Meret Schneider: Deal or No Deal und die transaktionale Aussenpolitik
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Seit der Wahl Trumps überschlagen sich die Ereignisse, die in ihrer Groteskheit kaum zu überbieten sind. Ankündigungen werden scheinbar wahllos ausgesprochen, nur um deren Wirkung abzuwarten und sie dann je nach erfolgter Reaktion wieder zurückzuziehen oder nach Gutdünken zu modifizieren. Skurrile Polemiken folgen auf realistisch scheinende Handlungsabsichten und während sich Medien bei jedem Ausspruch Trumps vor skandalfreudiger Clickbaitbegeisterung in ihrer sitcomhaften Berichterstattung überschlagen, erodiert global das Vertrauen in ein vernunftgeleitetes Agieren und eine Planungssicherheit in Bezug auf die USA mehr und mehr.
Trump kündigt hohe Zölle gegenüber Mexiko und Kanada an – worauf Mexiko ihm in Bezug auf die Grenzssicherung tatsächlich entgegenkommt und die Nordgrenze mit 10’000 Soldaten der Nationalgarde verstärken wird. Trump sieht nun von den Zöllen ab und wird für diesen “Erfolg” gefeiert; auch in Schweizer Medien wurde er teilweise als “Macher”, als “Dealmaker” und von Magdalena Martullo-Blocher sogar als “Down-to-earth”-Unternehmer bezeichnet.
Auch die angekündigten Zölle gegen Kanada wurden nicht umgesetzt, vorgeblich, weil er sich mit Kanadas Premierminister Trudeau auf eine engere Zusammenarbeit an der Grenze geeinigt habe. Auch dieser sogenannte Deal wurde selbstverständlich als Erfolg verkauft und bejubelt, ohne dass eine Mehrheit genau analysierte, was eine Umsetzung der Zölle für die USA für Konsequenzen nach sich gezogen hätte. Tatsächlich wären die Zölle gegen Kanada nämlich zu einem massiven Boomerang für die USA geworden, da die Automobilindustrie in ganz Nordamerika seit Jahrzehnten grenzüberschreitend und just-in-time, also ohne grosse Lagerbestände funktioniert. Die Teile werden erst geliefert, wenn sie gebraucht werden. Sowohl die US-Autohersteller als auch die kanadischen Zulieferbetriebe arbeiten mit einstelligen Profitmargen.
Zölle in der Höhe von 25 Prozent hätten zur Folge, dass Autoteile auf beiden Seiten der Grenze nur noch mit erheblichen Verlusten hergestellt werden können. Ein durchschnittliches Auto würde um 3.000 Dollar, ein SUV sogar um 7.000 Dollar teurer werden. Die nordamerikanische Autoindustrie käme innerhalb einer Woche zum Erliegen – Proteste wären gewiss.
Weiter kündigte er an, TikTok in den USA zu sperren, wenn kein Zwangsverkauf oder eine Beteiligung der USA von mindestens 50% stattfinden würde. Tiktok und Bytedance weigerten sich in den vergangenen Monaten jedoch stets, eine Trennung überhaupt in Erwägung zu ziehen und hier zeigt sich, was geschieht, wenn Akteure auf Trumps Drohungen und Ankündigungen nicht mit vorauseilendem Gehorsam reagieren: Trump verfügte eine Fristverlängerung für drei Monate per Präsidentenerlass – wie es diesbezüglich weitergeht ist unklar.
Klar ist: Das Muster von Trumps transaktionaler Aussenpolitik, die einzig darauf aus ist, einen Deal zu machen und alles als Verhandlungsmasse zu betrachten, von Grönland über den Panamakanal bis Gaza, ist immer das gleiche. Eine grosse Ankündigung, gefolgt von der Unterzeichnung einiger Dekrete, die beim politischen Kontrahenten für Einschüchterung sorgen sollen und bisher tatsächlich zu viel vorauseilenden Zugeständnissen und Anpassungen insbesondere in der Tech-Branche geführt haben. Im Folgenden dann die Verkündung grosser Erfolge, die den Eindruck eines mächtigen, strategischen Dealmakers zementieren und für weitere Einschüchterung sorgen sollen.
Bei näherer Betrachtung erweisen sich allerdings die meisten Drohungen in ihrer Umsetzung als primär schädlich für die USA und die US Wirtschaft und insbesondere in Bezug auf China bleibt es spannend, wie es hier zolltechnisch weitergeht. Musks Tesla-Produktion ist beispielsweise in grossem Ausmass von China abhängig und ein Handelskrieg dürfte so ganz und gar nicht in seinem Sinne sein. Interessant wird es immer dann, wenn den Dekreten keine Anpassungen von Seiten der Staaten folgen, wie im Falle Kanada oder dem Zwangsverkauf von TikTok. Dann sieht sich selbst der grosse Dealkönig gezwungen, zurückzukrebsen und Vorhaben rückgängig zu machen oder Fristen zu erstrecken ohne klaren Ausgang.
Er handelt im Modus einer Grossmacht, die sich nicht durch internationale Regelwerke in ihrer Handlungsfreiheit beschneiden lassen möchte. In dieser Logik sind multilaterale Organisationen Hindernisse, und nur im besten Fall noch nachgeordnete Instrumente zur Durchsetzung von Interessen, wie Matthias Jobelius, Leiter des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in New York, schreibt[1]. Nicht mehr die regelbasierte Ordnung (rules-based order), sondern die geschäftsbasierte Ordnung (deals-based order) scheint Leitbild der USA für ihre Interaktion mit Staatengemeinschaften zu sein. Eng definierte nationale Vorteile und innenpolitische Erwägungen sind für die Trump-Administration wichtiger als die Sicherung langfristiger Interessen durch multilaterale Regelwerke. Durchgesetzt wird das mittels einer „erzwingenden Diplomatie“ (coercive diplomacy). Zölle, Drohungen, Strafen und Sanktionen sind dabei das Mittel der Wahl.
Diese politische Ausrichtung fällt in eine Zeit, in der Desinformationskampagnen weltweit gezielt eingesetzt werden, um Diskurse über Kriege, Migration und Wahlen zu beeinflussen, wie in einem Artikel von Aldo Kleemann des Deutschen Instituts für Wissenschaft und Politik zu lesen ist. Künstliche Intelligenz beschleunigt diese Entwicklung, indem sie es einfacher denn je macht, massenhaft realistisch wirkende Bilder, Videos und Tonaufzeichnungen, sogenannte Deepfakes, zu erstellen und über soziale Medien nahezu in Echtzeit zu verbreiten. Die bisherigen Ankündigungen Trumps deuten darauf hin, dass die USA auf absehbare Zeit kein verlässlicherer Partner im Kampf gegen Desinformation sein werden. Er droht vielmehr offen damit, unliebsame Journalist:innen ins Gefängnis werfen zu lassen, kritischen Medien die Sendelizenz zu entziehen und Bundesmittel für gemeinnützige Organisationen, Hochschulen und Universitäten zu streichen, sofern diese Inhalte moderieren, einschliesslich der Kennzeichnung von Fehlinformationen und Desinformationen.
Doch was bedeutet dies für Europa und die Schweiz? Zum einen, dass nun das Festhalten einer wertebasierten, regelbasierten, statt transaktionalen Aussenpolitik wichtiger denn je ist und es sich lohnt, auf Ankündigungen Trumps nicht direkt zu reagieren, sondern erst deren Stichhaltigkeit zu prüfen. Vieles ist bei genauerem Hinsehen nicht realisierbar und würde ihm derart auf die Füsse fallen, dass er eine Umsetzung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen kann. Zum anderen gilt es, so schnell wie möglich griffige Regulierungsmassnahmen für soziale Medien und KI europaweit, aber auch in der Schweiz zu ergreifen und Umzusetzen. Transparenz bezüglich der Algorithmen, Ansprechpartner der Plattformen in den jeweiligen Ländern und die Verfolgung justiziabler Äusserungen wären erste Schritte, die nun ergriffen werden müssten. Musk greift mit der Unterstützung der AFD in Deutschland durch X bereits relevant in den Wahlkampf ein – nächster Angriffspunkt könnte die Schweiz sein, wenn wir uns nicht besser aufstellen.
[1] https://www.ipg-journal.de/regionen/global/artikel/wilde-neue-welt-8061/
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