Paris – Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Anleger mit ihren zusätzlichen Lockerungsmassnahmen letztlich enttäuscht. An Europas Aktienmärkten war nur kurz Euphorie aufgekommen, am Ende überwog die Tristesse. Die wichtigsten Indizes schlossen am Donnerstag deutlich schwächer, zumal auch die tonangebenden US-Börsen im Zuge nachgebender Ölpreise wieder den Rückwärtsgang eingelegt hatten.
Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 fiel um 1,51 Prozent auf 2970,78 Punkte, nachdem das Börsenbarometer in einer ersten Reaktion noch um bis zu 3,73 Prozent in die Höhe gesprungen war. Der Pariser CAC-40-Index sackte um 1,70 Prozent auf 4350,35 Punkte ab. In London büsste der FTSE 100 1,78 Prozent auf 6036,70 Punkte ein.
Schwache Wirtschaftsaussichten für die Eurozone hatten die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik deutlich stärker lockern lassen als von vielen Experten erwartet. Die EZB senkte alle wichtigen Leitzinsen, weitete ihr milliardenschweres Wertpapierkaufprogramm aus und legte neue Langfristkredite auf.
Allerdings hatte EZB-Präsident Mario Draghi bei der Pressekonferenz im Anschluss an den Zinsentscheid gesagt, dass er derzeit keinen Grund für weitere Zinssenkungen sieht. Die Reaktion der Investoren war eindeutig: Der Eurokurs zog innerhalb weniger Stunden um mehr als 3 Cent an. Eine teurere Gemeinschaftswährung verschlechtert die Exportaussichten der Unternehmen in Länder außerhalb des Euroraums.
Zudem gab es unter Experten deutliche Kritik am Vorgehen der Europäischen Zentralbank. So schrieb Thomas Gitzel, Chefökonom der VP Bank Gruppe: «Draghi muss aufpassen, dass er sich nicht auf ein Hase-Igel-Spiel einlässt. Die Finanzmärkte fordern immer mehr. Die EZB muss deshalb klar machen, dass es auch eine Grenze gibt.»
Laut Experten enttäuschte Draghi zudem mit seinen Aussagen zur Preisentwicklung. Für das laufende Jahr zum Beispiel rechnet die EZB nur noch mit einer Inflationsrate von 0,1 Prozent. Bisher waren sie von 1,0 Prozent ausgegangen. Dabei strebt die Europäische Zentralbank eigentlich eine Inflation von knapp unter zwei Prozent an.
Unter den einzelnen Branchen gab es fast nur Verlierer. Am tiefsten im roten Terrain steckten die Aktien der Autobauer und Zulieferer, deren Index 4,10 Prozent verlor. Hier schlug der steigende Eurokurs besonders negativ zu Buche. Gegen den Trend stieg lediglich der Subindex der Immobilienwerte um 0,43 Prozent. In der aktuellen Niedrigzinsphase ist das sprichwörtliche «Betongold» bei Anlegern gefragt.
Bankaktien schlugen sich mit einem Abschlag von lediglich 0,52 Prozent recht wacker. So zogen die Papiere der italienischen Unicredit an der EuroStoxx-Spitze um mehr als 2 Prozent an. Die EZB hatte neue Langfristkredite zur Versorgung der Finanzinstitute mit Zentralbankgeld aufgelegt. Die neuen Kredite sollen ab Juni laufen und lehnen sich an bereits existierende Kreditprogramme an.
Am Ende des EuroStoxx fanden sich die Aktien von Carrefour mit minus 6,53 Prozent wieder. Der französische Handelskonzern hatte im abgelaufenen Jahr zwar von einer steigenden Nachfrage in allen Märkten profitiert, die Dividendenerhöhung war aber geringer als erwartet ausgefallen.
In London gewannen die Aktien von Aviva mehr als 1 Prozent. Der Versicherer hatte 2015 seinen operativen Gewinn kräftig gesteigert und damit die Erwartungen übertroffen. Zudem soll es für das abgelaufene Jahr eine Dividende von 20,8 Pence je Aktie geben. (awp/mc/pg)