Paris / London – Europas Aktienmärkte haben am Mittwoch vor dem US-Zinsentscheid sichtbar nachgegeben. Allgemein wird erwartet, dass in Anbetracht der hohen Inflation die Zinswende in den Vereinigten Staaten mit einer grossen Anhebung um einen halben Prozentpunkt weitergehen wird. Es wäre die deutlichste Straffung der US-Notenbank Fed seit mehr als zwei Jahrzehnten. Höhere Zinsen schmälern die Attraktivität von Aktien im Vergleich zu festverzinslichen Wertpapieren wie etwa Anleihen.
Der Leitindex EuroStoxx 50 verabschiedete sich 0,96 Prozent tiefer mit 3724,99 Punkten aus dem Handel. Für den Pariser Leitindex Cac 40 ging es um 1,24 Prozent auf 6395,68 Punkte bergab, während der Londoner FTSE 100 0,90 Prozent auf 7493,45 Zähler verlor. In New York gab der technologielastige Nasdaq 100 zum europäischen Börsenschluss noch deutlicher nach, während der Leitindex Dow Jones Industrial nur moderat verlor. Technologiefirmen sind angesichts ihrer eher höheren Verschuldung besonders anfällig für steigende Zinsen.
«Zurückhaltung heisst das Gebot der Stunde», betonte Kapitalmarktanalyst Jürgen Molnar. Am Ende der Zinswende dürfte mindestens «eine Zwei vor dem Komma beim Leitzins stehen – und das, nachdem Notenbanker und Investoren noch vor einem halben Jahr mit einer, vielleicht zwei kleinen Zinserhöhungen für 2022 liebäugelten.»
Die US-Währungshüter könnten damit den Takt für den Rest der Welt vorgeben. «Der Drahtseilakt zwischen Inflationsbekämpfung und der Konjunkturstabilisierung in den USA ist wegweisend für die internationalen Finanzmärkte», stellte Marktexperte Andreas Lipkow von Comdirect fest.
Im europäischen Branchenvergleich standen Immobilientitel am stärksten unter Druck: Ihr Subindex im marktbreiten Stoxx Europe 600 setzte mit einem Minus von knapp zweieinhalb Prozent seine Talfahrt fort und erreichte den tiefsten Stand seit Anfang März 2021. Baufinanzierungen leiden besonders deutlich unter anziehenden Zinsen. Dahinter büssten die Indizes von Einzelhandel und Bergbau 2,3 beziehungsweise zwei Prozent ein.
Dagegen waren Chemie- sowie Öl- und Gastitel gefragt, wie die Kursgewinne der Indizes von 0,6 und 0,4 Prozent zeigten. Die Ölpreise profitierten von der Aussicht auf ein EU-Embargo für russisches Rohöl. «Im vierten Quartal 2021 importierten die EU-Länder laut Angaben der IEA (Internationale Energieagentur) tagesdurchschnittlich 3,5 Millionen Barrel Rohöl und Ölprodukte aus Russland», erläuterte Analyst Carsten Fritsch von der Commerzbank. «Diese Menge muss nun anderweitig am Markt gefunden werden, was das Angebot verknappen dürfte, was wiederum für höhere Preise spricht.»
Die Aktien von Flutter gewannen an der EuroStoxx-Spitze über fünf Prozent. Der Glücksspielkonzern profitierte im ersten Quartal von einer steigenden Nachfrage in den USA.
Im Chemiesektor fielen Aktien der belgischen Solvay dank eines angehobenen Gewinnausblicks mit einem fast sechsprozentigen Kursplus auf. Auch Aston Martin waren mit plus 6,7 Prozent gefragt. Ein deutlicher Anstieg des operativen Gewinns stiess ebenso auf positives Echo wie der Ausblick des Herstellers hochwertiger Fahrzeuge. Konkurrent Ferrari konnte die Anleger indes trotz eines deutlichen Quartalswachstums und voller Auftragsbücher nicht überzeugen, wie der Kursrückgang um gut fünfeinhalb Prozent zeigte.
Die Aktionäre von Airbus mussten einen Kursverlust von 3,7 Prozent verkraften. Nach dem Handelsende berichtete der Flugzeugbauer indes einen operativen Milliardengewinn und kündigte den Ausbau der Produktion seiner Mittelstreckenjets an. Dies kam bei den Anlegern gut an, wie die nachbörsliche Kursreaktion zeigte. (awp/mc/ps)