Kommentar von Helmuth Fuchs
Der Bundesrat, unter der Führung von Simonetta Sommaruga (Bundespräsidentin, SP, UVEK) und Alain Berset (SP, EDI) hat die Schweiz mit der obersten Zielsetzung, die Gesundheit der BürgerInnen zu schützen und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, vor allem zu Beginn mit Augenmass in den Lock-down geführt. Das Gesundheitssystem kam nie auch nur in die Nähe einer Auslastung (mit Ausnahme einiger weniger Spitäler), geschweige denn einer Überlastung. Ungleich schwerer tut sich das Siebnergremium jetzt bei der Lockerung und der Rückgabe der Macht in die Hände des Volkes.
Erste Risse bekam die Erfolgsgeschichte bei der Frage um die Wirkung von Schutzmasken. Statt einfach einzugestehen, dass man auf allen Ebenen (Bund, Kantone, Bürger) die Vorsorgepflicht schlicht vernachlässigt und vorhandene Pandemiepläne ignoriert hatte, versuchte man die Wirkung von Masken herunterzuspielen (gut für die Profis, sinn- und wirkungslos für den Normalbürger). Jetzt, wo sich die Lager langsam füllen und auch die Produktion im Inland anläuft, wird die Maskentragpflicht als Öffnungskriterium einzelner Berufsgattungen gefordert. Die Wirkung der Masken kann aber nicht abhängig sein von deren Verfügbarkeit. Die Bevölkerung ist über das Stadium eines Kleinkindes, dem man die Entzauberung des Osterhases nicht zumuten darf, hinaus.
Reingestolpert, jetzt raschen und sicheren Schrittes zurück
War zu Beginn der Krise die Informations- und Erfahrungslage völlig ungenügend und deshalb eine Führung mit Notrecht und nach Bauchgefühl und unter einseitiger Berücksichtigung der Meinung einiger ausgewählter Gesundheitsexperten eine vertretbare Möglichkeit, müssen bei der Lockerung und Aufhebung der Massnahmen und der Definition eines vorübergehenden «Zwischennormals» die Bevölkerung, die politischen Parteien, die Verbände und die Wirtschaftsvertreter wieder vermehrt zu Worte und die normalen Entscheidungsprozesse wieder in Gange kommen. Wir haben keine mit den beiden Weltkriegen vergleichbare Lage, welche die Entmachtung aller demokratischen Verantwortlicher länger rechtfertigt.
Der Bundesrat hat die nicht gesuchte Rolle mit der ungeteilten Unterstützung aller Parteien in der ersten Phase der Krise gut und mit Bedacht wahr genommen. Je länger die Krise dauert, desto klarer werden aber auch die Schwächen des Rollenverständnisses. Anstatt sich auf die Festlegung von klaren Kriterien zur möglichst schnellen Wiederaufnahme der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Tätigkeiten der Bevölkerung zu konzentrieren und so auch den volkswirtschaftlichen und sozialen Schaden möglichst gering zu halten, beginnt sich der Bundesrat in einem zunehmend erratischen Mikromanagement zu verlieren. Es kann nicht Aufgabe des Bundesrates sein, den Gross- und Detailhändlern vorzuschreiben, welche vorhandenen Produkte in einem Laden verkauft werden dürfen. Die Konsumenten brauchen auch keine Vorschriften, welche Produkte zum Überleben notwendig sind.
Der Bundesrat als Helikoptereltern
Der Bundesrat soll definieren, welche Massnahmen die Gesundheit am besten schützen und ein zu heftiges Aufkommen einer zweiten Welle am wirkungsvollsten verhindern.
Nach aktueller Erkenntnis dürften das
- genügende Abstände,
- Masken,
- Hygiene,
- umfassende Tests und
- ein die Privatsphäre und die Datenschutzrichtlinien berücksichtigendes Contact Tracing
sein. Wer immer diese vom Bund definierten Massnahmen erfüllt, soll in seinen beruflichen und persönlichen Aktivitäten nicht behindert werden.
Zur Zeit sehen wir eine Tendenz zu einem sozialdemokratischen, alle umsorgenden, Mütterchen Helvetia und Väterchen Staat. Der Bundesrat entwickelt sich zu einer Art Helikoptereltern, welche den entmündigten Bürgern alle Entscheidungen abnimmt, festlegt, was für sie am besten ist und finanziell dafür sorgt, dass zumindest die Lautesten und Mächtigsten ruhig gestellt werden. Wie so oft gehen dabei dann die Kleinen ohne starke Lobby vergessen. Taxifahrer, Restaurantbetreiber, Selbstständige, Kleinstunternehmen. Denen wird dann, wie in der NZZ in unnachahmlicher Arroganz geschehen, vorgeworfen, dass sie schon nach kurzer Zeit vor dem Ruin stünden und beim Staat anklopfen müssten. Die NZZ hat übrigens vier Tage nach dem Artikel Kurzarbeit beantragt.
Es sind aber genau diese kleinen Unternehmen, welche die Schweizer Wirtschaft prägen, Arbeitsplätze auch für all jene schaffen, welche kein Studium absolviert haben, Lehrlinge ausbilden, Mitarbeitende nicht beim kleinsten Gewinneinbruch entlassen. Es sind diese Unternehmer, denen der bundesrätliche Entscheid die Existenzgrundlage entzog, welche jetzt als Inhaber oder beteiligte Führungsperson pauschal 3’320 Franken für sich als Lohnersatz bekommen. Gleichzeitig beantragt unser gebührenfinanziertes Radio- und Fernsehen SRG bei einem Umsatzrückgang von ca. 3% für 600 Mitarbeitende eine voll bezahlte Kurzarbeit und wird dafür von der zuständigen Bundesrätin Sommaruga noch mit zusätzlichen 50 Millionen Franken belohnt (Entschädigung für die rückläufigen Werbeeinnahmen welche für den kleinen Umsatzrückgang verantwortlich sind).
Machtverschiebung hin zum willkürlichen Marktgestalter
Je länger der Bundesrat seine Rolle als «Marktgestalter» mit solch willkürlichen Entscheidungen weiter spielt, desto abhängiger wird die Wirtschaft von Unterstützungsgeldern. Dabei kommt es zu einer demokratisch nicht abgestützten Machtverschiebung in Richtung des Staates. In dieser Situation sind auch nicht wir alle der Staat, sondern nur diejenigen, welche mit Notrecht die Macht ausüben. Deshalb muss die Situation möglichst schnell beendet werden unter Berücksichtigung der für die Gesundheit wichtigen Massnahmen. Auch der schon angekündigten «Rechtsübernahme» der Notfallmassnahmen in gängiges Recht muss jetzt schon vehement widersprochen werden, genau so wie der Drohkulisse «wenn Ihr Euch nicht an unsere Anordnungen haltet, geht es ganz schnell zurück in den Lock-down» des Bundesrates. Das Ziel ist nicht ein latenter Notfallzustand, sondern die vollständige Hinkehr zu einem von uns allen gestalteten neuen Normalzustand, in welchem es Risiken gibt, die wir, wie schon in der Vergangenheit, in Kauf nehmen aufgrund einer breit diskutierten und verabschiedeten Güterabwägung.
Väterchen Staat und Mütterchen Helvetia dürfen sich wieder auf die Rolle der zwischendurch gerne gesehen und bei Bedarf konsultierten Eltern erwachsener Kinder fokussieren.
Weitere Kommentare zum Thema:
- Woran leiden eigentlich die 87% der auf Coronavirus getesteten Personen, die negativ testeten?
- Schweizer Medien zu Zeiten von Corona: Die vierte Ohnmacht
- Coronavirus: Mit dem Datensalat aus dem BAG – wie zeigt sich die gesundheitliche Notlage?
- Die unmögliche Abwägung zwischen Menschenleben und dem wirtschaftlichen Überleben – und wieso sie trotzdem gemacht werden muss
- The Good (Solidarität), the Bad (Datenlage) and the Ugly (Krisengewinner)
- Wir müssen reden: Über den Preis der Gesundheit, der Freiheit und über den Tod
- Coronavirus: Wie surreale Ängste reale Schäden verursachen
- Coronavirus: Wie ein unspektakuläres Virus eine tief gehende Medienkrankheit offenbart