Von Helmuth Fuchs
Der Tourismus, gemäss dem World Travel & Tourism Council weltweit für geschätzte 330 Millionen Arbeitsplätze direkt und indirekt verantwortlich, wird durch die Coronakrise gerade fundamental erschüttert. An ihm zeigen sich die negativen Auswirkungen eines globalisierten, von ungebremstem Wachstum abhängigen Systems, bei welchem die Kosten für die Umweltauswirkungen grösstenteils ausgeblendet oder externalisiert wurden. Im besten Fall kann sich der Tourismus jetzt als Beispiel dafür entwickeln, wie eine Industrie mit Qualität statt Quantität, mehr Regionalisierung statt Globalisierung, Diversität statt Einheitsbrei zukunftsfähig wird.
In gewissem Sinne steht der Tourismus als bedeutender Teil der Weltwirtschaft (10% BIP weltweit) auch für deren grössten Probleme: Massenproduktion zu Billigstpreisen, negative Umweltbilanz, ein Geschäftsmodell, das nur mit andauerndem Wachstum funktionieren kann. In den letzten 10 Jahren wuchs der Tourismus weltweit immer mehr als die Gesamtwirtschaft, im 2019 mit 3.5% gegenüber 2.5%. Dies verstärkte die generell Abhängigkeit vom Tourismus, vor allem in asiatischen und afrikanischen Ländern.
Akzentuierung bestehender Probleme, weitere Schwächung der Schwachen
In entwickelten Ländern mit wirtschaftlichen und sozialen Auffangnetzen führt die Krise zwar zu wirtschaftlichen Einbussen und mehr Arbeitslosen, die Folgen können aber durch Kurzarbeit, Überbrückungskredite und funktionierende Gesundheitseinrichtungen gemildert werden. Ganz anders sieht das in den vom Tourismus abhängigen Ländern Asiens und Afrikas aus. Hier steigt mit der Armut die Verzweiflung, Existenzen sind ohne staatliche Unterstützung bedroht. Hunger verstärkt die gesundheitlichen und gesellschaftlichen Probleme.
Das World Travel & Tourism Council (WTTC) rechnet für 2020 mit einem Verlust von Tourismusarbeitsplätzen von 30% (weltweit 100 Millionen Arbeitsplätze weniger) und einem ebenso hohen finanziellen Rückgang (2.7 Billionen USD).
Während bei uns die ausbleibenden ausländischen Touristen zu einem guten Teil durch einheimische Gäste ersetzt werden können, ist dies in vielen Ländern, die stärker vom Tourismus abhängig sind, nicht möglich.
Mit Blick auf die Zukunft des Tourismus, muss man zuerst die grössten aktuellen Probleme anschauen:
- Luftverschmutzung und Beeinträchtigung der Atmosphäre: Reiseemmissionen (CO2, Nicht-Co2 wie Stickoxide): PKW, Reisebus, Schiff, Flugzeug.
- Wasserknappheit und Wasserverschmutzung: Wasserbedarf Tourismus versus Wasserbedarf der lokalen Bevölkerung. Beschneiungsanlagen, Swimming-Pools.
- Flächenverbrauch, Rodung und Bodenversiegelung durch Hotels, Pensionen, Ferienhäuser und andere Tourismusinfrastrukturen wie Parkplätze, Aussenanlagen.
- „Overtourism“ an globalen Hotspots mit mehrheitlich negativen Auswirkungen für die lokale Bevölkerung (Explosion der Wohn- und Lebenskosten, überforderte Infrastruktur, Landschaftsschäden, ausufernde Umweltverschmutzung, Dichtestress).
Oft ist es fast unmöglich, direkte Zusammenhänge zu messen, jedoch scheint es offensichtlich, dass der Massentourismus Probleme wie schädliche Landschaftveränderungen, Gesundheitsrisiken oder eine abnehmende Biodiversität verschärft.
Neuausrichtung notwendig
Der Tourismus ist heute schon für ca. 10% der schädlichen Emissionen verantwortlich. Höhere Einkommen führen direkt zu einer grösseren Reiselust mit ebenso zunehmenden Umweltschäden und einem wachsenden ökologischen Fussabdruck der Reiseindustrie. Mit Ländern wie China und Indien, deren Bevölkerung mit zunehmenden Wohlstand auch mehr und weiter reisen wird, ist der heutige Tourismus nicht mehr haltbar. Eine Neuausrichtung ist zwingend:
- Qualität statt Quantität: Reisen und Ferien müssen wieder zum Erlebnis werden. Für ein Butterbrot an eine exotische Destination zu fliegen ist kein Menschenrecht. Billigferien in Bettenburgen tragen auch nichts zu einem besseren Verständnis anderer Kulturen bei.
- Energie- und Ressourcenverbrauch müssen vollständig in die touristischen Angebote eingepreist und Folgekosten durch die Verursacher finanziert werden.
- Bei neuen Projekten sind Nachhaltigkeit und lokal geschlossene Ressourcenkreise höher zu gewichten als Investitionsrenditen ausländischer Anleger.
- Wettbewerbsverzerrende Massnahmen wie Subventionen von Treibstoffen, Steuerbefreiungen oder Umgehung von Mindestlöhnen sind aufzuheben.
Verfügbarkeit von Zeit und Geld werden in Zukunft mit vorgenannten und anderen Massnahmen dazu führen, dass der Massentourismus zu fernen Zielen abnehmen wird. Erholung in der näheren Umgebung oder in Nachbarländern wird wieder an Attraktivität gewinnen. Das mindert den „Overtourism“ an Hotspots, die heute dank zu billigen Angeboten von Gästen aus aller Welt regelrecht überflutet werden. Im Gegenzug werden aber die einheimischen Strukturen auf die neuen Bedürfnisse und die neue Gästestruktur angepasst werden müssen. Für Länder, deren Tourismusabhängigkeit von ausländischen Gästen überdurchschnittlich hoch ist, wird dies eine Herausforderung, die sich aber schon mittelfristig in einer besser diversifizierten und stabileren Wirtschaft auszahlen wird.