkonferenz. Die Kunden fragten verstärkt Software aus der Cloud zur Nutzung über das Internet nach, insofern wäre das Beibehalten der alten Mittelfristziele mit dem Fokus auf die eigene Profitabilität gegen deren Wünsche gewesen, sagte der 40-Jährige. Finanzchef Luka Mucic ergänze, das Management steuere das Unternehmen nicht nach der operativen Marge. «Wir wollen ein Wachstumsunternehmen bleiben», sagte der Manager.
Cloudsoftware weniger profitabel wie einmalige Lizenzgebühren
Zwar wächst die Software zur Nutzung über das Internet stärker als fest auf der Kunden-IT installierte Programme, doch sie ist noch immer nicht so profitabel wie die einmaligen Lizenzgebühren. Cloudsoftware wird entweder in Abonnements über die Laufzeit bezahlt oder gegen eine Nutzungsgebühr. Die Softwarelizenzen dürften nach Schätzung von SAP in den kommenden Jahren gegenüber dem Niveau von diesem Jahr zurückgehen.
Für das Wachstum mit Cloudsoftware will SAP jetzt mehr Geld in die technische Infrastruktur stecken, so seien voraussichtlich kommendes und übernächstes Jahr zusätzliche Ausgaben erforderlich, hiess es. Mucic bezifferte die nötigen Investitionen auf einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag. «Wir glauben, dass uns die Investitionen in die Lage versetzen, beim Umsatz künftig stärker zu wachsen, wenn die Investitionsphase vorbei ist», sagte er.
Umsatzprognose für Gesamtjahr zurückgenommen
In diesem Jahr rechnet SAP nun mit einem Gesamtumsatz von 27,2 bis 27,8 Milliarden Euro auf Basis konstanter Wechselkurse – das heisst zu Wechselkursen aus dem vergangenen Jahr. Schlägt der starke Euro besonders hart bei der Umrechnung von ausländischen Erlösen zu Buche, sind auch Werte darunter möglich. Vorher waren 27,8 bis 28,5 Milliarden angepeilt.
Auch die Geschäfte mit Cloudsoftware dürften schwächer ausfallen. Vor allem die US-Tochter Concur, die Kunden Reisekostenmanagement anbietet, leidet unter der Krise. Beim bereinigten Betriebsergebnis kürzte das Unternehmen die Pläne am oberen Ende der erwarteten Spanne ebenfalls etwas auf 8,1 bis 8,5 Milliarden Euro. Bereits im April hatte SAP die ursprünglichen Jahresziele wegen der Corona-Krise eingedampft.
Weil der Konzern stark auf die Kostenbremse getreten ist, sieht es in diesem Jahr immerhin bei der Entwicklung der Kassenlage besser aus. Wie bei Concur einerseits die Geschäfte belastet wurden, sparte das Unternehmen auf der anderen Seite massiv bei den Reisekosten. Zudem haben die Walldorfer derzeit einen Einstellungsstopp für Verwaltungsfunktionen verhängt, wie Mucic sagte. Statt mit rund 4 Milliarden Euro freiem Barmittelzufluss (Free Cashflow) kalkuliert Mucic in diesem Jahr nun mit über 4,5 Milliarden Euro Zufluss in die Kasse.
Im dritten Quartal zeigte sich aber dennoch, wie stark die Krise auch SAP in die Mangel nimmt – wobei das Management weiter optimistisch ist, dass der Wert von Digitalisierung für die Unternehmen in der Krise deutlicher sichtbar wird.
Quartalsumsatz schrumpft um 4%
Der Gesamtumsatz schrumpfte zwischen Juli und Ende September im Jahresvergleich um 4 Prozent auf 6,54 Milliarden Euro, wobei der starke Euro für das Minus sorgte. Währungsbereinigt wären die Erlöse stabil geblieben. Das um Sonderkosten bereinigte Ergebnis vor Zinsen und Steuern lag mit 2,07 Milliarden Euro um ein Prozent unter dem Vorjahreswert, wäre ohne Wechselkurseinfluss nach Berechnungen von SAP aber um 4 Prozent gewachsen. Mit den Werten von Umsatz und operativem Ergebnis lag SAP klar unter den Schätzungen von Analysten.
Unter dem Strich konnte Mucic immerhin einen deutlichen Gewinnanstieg von 31 Prozent auf 1,65 Milliarden Euro ausweisen. Dafür sorgten vor allem Bewertungseffekte bei der Beteiligungstochter Sapphire Ventures, die vorwiegend Geld in Start-Ups investiert. Diese hätten sich gut entwickelt, sagte Mucic. In den kommenden beiden Jahren rechnet SAP mit einem verhaltenen Wachstum der Umsätze, das bereinigte Betriebsergebnis dürfte stagnieren oder sogar sinken. Ab 2023 soll der Umsatz schneller wachsen und das operative Ergebnis prozentual zweistellig zulegen.
2025 will SAP bei den Clouderlösen die Marke von 22 Milliarden Euro knacken und Gesamtumsätze von über 36 Milliarden erreichen. 85 Prozent der Umsätze sollen dann besser planbar sein, das heisst, dass sie entweder aus Cloudabos kommen oder aus Wartungsverträgen – und nicht allein vom vertrieblichen Erfolg abhängen. Das operative Ergebnis soll zur Mitte des Jahrzehnts über 11,5 Milliarden Euro liegen. Bisher hatte SAP etwa beim Cloudumsatz 2023 mit mehr als 15 Milliarden Euro gerechnet. (awp/mc/ps)