Rio de Janeiro – Der in Brasilien von mehr als 100 Millionen Menschen genutzte Kurzmitteilungsdienst WhatsApp ist nach über 24 Stunden Blockade wieder entsperrt worden. Nach einer richterlichen Anordnung für eine Sperre von drei Tagen, gab am Dienstag ein Gericht im Bundesstaat Sergipe dem Einspruch des Facebook-Tochterunternehmens zum vorzeitigen Ende der Blockade statt, berichtete das Portal «O Globo». Wenig später funktionierte der Dienst wieder in Brasilien.
Mit der rigiden Massnahme sollte WhatsApp zuvor offensichtlich dazu gezwungen werden, Chat-Protokolle in Kriminalfällen an Ermittler auszuhändigen. Schon im Dezember gab es eine ähnlich lange Blockade. Dieses Mal war sie von dem Richter Marcel Montalvao angeordnet worden, der auch die kurzzeitige Festnahme des Vizepräsidenten von Facebook für Lateinamerika, Diego Dzodan, Anfang März verfügt hatte. Dzodan wurde vorgeworfen, er habe sich einer Anordnung widersetzt, Chat-Protokolle mutmasslicher Drogenhändler weiterzugeben.
Seit Montagnachmittag funktionierte der Dienst in Brasilien nicht mehr. WhatsApp hat in Brasilien die SMS-Nachrichten weitgehend abgelöst, mit einer Internetverbindung können über den Dienst kostenlos Nachrichten, Fotos und Videos verschickt werden. Facebook hatte WhatsApp im Jahr 2014 für rund 22 Milliarden Dollar gekauft.
«Über 100 Millionen Brasilianer bestraft»
WhatsApp hatte mit Unverständnis auf die Massnahme reagiert – im Rahmen der Möglichkeiten habe man immer mit der brasilianischen Justiz kooperiert. «Diese Entscheidung bestraft mehr als 100 Millionen Brasilianer, die unseren Service zur Kommunikation brauchen», kritisierte der Dienst. Mitgründer und Chef Jan Koum betonte zugleich, man werde nicht nachgeben und die Sicherheit der eine Milliarde WhatsApp-Nutzer weltweit nicht gefährden. Der Dienst stellte jüngst komplett auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung um, bei der auch WhatsApp keinen Zugriff auf die Inhalte der Unterhaltungen hat.
Der Konkurrenzdienst «Telegram» verzeichnete in Brasilien binnen kurzer Zeit eine Million neue Nutzer. Brasiliens Justiz macht immer wieder Druck, um an Gesprächsprotokolle über womöglich kriminelle Handlungen heranzukommen.
Der Fall ist die nächste Episode in einem weltweiten Tauziehen zwischen Internet-Firmen und Behörden um die Verschlüsselung von Daten und Privatsphäre. Nach den Enthüllungen von Edward Snowden über die ausufernde Überwachung durch Geheimdienste wie die NSA gingen unter anderem Apple, Google oder WhatsApp in vielen Fällen zu starker Ende-zu-Ende-Verschlüsselung über.
Sie argumentieren, sie könnten keine Inhalte herausrücken, weil sie selbst keinen Zugang dazu hätten. Behörden fordern, sie müssten wie in der realen Welt mit Gerichtsbeschlüssen auf Informationen zugreifen können. In den USA eskalierte der Streit zuletzt zwischen Apple und der US-Regierung um das Entsperren von iPhones. (awp/mc/upd/ps)