Meret Schneider: Wer profitiert von der Schweizer Landwirtschaft?
Kürzlich wurde ich von den Junglandwirtinnen und Junglandwirten eingeladen, an ihrem Abend zum Thema “Wer profitiert von der Schweizer Landwirtschaft?” ein Grusswort zu halten. Hocherfreut darüber wertete ich dies als Zeichen eines echten Interesses an Austausch und einer Dialogbereitschaft, die deutlich macht, dass zwischen der sogenannten Land- und der Stadtbevölkerung keineswegs ein so tiefer Graben herrscht, wie er manchmal kommunikativ ausgehoben wird. Im Gegenteil: Die Junglandwirte laden zu ihrem Diskussionsabend nicht nur eine Städterin, sondern gar eine Grüne Städterin ein und beweisen damit eine beeindruckende Offenheit und echtes Interesse am Austausch und konstruktiven Debatten.
In Zeiten wie diesen, in denen die gesellschaftliche Stimmung von einer Verhärtung der rhetorischen Wortgefechte, von der Trumpisierung der Politik und der Hochkonjunktur von Fake News geprägt ist, sind es Anlässe wie dieser, die mir die Zuversicht verleihen, dass wir doch mehr Heu auf derselben Bühne haben, als vielfach angenommen – noch einmal danke ich ganz herzlich dafür!
Wer profitiert von der Schweizer Landwirtschaft? Als ich mir diese Frage gestellt habe, dachte ich zuerst an uns Konsumentinnen und Konsumenten. Wir haben hier in der Schweiz eine international fast einmalige Qualität an Lebensmitteln: Seien es Früchte und Gemüse, Eier oder frischer Bergkäse – die Lebensmittel bestechen durch Frische, Nähe und Saisonalität, wenn man sie denn aus Schweizer Produktion und zu ihrer Erntezeit konsumiert. Wir Konsumierenden können uns glücklich schätzen, auf ein so grosses Sortiment an frischen Produkten, ein so breites Angebot an biologisch produzierten Nahrungsmitteln und eine Fülle an regionalen Spezialitäten zurückgreifen zu können. Dieses Privileg sollten wir uns vermehrt vor Augen halten, insbesondere wenn es darum geht, entsprechende Preise zu zahlen und auch Tierwohl und ökologische Leistungen zu entschädigen, welche die Produktionskosten für die Bauern in die Höhe treiben.
Konsumierende in der Schweiz schätzen tatsächlich auch vor allem Lebensmittel mit Schweizer Herkunft. Sie sind gemäss dem «Konsumentenbarometer», welches DemoSCOPE für Agro-Marketing Suisse erstellt, bereit, 15 bis 30% höhere Preise zu entrichten. Im September 2017 ergänzte das Volk die Verfassung mit dem Auftrag an den Bund, die Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Es ist der Bevölkerung folglich wichtig, dass die Schweiz nicht immer mehr Lebensmittel importiert, sondern eine eigenständige Produktion unter eigenen Bedingungen aufrechterhält und gezielt fördert. Auch Tierwohl und Umweltleistungen sind der Bevölkerung gemäss Umfragen ein grosses Anliegen.
Und damit sind wir beim ersten Problem und der ersten Diskrepanz. Gemeinwirtschaftliche Leistungen und öffentliche Güter wie die Landschaftspflege, die Bewirtschaftung der Alpen oder Tierwohlleistungen führen zu Marktversagen – sie werden vom Markt nicht entsprechend entschädigt und könnten ohne staatliche Unterstützung gar nicht erbracht werden. Darauf basiert die politische Intervention, die auch in der Schweizer Verfassung verankert ist und deren bekanntestes Produkt die Agrarpolitik mit den Direktzahlungen ist. Der Staat stellt durch entsprechende Rahmenbedingungen sicher, dass die Landwirtschaft die geforderte Leistung erbringen kann – z.B. «eine standortangepasste und ressourceneffiziente Lebensmittelproduktion».
Wir alle also profitieren von der Schweizer Landwirtschaft, sei es durch die Lebensmittel oder durch die Förderung der Biodiversität, der Alpweiden oder der Bewirtschaftung des Forstes: wir alle geniessen diesen Luxus, ohne uns dessen bewusst zu sein. Und obwohl Schweizerinnen und Schweizer bereit sind, mehr für Tierwohl und biologische Produktion oder zumindest Schweizer Herkunft zu bezahlen, vermögen die Produzentenpreise kaum die Kosten zu decken und viele Bauern können trotz staatlicher Unterstützung ihren Betrieb nur noch als Nebenerwerb betreiben, weil das Einkommen schlicht nicht mehr existenzsichernd ist. Wie ist das möglich?
Zum einen bezahlen wir heute eindeutig zu wenig für Lebensmittel: Durchschnittlich gibt ein Schweizer Haushalt rund 10% des Einkommens für Lebensmittel aus – das ist historisch so wenig wie noch nie. Gleichzeitig wirft jeder Haushalt im Durchschnitt ein Drittel des Eingekauften weg, obwohl es noch problemlos konsumierbar wäre und noch immer ist der Preis ein entscheidender Faktor, wenn es um die Wahl des Grillfleisches oder des weihnachtlichen Fondue Chinoise geht. Noch immer wird sehr viel Importiertes konsumiert, das nicht annähernd Schweizer Standards entspricht und dem hiesigen Tierschutzgesetz keineswegs gerecht wird, obwohl dies der Bevölkerung eigentlich wichtig wäre. Grund dafür sind oft verfehlte Aktionspolitik im Detailhandel, unklare Deklarationen und grosse Preisdifferenzen zwischen Import- und Labelprodukten.
Wie kann es sein, dass Konsumierende im Detailhandel so viel mehr für Schweizer Fleisch aus Auslaufhaltung bezahlen, die produzierenden Bauern aber nur wenig mehr als für konventionell hergestelltes Fleisch erhalten? Wie kommt es, dass zur Hauptsaison der Schweizer Kirschen gleichzeitig Kirschen aus der Türkei mit Aktionen beworben werden? Und warum kostet Brot beispielsweise im Coop aufgrund der schlechten Getreideernte mehr, obwohl die Bauern nur einen marginal höheren Richtpreis erhalten und sogar vermehrt mit Importgetreide gebacken wird?
Mit diesen Fragen sind wir bei einem grossen Profiteur der Schweizer Landwirtschaft: der Verarbeitungsindustrie und dem Handel. Durch die starke Abhängigkeit der Bauern von einigen wenigen grossen Playern haben insbesondere Detailhändler, aber auch Getreidemühlen oder Milchverarbeitungsbetriebe eine Marktmacht, die sie durch Drücken der Preise, Importe aus dem Ausland und unter Druck setzen der Produzierenden für die eigene Profitmaximierung nutzen. So wird die hohe Kaufkraft der Kundinnen und Kunden, die auf Labelprodukte Wert legen, genutzt, um unverhältnismässig hohe Preise nachzufragen, ohne die Bauern tatsächlich proportional mehr für die Mehrleistungen zu entschädigen.
Auch Dumpingpreise für Poulet aus beispielsweise Brasilien oder Ungarn, angeschrieben mit “produziert in der Schweiz mit Fleisch aus: siehe Packungsrückseite” sind an der Tagesordnung und führen Konsumierende, die das Kleingedruckte nicht lesen, in die Irre. In der nachgelagerten Industrie fällt ein grosser Profit an, der den Produzierenden im primären Sektor fehlt – ermöglicht und getragen von uns Konsumierenden, die über die tatsächliche Preisbildung im Dunkeln gelassen werden. Es soll hier mitnichten darum gehen, jemanden anzuklagen oder unbegründete Vorwürfe in den Raum zu stellen, aber um zu eruieren, wer tatsächlich von der Schweizer Landwirtschaft profitiert, lohnt es sich, bezahlte Produzentenpreise und nachgefragte Konsumentenpreise zu analysieren.
Mit diesem Gedanken habe ich im Nationalrat zwei Motionen eingereicht; eine für Kostenwahrheit und Transparenz in den Agrarmärkten und eine für eine Offenlegung der Margen im Detailhandel. Wenngleich sie schlussendlich gescheitert sind, so haben sie doch eine wichtige Debatte ausgelöst und auch Konsumierende wollen vermehrt wissen, wie die Preise für Lebensmittel tatsächlich zustande kommen und warum ein argentinisches Rindsfilet günstiger ist als ein Siedfleisch vom Schweizer Weiderind. Diese Fehlanreize sollten korrigiert und endlich für Transparenz gesorgt werden – mehr Wertschätzung und höhere Preise für landwirtschaftliche Produkte ja, aber nur, wenn sie auch den Produzierenden zu Gute kommen.
In diesem Sinne lade ich sämtliche Akteure der Wertschöpfungskette dazu ein, den Verdacht der erhöhten Margen auf Labelprodukte aus dem Weg zu räumen und Transparenz bezüglich der Preisbildung herzustellen. Nur so sind wir Konsumierenden in der Lage, mündige Konsumentscheidungen zu treffen und willens, mehr für Schweizer Produkte zu bezahlen. Ich bin überzeugt, dass eine transparente Preisbildung, höhere Richtpreise und eine eindeutige Deklaration der Produkte die Weichen stellen dafür, dass von der Schweizer Landwirtschaft nicht nur Konsumierende und Detailhändler profitieren, sondern auch und vor allem die Landwirtinnen und Landwirte.
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