Meret Schneider: Weniger gut, mehr Günstig – Migros quo vadis?
“Generation M”, “ein M tierfreundlicher», “die nachhaltigste Detailhändlerin der Welt” – als klassisches Migros-Chind kenne ich die Werbeslogans von Plakaten und Magazinen bestens. Soll damit bald Schluss sein? Die Aussage des Leiters der Direktion Nachhaltigkeit der Migros, Christopher Rohrer, lässt das vermuten. “Die Nachhaltigkeit wird im klassischen Marketing weniger Platz erhalten, stattdessen heben wir dort vermehrt unsere Preisvorteile hervor”, lässt er sich zitieren und sorgt damit für grosses Erstaunen.
Mehrere Jahre hat die Migros ihr Engagement für Nachhaltigkeit und Tierwohl in ihrer Kommunikation ausgelobt und betont: Tue Gutes und rede darüber. Selbst für mich war ein USP der Migros stets das Voranschreiten mittels Innovationen wie einem Tierwohl-Ranking oder der frühen Einführung von Bruderhahn-Eiern. Davon will man nun zumindest im Marketing-Bereich absehen: Kommuniziert werden sollen nun stärker die Preisvorteile und günstige Produkte, um die Migros neu auszurichten und an Kundinnen und Kunden zu gewinnen. Ein Sturm im Wasserglas oder ein Entscheid mit tatsächlichen Konsequenzen?
Zwar wird stets nur von der Abkehr vom Fokus auf Nachhaltigkeit in der Kommunikation und im Marketing gesprochen, von tatsächlichen Sortimentsumstellungen oder Labelkürzungen ist noch nicht konkret die Rede. Auch Bäuerinnen und Bauern sehen sich nicht bedroht. IP Suisse-Präsident Andreas Stalder bestätigt denn auch in der Bauernzeitung: “In diesem Artikel stand nichts von einem Abbau im Bereich der Nachhaltigkeit. Rohrer hat lediglich mitgeteilt, dass man dieses Engagement nicht mehr in der bisherigen Form ausloben will.” Soweit, so richtig, doch muss man die folgenden Sätze eines wortgewandten Marketingstrategen mitlesen. Denn auch der Titel «nachhaltigste Detailhändlerin der Welt», mit dem sich das Unternehmen jahrelang schmückte, geniesst nicht mehr oberste Priorität: “Der Verzicht auf gewisse Massnahmen kann zur Folge haben, dass wir in Zukunft auf das Label als nachhaltigste Detailhändlerin der Welt verzichten müssen”, meint Rohrer. Damit bewegt er sich ganz klar weg von reinen Marketingmassnahmen hin zu konkreten Sortiments- und Engagementsveränderungen, spricht er doch von Massnahmen, die dazu führen, dass man auf den Titel der nachhaltigsten Detailhändlerin verzichten müsse.
Noch kein Grund zur Panik, aber ein guter Grund, aufzuhorchen und die konkreten Massnahmen zu beobachten und zu prüfen. Auch die Bauern sollten dies tun, denn folgender Satz hinterlässt doch mehr als einen bitteren Nachgeschmack: “Wenn wir zum Beispiel für importiertes Fleisch die gleichen Tierstandards verlangen wie in der Schweiz, klingt das toll. Wenn die Konsumentinnen und Konsumenten ihr Importfleisch dann aber einfach bei der Konkurrenz kaufen, weil es dort billiger ist, nützt das dem Tierwohl rein gar nichts – die Migros verliert aber Marktanteile.” Geringere Standards für Importfleisch bedeutet für die Schweizer Produktion per Definition noch mehr Konkurrenz durch noch günstigere Produkte – ein Weg, den die Migros offenbar zu beschreiten gedenkt.
Interessant ist dabei die Argumentation, Kundinnen und Kunden würden sonst Importfleisch zu geringen Standards bei der günstigen Konkurrenz kaufen, denn ein Blick auf die Einkaufspolitik von Aldi zeigt Überraschendes:
- Das importierte Frisch-Pouletfleisch stammt aus Betrieben, bei welchen die Produktionsrichtlinien über der Schweizer Gesetzgebung liegen.
- Wir akzeptieren nur Pferdefrischfleischerzeugnisse aus europäischer Herkunft.
- Wir verkaufen nur Kaninchenfrischfleisch aus dem Ausland, welches auch bei der Produktion die hohen Schweizer Tierschutzstandards erfüllt.
Damit geht Aldi tatsächlich weiter bezüglich Tierwohl als die Migros, was mich zugleich freut und erstaunt. So wenig konkret die Ankündigungen der Migros auch sind, so sehr hoffe ich, dass sie, wenn sie sich tatsächlich preislich nach unten orientieren wollen, ihre DNA als Vorreiter bezüglich Nachhaltigkeit und Tierwohl nicht verlieren. Ein Preiskampf nach unten wird, und das müsste auch der Marketingabteilung bewusst sein, ohnehin stets 1:0 für die deutschen Kollegen ausgehen – wer möglichst billig will, geht nicht in die Migros. Wäre es da nicht sinnvoller, die höhere Qualität, Swissness und Regionalität stärker auszuloben, um den höheren Preis und die Kaufbereitschaft zu erhöhen? Als Nicht-Marketing-Fachfrau habe ich mich da rauszuhalten und kann nur hoffen, dass die Regale der Migros künftig nicht von brasilianischem Poulet und argentinischem Rind dominiert werden – für alle Beteiligten, inklusive der Poulets.
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