Zürich – „Die Schweizer Detailhändler hinken beim Online Handel mit Lebensmitteln hinterher. 2017 wird Dynamik in diesen wachsenden Markt kommen, wenn LeShop von Migros sein Angebot um 300 Abholpunkte erweitert hat und Coop@Home sein Pilotprojekt mit Lieferungen an Sonntagen startet“, meint Dr. Mirko Warschun, Leiter des Beratungsbereichs Konsumgüterindustrie und Handel in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika bei A.T. Kearney. Online Food Retailing biete nicht nur neue Marktpotenziale, sondern sei auch eine Bedrohung für den stationären Handel, der Umsatz an das Internet verlieren werde. „Die Schweizer Detailhändler müssen sich rasch eine gute Ausgangslage im Internet sichern und dabei auf regionale Besonderheiten achten, denn der Wettbewerb im Lebensmittelhandel wird in Zukunft auch im Internet entschieden.“
A.T. Kearney untersucht seit 2011 den europäischen Markt für Online-Food-Retailing (OFR). In der jüngsten Untersuchung der Managementberatung wurden mehr als 2300 Konsumenten in der Schweiz, Deutschland, Frankreich und Grossbritannien befragt. Die Studie zeigt bedeutende OFR-Unterschiede zwischen den Ländern und arbeitet Einflussfaktoren heraus, die Händler nutzen können, um sich im wachsenden OFR-Markt zu positionieren.
Enormes Wachstumspotenzial
Der Schweizer ORF-Markt bietet attraktive Wachstumsperspektiven. Noch gehört die Schweiz mit einem Online-Anteil am gesamten Lebensmittelumsatz von nur 1,2 Prozent zu den europäischen Schlusslichtern: Im Vorreiterland Grossbritannien sind es 4,2 Prozent, noch schlechter schneiden allein die Deutschen mit nur einem Prozent ab. Vergleicht man die jährlichen OFR-Ausgaben pro Kopf wird der Abstand noch deutlicher: 37 Schweizer Franken stehen umgerechnet 165 Schweizer Franken bei den Briten gegenüber. Laut Studienautoren entspräche ein zusätzliches Umsatzprozent, das aus dem stationären Lebensmittelhandel ins Internet abwandert, einem Wachstumspotential von CHF 513 Mio. Diese Einkünfte gehen den Detailhändlern allerdings verloren, wenn sie es nicht schaffen, online Marktanteile zu erobern.
Schweizer Lebensmittelhändler haben sichtlich Mühe, Kunden online zu gewinnen und zu halten: 93 Prozent der Schweizer Konsumenten kennen zwar OFR, doch mehr als die Hälfte hat noch nie Lebensmittel im Internet bestellt. 23 Prozent der Online-Shopper waren mit dem Service und/oder der Qualität nicht zufrieden und ein Viertel hat sich wieder ausschliesslich dem stationären Handel zugewandt.
Zielgerichtete Strategien gefragt
Vom europäischen Vergleich und britischen Best Practices kann der Schweizer Detailhandel lernen, seinen Kunden den Weg ins Internet zu weisen. Denn es wird nicht reichen, massiv in Online-Angebote zu investieren, sondern bedarf einer zielgerichteten Strategie, die zentrale Einflussfaktoren, affine Käuferschichten, relevante Kategorien und Kundenbedürfnisse sehr genau berücksichtigt.
Skepsis bei frischer Ware
Bislang glaubte man, dass es vor allem die Unzufriedenheit mit dem stationären Handel sei, die die Kunden bewegt, ins Internet zu wechseln. Das wäre eine schlechte Nachricht für die die Schweizer Detailhändler, da hierzulande die Kundenzufriedenheit recht hoch ist. Die gute Nachricht aus der OFR-Studie: Auch die Planung bzw. Spontanität des Einkaufs spielt bei online- bzw. offline Kauf von Lebensmitteln eine Rolle. Wer den Einkauf im Voraus plant (wie jeder zweite Brite im Gegensatz zu jedem dritten Schweizer), kauft seine Lebensmittel gerne im Internet. Die Spontanen gehen lieber in den Laden.
Was die beim Internetkauf bevorzugten Produktkategorien angeht, zeigt sich grössere Skepsis bei frischer Ware, während haltbare Produkte ohne Zögern per Mausklick bestellt werden. Die grösste Hürde für OFR sind in der Schweiz die Versandkosten: Fast die Hälfte der Befragten nennt sie als wesentlichen Grund, um weiterhin ausschliesslich im Laden zu kaufen.
Features im Internet: Eklatanter Nachholbedarf
Punkten können die Lebensmittelhändler im Internet mit Qualität, Services und Features, die den Einkauf zu einem besonderen Erlebnis machen. Die Briten zeigen, wie es geht: zum Beispiel mit Ernährungsplänen, deren Zutaten schon im Online-Wagen liegen, einer smarten Suchfunktion für die Einkaufsliste oder einem Echtzeitpreisvergleich mit relevanten Wettbewerbern. Selbstredend, dass Online und Offline dabei integriert sind. Die Schweiz hat wie Deutschland bei den zusätzlichen Features im Internet hingegen noch eklatanten Nachholbedarf.
„Die Schweizer Detailhändler müssen ihre Online-Strategien an die unterschiedlichen Kundensegmente anpassen, sich auf OFR-affine Zielgruppen mit den richtigen Produktkategorien konzentrieren und vor allem die Service-Funktionalitäten ausbauen“, empfiehlt Victor Dijon von Monteton, Handelsexperte bei A.T. Kearney Schweiz. Mit Blick auf die nächste Runde im Wettbewerb um Marktanteile im Schweizer Online-Lebensmittelhandel schätzt er: „2017 wird für den Schweizer OFR-Markt ein spannendes Jahr, in dem die Weichen neu gestellt werden könnten – nicht ohne Konsequenzen für den stationären Handel.“ (A.T. Kearney/mc/pg)