Europa-Schluss: Entspannungssignale im Ukraine-Konflikt beflügeln
Paris / London – Europas Börsen sind am Mittwoch von Signalen für eine Entspannung im Ukraine-Konflikt beflügelt worden. Am Nachmittag sorgte auch die freundliche Wall Street für Rückenwind. Am Abend steht noch der Zinsentscheid der US-Notenbank Fed auf der Agenda – die Aussicht auf die wohl erste US-Leitzinsanhebung seit dem Jahr 2018 konnte die Anleger aber weder dies- noch jenseits des Atlantiks schrecken.
Der EuroStoxx 50 schloss 4,05 Prozent fester bei 3889,69 Punkten. Damit schaffte der zuletzt wankelmütige Leitindex der Eurozone wieder einmal einen grösseren Kursgewinn – den Einbruch seit Beginn des Ukraine-Kriegs vor knapp drei Wochen hat er inzwischen grossteils aufgeholt. Der französische Cac 40 erholte sich am Mittwoch um 3,68 Prozent auf 6588,64 Punkte, während es für den britischen FTSE 100 um 1,62 Prozent auf 7291,68 Punkte nach oben ging.
Die Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau über ein Kriegsende werden konkreter. Es würden Dokumente ausgearbeitet für mögliche direkte Gespräche zwischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, sagte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak laut einem Interview mit dem US-Sender PBS. «Der einzige Weg, diesen Krieg zu beenden, sind direkte Gespräche der beiden Präsidenten. Daran arbeiten wir bei diesen Verhandlungen.» Derzeit würden diese Dokumente ausgearbeitet, welche die Staatschefs dann vereinbaren und unterzeichnen können. «Das könnte schon bald passieren.»
Nach Informationen der Zeitung «Financial Times» arbeiten beide Seiten an einem 15-Punkte-Plan. An erster Stelle stünden die von Russland geforderte Neutralität und Entmilitarisierung der Ukraine sowie der von Kiew verlangte Abzug russischer Truppen. Territoriale Streitfragen sollten demnach erst später diskutiert werden. Der ukrainische Präsidentenberater Podoljak hat die Existenz eines Entwurfs für eine Einigung mit Russland bestätigt, allerdings Erwartungen gedämpft. Der 15-Punkte-Plan, über den die «Financial Times» berichtete, gebe nur die russischen Forderungen wider, «mehr nicht», schrieb Podoljak am Mittwoch auf Telegram. Die ukrainische Seite habe ihre eigene Position.
Derweil wird die Fed am Abend wohl den Leitzins erhöhen. Fed-Chef Jerome Powell hatte bereits Anfang März vor dem US-Kongress deutlich gemacht, dass die Ereignisse in der Ukraine keine wesentliche Änderung im geldpolitischen Kurs nach sich ziehen würden. «Allerdings sorgte der Krieg in der Ukraine dafür, dass Spekulationen über einen grossen Zinsschritt mit 0,50 Prozentpunkten vom Tisch sind», schreiben die Experten der Dekabank. Allgemein erwartet wird aktuell eine Anhebung um 0,25 Punkte. An den Finanzmärkten werden im Jahresverlauf eine Reihe weiterer Zinserhöhungen erwartet.
Im europäischen Branchenvergleich profitierten Technologiewerte – ähnlich wie in Asien und in den USA – am meisten von den Entspannungssignalen im Ukraine-Krieg: Der Subindex im marktbreiten Stoxx Europe 600 gewann mehr als sechseinhalb Prozent. Dahinter folgten die Indizes der Finanzdienstleister , Autounternehmen und Banken mit Aufschlägen zwischen fünf und über fünfeinhalb Prozent. Banken profitieren über ihr Einlagengeschäft von höheren Zinsen.
Aktien der Beteiligungsgesellschaft Prosus , die zuletzt eingebrochen waren, sprangen nun mit einem Kursplus von knapp 24 Prozent an die EuroStoxx-Spitze. Das Unternehmen ist unter anderem an dem chinesischen Internetkonzern Tencent beteiligt.
Einzige Branchenverlierer waren indes Öl- und Versorgertitel : Ihre Indizes im Stoxx Europe 600 sanken um knapp ein halbes beziehungsweise 0,8 Prozent.
In London büssten Aktien des Sicherheitssoftware-Spezialisten Avast über 13 Prozent ein. Zwar legte der US-Konkurrent Nortonlifelock eine 8,6 Milliarden US-Dollar schwere Übernahmeofferte auf den Tisch. Doch die zuständige britische Behörde äusserte Bedenken gegen die Transaktion und will diese eingehender prüfen. (awp/mc/pg)