COVID-19 Gesetz: Mach(t)werk für 7 Personen
Das vom Bundesrat vorgeschlagene Gesetzeswerk ist in der Vernehmlassung krachend gescheitert. Es zeigt aber die Stossrichtung und die in der Krise geweckten Wünsche des Bundesrates, in zukünftigen Krisensituationen ungestört und relativ uneingeschränkt «durchzuregieren». Geweckt wurden die Begehrlichkeiten dadurch, dass das Parlament sich in der Krise blitzschnell in Deckung gebracht und seine Aufgaben aufgegeben hat.
Kommentar von Helmuth Fuchs
Für die Schweizerische Direktdemokratie würde die vom Bundesrat vorgelegte Fassung des Bundesgesetzes über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz) eine bedeutende Machtverschiebung darstellen. Umso erstaunlicher, dass in der Bevölkerung und den Medien dies kaum gross diskutiert wurde. Offensichtlich sind das Tragen von Masken und das Ferienwetter wichtiger als der weitgehende Verlust von demokratischen Freiheiten.
Für die COVID-19-Verordnung 2 stützte der Bundesrat sich auf das Epidemiegesetz (besondere und ausserordentliche Lage), für andere Verordnungen direkt auf Artikel 185 Absatz 3 der Bundesverfassung. Wie man gesehen hat, genügen eigentlich diese gesetzlichen Grundlagen vollauf. Die einzige Limitation aus Sicht des Bundesrates besteht darin, dass das Regieren mit Notverordnung nach sechs Monaten beendet werden muss.
Wenn das Ausserordentliche zur Normalität wird
Wenn man sich die aktuelle Lage anschaut, kann weder von einer besonderen noch von einer aussergewöhnlichen Lage die Rede sein. Keine Krise, welche nicht mit den vorhandenen gesetzlichen Mitteln, einem funktionierenden Parlament und normal arbeitenden Behörden bewältigt werden könnte.
Was der Bundesrat in seinem Covid-19 Gesetz vorschlägt, geht weit über die Möglichkeiten der bestehenden Mittel im Epidemiegesetz hinaus, da Vieles sehr vage und ohne Beschränkungen definiert ist.
«Der Bundesrat kann Massnahmen zur Verminderung des Übertragungsrisikos und zur Bekämpfung der durch das Coronavirus verursachten Krankheit (Covid-19) anordnen. Er hört dabei die Kantone an.» (Artikel 2, 1)
Im Wesentlichen geht es um einen Blankoscheck, der alle Massnahmen, welche der Bundesrat in der Krise bisher getroffen hat, abdeckt und legitimiert, sowie den Spielraum schafft, in einer wieder aufflammenden oder neuen Epidemie noch weiter gehende Massnahmen, wie zum Beispiel eine generelle Impfpflicht, durchzusetzen. Dabei ist nicht wichtig, was die Politiker heute sagen, was sie alles nicht tun würden, sondern was ihnen das Gesetzt in Zukunft ermöglicht.
«Tatsächlich ist das Gesetz sehr offen formuliert und greift gleichzeitig stark in die Kompetenzen der Kantone ein, vor allem in den Bereichen Gesundheit und Kultur.» Kathrin Alder, NZZ, 14.07.2020
Alle Macht dem Bundesrat? Dass diese Angst nicht unbegründet ist, bestätigt auch der Zürcher Staatsrechtler Felix Uhlmann: Er spricht gar von einem «Ermächtigungsgesetz». «Dass sich sehr viele Kompetenzen vom Parlament und den Kantonen zum Bundesrat verschieben, ohne dass materielle Entscheide getroffen werden, ist problematisch», sagt Uhlmann. Zwar seien die offenen Formulierungen teilweise sinnvoll, weil sie dem Bundesrat Spielräume ermöglichten, in einer Krisensituation schnell zu reagieren, räumt der Jurist ein. «Dass die Vollmachten aber derart umfangreich sind, scheint mir nicht gerechtfertigt.» WOZ, 09.07.2020
Die Globalisierung mit dem immer freier werdenden Personen- und Warenverkehr, die zunehmende Mobilität von immer mehr Menschen, die wachsende Weltbevölkerung, neue Viren, resistente Keime, ein übermässiger Antibiotika-Einsatz sind nur einige Faktoren, welche erwarten lassen, dass in Zukunft vermehrt neue Krankheiten auftreten und diese sich schneller verbreiten werden. Damit müssen wir auch in Demokratien umgehen können, ohne dass die Rechte des Volkes und der Parlamente jedesmal aufgehoben werden. Wenn wir das nicht schaffen, werden nur noch Diktaturen oder diktaturähnliche Regierungsformen eine Zukunft haben.
Ein neues Bundesgesetzt für jede neue Krankheit?
Die Bekämpfung des Coronavirus ist primär eine Gesundheitsaufgabe. Hier sollen Experten (Wissenschafter, Epidemiologen, Virologen…), beigezogen werden, um die Auswirkungen auf die Gesundheit zu analysieren, Massnahmen zu definieren, welche die Gesundheit der Bevölkerung absichern und das Gesundheitssystem vor einer andauernden Überlastung bewahren. Die Politiker haben dazu das Epidemiegesetz, einen Pandemieplan und für den allerletzten Fall das Notrecht. Diese existierenden Mittel können angepasst werden, falls sie nicht genügen, mit ihnen ist aber auch eine Epidemie in den meisten Fällen ohne Notrecht zu bewältigen. Sollte dies nicht der Fall sein, müssten wir die Funktionsfähigkeit unserer Demokratie generell in Frage stellen. Ein zusätzliches Bundesgesetz zur Bekämpfung jeder neuen Krankheit kann nicht die Lösung sein.
Verstecktes Medienfördergesetz
Schon in der Regierungszeit mit dem Notrecht hat sich der Bundesrat je länger desto mehr im Mikromanagement von Bereichen, welche eigentlich nichts mit der Epidemiebekämpfung zu tun hatten, verloren. Er bestimmte, welche Artikel in welchen Läden angeboten werden durften, beschloss ziemlich willkürlich die lange Schliessung von Campingplätzen, entschied sich entgegen der wissenschaftlichen Erkenntnisse für eine Schulschliessung.
«Aus epidemiologischer Sicht hätte man die Schulen nicht schliessen müssen. Aber es war insofern kein Fehler, als die Schulschliessung der Bevölkerung definitiv bewusst machte: «Jetzt braucht es grosse Anstrengungen. Das ist jetzt eine ganz spezielle Situation.»», Daniel Koch, Direktor BAG, im SRF-Beitrag vom 28.05.2020
Mit derselben Themenvermischung bringt der Bundesrat im Covid-19 Gesetz gleich noch ein weitgehendes Medienfördergesetz unter:
- Der Bund trägt die vollen Kosten für die Tageszustellung von abonnierten Tages- und Wochenzeitungen der Regional- und Lokalpresse.
- Der Bund beteiligt sich an den Kosten für die Tageszustellung durch die Schweizerische Post von abonnierten Tages- und Wochenzeitungen.
- Die Abonnementskosten der Basisdienste Text der Nachrichtenagentur Keystone-SDA werden in Bezug auf die Nutzungsrechte für elektronische Medien getragen, bis das bestehende Kostendach von 10 Millionen Franken ausgeschöpft ist.
Ebenso will der Bundesrat ins Asylgesetz, ins Ausländer- und Integrationsgesetz, ins Obligationenrecht, Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz, den Kulturbereich, oder die Arbeitslosenversicherung eingreifen können. Statt der Anpassung all dieser Gesetzesbereiche an eine neue Realität soll es ein zentraler Machtzuwachs für den Bundesrat richten.
Unnötiger Flickenteppich für Not- und Panikmodus
Ein solches juristisches Machwerk, das eine fundamentale Machtverschiebung in einem thematischen Flickenteppich unterbringt und alleine für sieben Personen abgefasst ist, sollte in unserer direkten Demokratie keine Chance bekommen. Wir müssen als funktionierender Staat mit mehr als genügend bestehenden Gesetzen und klar definierten Aufgaben aller politischen Kräfte in der Lage sein, zukünftig neue Normalitäten auch als solche zu bewältigen, ohne jedes Mal in einen Not- und Panikmodus zu verfallen.
Dazu müssen sich die kantonalen Regierungen und Behörden fit machen für neue, schnellere und abgestimmte Abläufe. Die verschlafene Vorbereitung auf das Contact-Tracing, das unkoordinierte Vorgehen beim Aufsuchen von möglichen Infizierten zeigen den Bedarf auf. Die Lösung ist aber nicht das Verweigern dieser Aufgaben und die Delegation an den Bund, sondern das Beheben dieser Lücken auf der dafür richtigen Stufe (Kanton, Bezirk, Gemeinde). Das ist eine Stärke der Schweiz, auch wenn es im ersten Anlauf nicht ersichtlich war. Die nächste Epidemie kommt bestimmt, Zeit sich darauf vorzubereiten, Verantwortung zu übernehmen und nicht einfach sämtliche Macht dem Bundesrat zu übergeben.
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