Coronakrise: Was im Wirrwarr der Stimmen und Zahlen wirklich zählt
Nach dem Masken-Theater (nützen der breiten Bevölkerung nichts, sind absolut unentbehrlich und bald überall unbedingt zu tragen), dem Blindflug, wo sich die Menschen anstecken (in Clubs, zuhause, bei Grossanlässen), dem ineffizienten Einsatz der App (im Gegensatz zur Maske nur freiwillig, Medienbrüche bei der Codevergabe, keine geplanten Updates…), lichtet sich die Szenerie langsam und der Fokus wird endlich auf die wichtigsten Indikatoren zur Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems gelegt (verfügbare Intensivpflegeplätze und Spitalbetten).
Kommentar von Helmuth Fuchs
Während viele Medien immer noch die Anzahl der positiv Getesteten als Schlagzeile verwenden, liefert das VBS endlich auch die viel wichtigeren Informationen zu den Spitalkapazitäten. Was der Tagesanzeiger schon seit längerem hervorragend aufbereitet, sollte langsam in den Fokus der anderen Medien rücken (ohne die auch im Tagesanzeiger dramatisierenden und hyperventilierenden Begleitartikel und Interpretationen).
Die Wichtigkeit dieser Zahlen wird auch von der Schweizerischen COVID-19 Task Force gestützt:
«Die Zahl der Patienten, die Intensivpflege benötigen, ist derzeit am wenigsten von Verzerrungen betroffen und wird am zuverlässigsten aktualisiert (und aus dem IES-System übernommen). Darüber hinaus ist es die Zahl, die am direktesten mit der Fähigkeit zur Aufrechterhaltung der kritischen medizinischen Infrastruktur verbunden ist.» Task Force «Overview and Evaluation of the situation» (30. Oktober 2020)
Zusätzlich ist es auch wichtig, die Anzahl der Todesfälle im Auge zu behalten. Hier bestätigt sich das bekannte Bild aus der Anfangsphase der Pandemie, dass das Virus vor allem für Menschen über 80 Jahre ein erhöhtes Todesfallrisiko darstellt. Bezüglich der Übersterblichkeit in der Gesamtbevölkerung hinterlässt COVID-19 bis anhin keine grosse Spuren (auch bei den über 65-Jährigen fiel nach einer kurzen Spitze die Todesfälle in den unteren Bereich der zu erwartenden Anzahl.
Nebst der sich kontinuierlich verbessernden Datenlage bleiben noch einige Baustellen rund um das Thema Corona.
Kommunikation: Zuviel Köche…
«Mr. Corona» Daniel Koch wurde nach seinem Abgang durch eine Vielzahl von Expertinnen ersetzt, die nebst den BundesrätInnen und einzelnen Mitgliedern der Task Force ihre unterschiedlichsten Interpretationen, Prognosen und Projektionen verbreiten. Das ist für BürgerInnen, die sich gerne selbst eine Meinung bilden mit unterschiedlichen Auslegungen der vorhandenen Daten durchaus interessant, im Sinne einer einfachen und verständlichen Kommunikation an alle BürgerInnen wirkt es schnell wie eine Kakophonie von sich widersprechenden Experten und Zuständigen.
Hatten wir nicht mal die weltbeste App?
Mit dem ein wenig verzweifelt wirkenden Glaube, dass plötzlich die Maske das heilbringende Mittel sei, obschon auch Länder mit seit längerer Zeit viel rigoroseren Maskenbestimmungen ähnliche Verläufe haben wie die Schweiz, geht ein Mittel unter, das eigentlich viele der Probleme einfacher und effizienter lösen könnte: Die SwissCovid App. Es bleibt wohl ein Geheimnis des Bundesrates, weshalb die App nicht sehr viel intensiver und gezielter eingesetzt wird. Wo eine Maskenpflicht problemlos möglich ist, sollte dies auch bei einer App machbar sein, wenn sie denn weiterentwickelt würde. Leider haben die Entwickler nach dem ersten durchaus gelungenen technischen Wurf keine Releaseplanung, keine Ankündigung für neue Features, keine Social-Media-Elemente, keine Gaming-Komponenten, einfach gar nichts gemacht, um die Attraktivität der Anwendung zu erhöhen. Eine App von Virologen für ein paar Nerds, nichts, was die breite Bevölkerung begeistert.
Die Krux mit den wissenschaftlichen Modellen und Studien
Wissenschafter begleiten die Politiker mit kaum mehr verborgener Frustration, dass sie zu wenig gehört würden und die aktuell angespannte Situation schon lange vorausgesagt hätten. Dabei vergessen sie, dass die Wissenschaft sich gerade bei einem neuen Virus fast täglich mit neuen Studien, neuen, sich auch mal widersprechenden Erkenntnissen konfrontiert sieht. Was für die Wissenschafter Alltag ist, ist für einen langsamer getakteten politischen Prozess Gift. Man kann die Bevölkerung nicht dauernd in eine neue Richtung steuern. Exemplarisch zeigt sich das am Thema der Masken. Eine einmal kommunizierte Strategie lässt sich nicht ohne grossen Widerstand in eine neue Richtung bringen.
Auch die Annahme, dass es «DIE Wissenschaft» gibt, ist an sich schon falsch. Es gibt dutzende verschiedene Fachrichtungen, welche zum Thema Corona Erkenntnisse beisteuern können, von tausenden von WissenschafterInnen, die ihre eigenen Erfahrungen und Zielsetzungen mitbringen. Als Beispiel kann man die Kommunikation der Wissenschafter zum exponentiellen Verlauf der Verbreitung anschauen. Kaum jemals eine Kurve, die irgendwo eine Abflachung zeigt (auch exponentielle Verläufe gehen nicht unendlich nach oben). Kaum ein Hinweis darauf, dass sich die Pandemie, unabhängig von den getroffenen Massnahmen, nach einem bestimmten Muster mit einer ähnlichen Abflachung in allen Ländern verhalten hat (und welche Folgen das für die Massnahmen haben könnte). Atkeson, Kopecky und Zha haben dazu ein Arbeitspapier erstellt.
Die Wissenschaft hat einen wichtigen Beitrag zu leisten mit Modellen, Analysen, Erkenntnissen und Erfahrungen. Sie kann aber nicht den politischen Prozess ersetzen, der nebst den rein wissenschaftlichen Aspekten politische Rahmenbedingungen berücksichtigen und eine Abwägung vornehmen muss, was die Bevölkerung mittragen wird.
Das Coronavirus ist keine Eintagsfliege
Nach den ersten Tests mit möglichen Impfkandidaten, der Erprobung einzelner Medikamente und dem Wiederanstieg der Infektionszahlen zu Beginn der Grippesaison muss man annehmen, dass sich das Virus in die Legion der uns begleitenden Viren einreihen wird. Wir werden uns damit arrangieren, da wir es kaum auf die Schnelle werden ausrotten können.
Zeit also, auch als Gesellschaft wieder einen vernünftigen Ton in der Diskussion anzuschlagen. Nicht jede, die Fragen hat und nicht einfach die politischen Parolen oder die neueste wissenschaftliche Erkenntnisse unreflektiert skandiert, ist eine Covidiotin, Coronaleugnerin oder Verschwörungstheoretikerin, nicht jeder, der die vorgeschlagenen Massnahmen unterstützt, ein Schlafschaf oder Regierungszombie.
Eine Normalisierung heisst auch, dass andere Themen, die im medialen Dauerfeuer völlig unter gingen, ohne aber an Brisanz verloren zu haben, unsere Aufmerksamkeit wieder finden. Das Virus ist für die Menschheit nur dann eine existentielle Bedrohung, wenn wir ihm alles andere unterordnen und Themen, die unsere Existenz nachhaltiger gefährden, ignorieren.
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3 thoughts on “Coronakrise: Was im Wirrwarr der Stimmen und Zahlen wirklich zählt”
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Vielen Dank für diesen sehr guten Artikel. Endlich eine ganzheitliche, neutrale und vorallem unemotionale Betrachtung der Thematik. Mich stört schon lange, dass es anscheinend nichts anderes mehr gibt, als Corona… dabei gäbe es so viele wichtige(re) und auch spannende(re) Themen…
Vielen Dank für den motivierenden Kommentar.
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