Eine Woche nach Ausrufung der ausserordentlichen Lage durch den Bundesrat ein erster Blick darauf, was gut, was weniger gut läuft. Das Positive vorneweg: Die Schweizer zeigen sich, wie so oft in einer Krise, solidarisch. Sie helfen, wo die Not am dringendsten ist. Unaufgeregt, im Kleinen, organisiert im Grossen. Die Anweisungen des Bundesrates werden grösstenteils befolgt, Städte und Dörfer wirken teilweise wie ausgestorben, Abstände und Hygienevorschriften werden eingehalten.
Kommentar von Helmuth Fuchs
Fehlende Beatmungsgeräte werden dorthin verschoben, wo sie am dringendsten benötigt werden, Patienten dahin verlegt, wo es noch Kapazitäten hat, erste Notfälle aus dem nahen Ausland wurden übernommen, Pflege- und Spitalpersonal leisten Sonderschichten trotz erhöhtem gesundheitlichen Risiko, ebenso das Militär, der Bundesrat setzt Massnahmen mit Augenmass und Rücksicht auch auf die Wirtschaft um, für die sich abzeichnenden finanziellen Notfälle wurden pragmatische Lösungen gefunden, die Versorgungslage ist, mit Ausnahmen, gewährleistet. Kurz: Die Schweiz und die Schweizer funktionieren auch im Krisenmodus.
Keine belastbare Datenbasis
Wichtig ist, nebst der Frage, ob die Massnahmen zielführend und angemessen sind, auch, auf welcher Grundlage diese für die Bevölkerung und die Wirtschaft extremen Massnahmen getroffen werden: Auf den Modellen, Informationen und Daten anderer Länder und der eigenen Spezialisten. Und hier haben wir eine Situation, die sich nicht schönreden lässt. Wir haben keine belastbaren Daten. Wir haben zwar mittlerweile viele Webseiten (Worldometers, John Hopkins, Corona-Data.ch) welche dieselben Daten mehr oder weniger schön inszenieren, aber alle nach dem Prinzip «garbage in, garbage out».
Spitäler und Ärzte können mangels verfügbarer Tests nur diejenigen Personen testen, welche mit schon offensichtlichen Symptomen überwiesen werden. Das heisst, wir haben keine Ahnung, wie es mit der Zahl Infizierter oder Erkrankter in der Bevölkerung in etwa ausschaut, wie viele symptomlos angesteckt sind, wie viele schon immun sind. Diese Daten liessen sich nur erheben, wenn man in der Breite die Bevölkerung testen könnte.
Wenn nur jene getestet werden, welche offensichtliche Symptome haben, sind natürlich auch die daraus resultierenden Fallzahlen nicht vergleichbar mit Ländern, welche viel mehr oder viel weniger testen. Das wäre aber wichtig, weil die Politiker sehr oft mit Blick auf andere Länder entscheiden und nicht weniger rigoros im Vorgehen erscheinen möchten. Es findet dann aufgrund kaum aussagekräftiger Zahlen ein Rennen um die bestmögliche Isolation mit leider auch grösstmöglichem wirtschaftlichen Schaden statt.
Mortalitätsrate stützt die Gefährlichkeit des Coronaviruses nicht
Ebenso nichts sagend ist auf dieser Datenbasis die Mortalitätsrate (die wiederum dafür verwendet wird, um die Gefährlichkeit des Viruses und die Härte der Massnahmen zu begründen). Die Mortalitätsrate sinkt direkt mit der zunehmenden Anzahl von Tests: Wer mehr testet hat mehr Fälle von Infizierten bei davon nicht beeinflussten Todesfällen. Die Schweiz hat mit schwankenden Testzahlen eine stabile Mortalitätsrate von etwa 1%, während Deutschland, mit einem vergleichbaren Gesundheitssystem, einer etwa zehn Mal so grossen Bevölkerung sowie späteren und zu Beginn weniger strikten Massnahmen, eine konstante Mortalitätsrate von etwa 0.4% hat (bei etwa 3.5 mal von vielen Fällen).
Die verhältnismässig tiefe Testzahlen, die vorwiegend auf die ältere Bevölkerung mit zusätzlichen Krankheiten oder Personen mit geschwächtem Immunsystem konzentrierten tödlichen Verläufe und die vermutete höhere Ansteckungsrate als bei einer normalen Grippe lassen die Annahme zu, dass die Mortalitätsrate vor allem zu Beginn um Faktoren zu hoch geschätzt wurde und eher im Bereich der bekannten Grippe liegen dürfte. Zu diesem Ergebnis gelangen Kenji Mizumoto, Katsushi Kagaya und Gerardo Chowell in ihrer noch nicht durch die Peer Review bestätigten Studie.
Nicht ganz so schlecht (aber auch nicht viel besser) als beim Virus selbst ist die Datenlage bei der zur Bekämpfung der Pandemie wichtigen Infrastruktur. Von der totalen Überlastung mit schon drohender Selektion, wen man sterben lassen muss, bis hin zu einer zwar angespannten, aber gut bewältigbaren Lage bekommt man alle Szenarien zu hören. Während einige Medien von fehlenden Beatmungsgeräten berichten, werden diese mit Hochdruck produziert und exportiert. Inzwischen werden auch zuvor still gelegte Spitalflügel und -Bauten wieder aktiviert und vorbereitet zur Aufnahme von Patienten, das Militär stellt zusätzliche Geräte, Personal und Einrichtungen zu Verfügung.
Weshalb man das Coronavirus mit der Grippe nicht nur vergleichen darf, sondern sogar muss
Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass man das Coronavirus nicht mit dem Grippevirus vergleichen dürfe («Verharmlosung», «unverantwortlich»). Das Gegenteil ist der Fall: Man muss es sogar mit dem Grippevirus vergleichen. Mit dem Coronavirus haben wir, da dieser Stamm neu ist, noch keine Erfahrung. Andere Vireninfektionen (SARS, MERS, H1N1) waren entweder massiv viel tödlicher, viel milder oder in der Schweiz wenig verbreitet (wobei bei keiner dieser Pandemien ähnlich rigorose Massnahmen ergriffen wurden). Womit wir aber Erfahrung haben, ist die jährliche Wintergrippe (Influenza). Wie oben schon dargelegt, dürfte die Mortalitätsrate vergleichbar sein, mit dem Unterschied, dass der Krankheitsverlauf beim Coronavirus für Kinder, Jugendliche, Schwangere und gesunde Personen unter 65 Jahre in den meisten Fällen relativ problemlos verläuft.
Zudem sind von allen mit Symptomen Getesteten scheinbar nur etwa 15% am Coronavirus erkrankt. Die anderen 85% sind an etwas erkrankt, das ja von Ärzten so eingestuft wurde, dass es ein Coronavirus sein könnte. Man darf annehmen, dass es sich dabei um die Grippe handelt, da die Symptome sehr ähnlich sind.
Der Grippe wurden im Jahre 2015 in der Schweiz 2’500 Todesfälle zugeschrieben, der Grippewelle in Italien 2016/2017 25’000 Todesfälle. Für die Grippe haben wir zwar einen Impstoff, den zum einen aber nur eine Minderheit der Bevölkerung anwendet (etwas mehr als 20%) und der zum anderen auch keinen vollständigen Schutz bietet, da sich die Influenzaviren jeweils verändern. In der Bevölkerung haben wir zum Teil auch schon eine gewisse Immunität. Hier liegt der grosse Unterschied zum Coronavirus: Es gibt noch keine Immunität (baut sich jetzt gerade auf und wird bei einer nächsten Welle dann teilweise vorhanden sein) und wir haben noch keinen Impfstoff. Das heisst, dass es wichtig ist, dass wir die Ausbreitung gezielt dort verhindern, wo sonst die meisten Patienten die limitierten Intensivpflegeplätze in den Spitälern überlasten würden.
Ob die jetzt getroffenen Massnahmen, um diese Ziel zu erreichen, zweckmässig und verhältnismäsig sind, werden wir erst in etwa drei bis vier Wochen beurteilen können (erste Tendenzen sollten sich innerhalb der nächsten zehn Tage zeigen). Bis dahin gilt es schlicht, die Massnahmen strikte einzuhalten und umzusetzen.
Was hilfreich wäre, wären auch hier belastbare Zahlen zu den Grippefällen (Getestete, Hospitalisierte, Verstorbene), damit man die Fälle, welche jetzt das Coronavirus verursacht, in Relation setzen könnte zu einem Virus, an den wir uns offensichtlich schon gewöhnt haben, der uns trotz einer bis anhin auch in diesem Jahr höheren Anzahl von Todesfällen kaum zu beunruhigen scheint und der auch jetzt noch parallel aktiv ist.
«Aber, dass man ohne einen Bezug die einzelnen Toten und die Zahl der Infizierten meldet, heute 16 Tote, heute 1.000 mehr infiziert, das schürt Ängste. Es werden uns Zahlen präsentiert, die Angst machen. Sie werden nicht in Relation zu andern Zahlen gesetzt.» Prof. Dr. Karin Mölling
Really TX Group?
Zum Schluss noch zu einer eher hässlichen Seiten der bisherigen Krise. Der Bundesrat hat ein aussergewöhnliches Paket von 32 Milliarden Franken freigegeben, nachdem zuvor schon erste Sofortmassnahmen in der Höhe von 10 Milliarden beschlossen wurden und er hat es geschafft, Wege zu finden, dass dieses Geld sofort und relativ unbürokratisch den wirtschaftlich Betroffenen zugute kommen kann.
Zu den wirtschaftlich Betroffenen scheint sich ganz zuvorderst offenbar die TX Group zu zählen (Tamedia). Ein Medienunternehmen, das im letzten Geschäftsbericht (2018) einen Gewinn von 130 Millionen Franken auswies, ein Eigenkapital von 2.1 Milliarden, dem das Coronavirus rekordhohe Klickzahlen und eine nicht abbrechende tägliche Flut von «News» generiert. Ein Medienunternehmen, dessen Mitarbeitende im Gegensatz zum Coiffeur einen Grossteil ihrer Arbeit digital vom Home-Office aus erledigen können. Ein börsennotiertes Unternemen, das seine finanziellen Mittel auch dort beschaffen könnte. Dieses Unternehmen meldet als eines der ersten Kurzarbeit an, scheint also nicht in der Lage, ein bis zwei Monate ohne staatliche Unterstützung überleben zu können? Es hätte auch noch die Möglichkeit gegeben, zinslose Überbrückungskredite zu beanspruchen, anstatt Kurzarbeit zu verordnen.
Als Kleinunternehmer versuchen meine Mitstreiter und ich, solange es irgendwie geht, diese Überbrückungsgelder denen zu überlassen, welche sie für das tägliche Überleben benötigen. Börsenkotierte Unternehmen mit satten Gewinnen, viel Eigenkapital, einer Besitzerfamilie, die zu den Reichsten des Landes gehören, zählen mit Sicherheit nicht dazu. Vielleicht mag sich ja Pierto Supino dazu äussern, weshalb wir ihn mit unserem Geld unterstützen müssen, mir fällt hier gerade kein Argument dazu ein.
Passt aber irgendwie noch zur zweiten eher unschönen Seite der Krise: Den Hamsterkäufen von Toilettenpapier.