Paris / London – Die Anleger bleiben an Europas Börsen verunsichert über den künftigen geldpolitischen Kurs der Notenbanken. Dies machte sich am Donnerstag einmal mehr darin bemerkbar, dass die wichtigsten Indizes eine nur verhaltene Kursentwicklung nahmen. Dank der zuletzt robust tendierenden US-Börsen schafften es viele von ihnen moderat ins Plus.
Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 ging 0,13 Prozent höher bei 4297,68 Punkten über die Ziellinie. Seit Tagen kommt er nahe der 4300-Punkte-Marke nicht vom Fleck – allerdings auch nach gutem Lauf mit bisher gewonnenen 13 Prozent in diesem Jahr. Was bleibt, ist die Sorge, dass wichtige Notenbanken im Kampf gegen die hohe Inflation weiter auf eine restriktive Gangart setzen. Zuletzt wurde diese von Leitzinserhöhungen in Kanada und Australien untermauert.
Der französische Cac 40 schloss mit 7222,15 Zählern noch einen Tick deutlicher mit 0,27 Prozent in der Gewinnzone. Der britische FTSE 100 war mit einem Abschlag von 0,32 Prozent auf 7599,74 Punkte jedoch ein negativer Ausreisser.
Die Entscheidung der kanadischen Notenbank habe das Dilemma der Entscheidungsträger deutlich gemacht, sagte Analyst Charlie Lay von der Commerzbank. Die Notenbanken seien darauf bedacht, die Geldpolitik nicht zu sehr zu straffen, was das Wachstum beeinträchtigen würde. Gleichzeitig bestehe das Risiko einer verfrühten Pause angesichts des robusten Wachstums und der anhaltenden Inflation. Daraus würde sich die Notwendigkeit ergeben, die Zinserhöhungen fortzusetzen und sogar noch energischer zu handeln.
Mit Blick aufs Branchentableau lagen am Donnerstag Automobilaktien vorne. Begründet wurde dies am Markt mit der Hoffnung, dass in China bald wieder zusätzliche Fördermassnahmen beschlossen werden könnten, um die lahmende Konjunktur anzutreiben. Dies hat zuletzt auch die Tesla -Aktien in New York im Rallymodus gehalten. Spitzenreiter im EuroStoxx waren entsprechend die Stellantis -Anteile mit plus 1,5 Prozent.
Zögerlicher wurden die Anleger bei Technologiewerten nach ihrem guten Lauf in diesem Jahr. Die branchenlastige US-Börse Nasdaq hatte am Vorabend mit Gewinnmitnahmen den Weg vorgezeichnet. Dank einer Nasdaq-Erholung am Donnerstag reduzierten Aktien der Branche in Europa zwar ihre Verluste, konnten sie aber in vielen Fällen nicht voll ausgleichen. Die Aktien des Halbleiter-Anlagenbauers ASML und die des Zahlungsabwicklers Adyen verloren jeweils knapp 0,8 Prozent.
In London ging es für die Anteilsscheine des Billigfliefers Wizz Air zuerst schwungvoll nach oben, nachdem dessen Geschäftsausblick die Erwartungen übertroffen hatte. Danach schwand aber die Überzeugung für die Papiere, die noch mit 4,4 Prozent ins Minus drehten.
Aktien von Orsted erholten sich mit gut plus fünf Prozent kräftig von ihrem Tief seit Anfang Mai. Analyst Alberto Gandolf von Goldman Sachs lobte die vorab kommunizierten, mittelfristigen Gewinnziele vom Kapitalmarkttag des Offshore-Windenergieunternehmens. Gandolfi sieht diese Ziele als möglichen «Kick off» für eine deutlich positivere Wahrnehmung bei den Anlegern.
Novartis-Aktien gehörten im Züricher Leitindex SMI mit einem Prozent zu den grössten Gewinnern. Hier stand der Kapitalmarkttag der Generika-Tocher Sandoz im Fokus, die wie schon länger geplant in der zweiten Jahreshälfte abgespalten und an die Börse gebracht werden soll. Sandoz will den Gewinn mittelfristig kräftig steigern.
Im Rohstoffsektor, der europaweit auch gefragt war, gewannen die Aktien von Rio Tinto nach einer Empfehlung der Citigroup ein halbes Prozent hinzu. Die Experten sahen hier nach zuletzt unterdurchschnittlicher Kursentwicklung Potenzial. Hinzu kam der Anstieg der Eisenerzpreise, die ihre jüngste Erholung fortsetzten. (awp/mc/ps)