Rankings sind die Strickleitern der Medienschaffenden, denke ich manchmal. Kein Ranking so unsinnig, keine Rangliste so nichtssagend, dass man sich nicht doch davon zu einem Sensationsartikel verleiten lassen und über die Strickleiter des Horserace-Journalismus die Dachterasse der bestgelesenen Artikel erklimmen könnte. Wer sind die Top 5? Wer landet auf dem letzten Platz? Die fünf besten Kaffeemaschinen, die drei streichfähigsten Margarinen und die 10 erfolglosesten Netflix-Serien des Jahres: Ja, 2022 neigt sich dem Ende zu und es wird bilanziert, geratet und gerankt, was das Zeug hält.
Auch wir Politiker*innen bleiben davon selbstverständlich nicht verschont. So entnahm ich einem Artikel, dass ich in dieser Legislatur offenbar die meisten Vorstösse aller Parlamentarier*innen eingereicht habe. Im Artikel wurde ich damit als “fleissigste” Politikerin in Bern bezeichnet, weitere Kategorien waren die “erfolgreichsten” (jene, die die meisten ihrer Vorstösse durch brachten), die “faulsten” (die keine Vorstösse eingereicht hatten), und die “erfolglosesten”, die keinem ihrer Vorstösse zur Mehrheitsfähigkeit verhelfen konnten. Der Artikel wurde, wie zu erwarten war, rege gelesen und die Debatte in den Kommentarspalten mit der Vehemenz empörter Steuerzahlender geführt – durchaus mit gegensätzlichen Ansichten.
Wenig überraschend haben linke und grüne Parlamentarier*innen tendenziell mehr Vorstösse eingereicht, während Politiker*innen der Mitte und FDP-Fraktion den höchsten Prozentsatz erfolgreicher Vorstösse vorweisen konnten. Es wurde nun diskutiert und scharfschützengleich mit Schlagworten um sich geworfen: ich wurde abwechselnd als besonders lobenswert, weil engagiert, oder aber als übereifrig und verschwenderisch bezeichnet, weil die Bearbeitung von Vorstössen Zeit und damit auch Geld kostet. Politiker*innen mit wenigen Vorstössen wurden als faul beschimpft oder aber als besonders besonnen und durchdacht gelobt – es wurde gestritten und gezankt, wie es oft nur der Fall ist, wenn man über “die da oben in Bern” herziehen kann.
Dabei ist der Fall relativ einfach: in einem bürgerlich dominierten Parlament ist es per Definition so, dass bürgerliche Vorstösse tendenziell Mehrheiten finden, während linke und grüne Vorstösse aus einer Minderheitenposition heraus natürlich ein höheres Potential haben, zu scheitern. Auch ist es wenig erstaunlich, dass Parteien, die im Bundesrat gut vertreten sind und mit der Mehrheit des Parlaments zumeist konform gehen, eher weniger Vorstösse einbringen, da sie mit der grundsätzlichen Ausrichtung beispielsweise der Energiepolitik einverstanden sind und es für sie schlicht keinen Anlass gibt, grössere Veränderungen anzustossen. Das hat weder mit Faulheit noch mit Aktionismus zu tun, sondern ergibt sich schlicht aus den Mehrheitsverhältnissen und damit den Rahmenbedingungen, in denen man politisiert.
Warum aber habe gerade ich so viele Vorstösse eingereicht? Mit meiner Erfolgsquote von 20% bin ich noch etwas über dem Durchschnitt von 12% aller Vorstösse, die erfolgreich sind, aber auch da fragt sich der/die Bürger*in vielleicht: warum Vorstösse einreichen, die von vornherein nicht erfolgreich sind? Geht es hier wirklich einfach um Beschäftigungstherapie für die Verwaltung? Natürlich nicht. Gerade im Tierschutzbereich, auf dem einer meiner Hauptschwerpunkte liegt, lohnt es sich sehr oft, Themen anzusprechen und öffentlich zu thematisieren, die gesellschaftlich und politisch absolut unterpriorisiert und oft unbekannt sind. Ein Beispiel dafür ist mein Vorstoss dieser Session für eine bessere Datengrundlage zum Oktopusimport.
Obwohl Oktopoden enorm komplexe und empfindungsfähige Lebewesen sind, fallen sie nicht unter das Tierschutzgesetz und werden mit Schleppnetzen auf grausame Art und Weise gefangen, die zudem ganze aquatische Ökosysteme zerstört. In Anbetracht dessen, dass der Import von Oktopus, sogenanntem Pulpo, in die Schweiz aufgrund der wachsenden Nachfrage stark steigt, wäre es wichtig zu wissen, woher die importierten Oktopoden stammen und mit welchen Fangmethoden sie gefangen werden – wie dies beispielsweise beim Thunfisch der Fall ist. Als komplexes Lebewesen mit einem hochentwickelten Sozialverhalten ist auch die Massen-Aquakultur für Oktopoden eine grosse Qual: sie sind viel empfindungsfähiger als Fische oder Panzerkrebse, die unter das Tierschutzgesetz fallen.
Da bezüglich Import und Fangmethode jegliche Daten fehlen, fordere ich mit einer Motion, dass der Bund für eine bessere Datengrundlage sorgt und diese öffentlich zur Verfügung stellt. Und damit wieder zur Frage von Sinn und Unsinn ev. nicht erfolgreicher Vorstösse: selbst wenn der Bundesrat nicht bereit ist, die Motion entgegenzunehmen und umzusetzen, so lanciere ich damit dennoch eine politische und gesellschaftliche Diskussion über den Umgang mit bisher wenig bekannten, hochkomplexen Lebewesen und stosse damit bei einigen vielleicht ein Umdenken an. Meine Vorstösse fallen grundsätzlich in drei Kategorien:
- Vorstösse, die Mehrheitsfähigkeit erreichen sollen,
- Vorstösse, die ein bisher kaum bekanntes,aber relevantes Thema auf die Agenda setzen und
- Vorstösse, die im Rahmen einer Gesetzesrevision oder eines Veränderungsprozesses Druck aufsetzen und den betroffenen Akteuren Impulse geben sollen.
Ob daher Politiker*innen mit mehr oder weniger Vorstössen und mehr oder weniger Mehrheitsfähigkeit letzten Endes erfolgreicher sind, kommt – wie meist in der Statistik – auf die Skala an. Die realpolitische Skala, jene des gesellschaftlichen Diskurses oder jene der angestossenen Veränderungsprozesse: jede Skala hat ihre eigene Logik und Metrik und es müssen Effekte auf allen Skalen einbezogen werden, um politischen Erfolg zu messen. Die reinen Zahlen bringen so viel wie die meisten Jahresschluss-Rankings: wenig Erkenntnis, viele Klicks.
Meret Schneider, Eintrag bei Wikipedia
Meret Schneider, Eintrag auf der Parlamentsseite
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