Paris / London – Nach dem starken Wochenstart haben Europas wichtigste Aktienmärkte am Dienstag einen Teil ihrer Vortagesgewinne wieder eingebüsst. Die Anleger seien aktuell wieder zunehmend besorgt, dass die Politik der Notenbanken zur Eindämmung der hohen Inflation über das Ziel hinausschiessen und den wirtschaftlichen Aufschwung ausbremsen oder gar wieder zunichte machen könnte, hiess es.
Befeuert wurden die Zinssorgen durch die überraschend starke Leitzinsanhebung in Australien. Nun steigt die Spannung vor der anstehenden Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) an diesem Donnerstag. Zwar wird von den Währungshütern der Euroregion in dieser Woche noch kein Zinsschritt erwartet, doch eine schnellere Straffung der Geldpolitik wird an den Märkten angesichts der hohen Inflation generell nicht mehr ausgeschlossen. Zu diesem Szenario passte auch die Veröffentlichung schwacher Konjunkturdaten aus Deutschland mit einem überraschend starken Rückgang des Auftragseingangs in der Industrie im April. Die nächste Zinsentscheidung der US-Notenbank (Fed) findet Mitte Juni statt.
Der EuroStoxx 50 beendete den Handel mit einem Abschlag von 0,83 Prozent auf 3806,74 Punkte. In Paris gab der französische Cac 40 um 0,74 Prozent auf 6500,35 Zähler nach. Der britische FTSE 100 sank um 0,12 Prozent auf 7598,93 Punkte. Das gescheiterte Misstrauensvotum gegen den britischen Premier Boris Johnson hatte laut Analystin Sophie Lund-Yates von Hargreaves Lansdown auf den Handel an der Londoner Börse nur wenig Einfluss.
Branchenseitig war in Europa am Dienstag die Liste der Verlierer lang, vor allem Technologiewerte standen unter Druck. Der Branchenindex Stoxx Europe 600 Technology verlor 1,1 Prozent. Für den Zahlungsabwickler Adyen ging es auf dem letzten Platz im EuroStoxx 50 um 3,0 Prozent abwärts.
Zu den wenigen Gewinnern gehörten angesichts weiter steigender Ölpreise Aktien aus dem Öl- und Gassektor, der wie der Bergbausektor um 1,3 Prozent stieg. Im währungsgemischten Stoxx Europe 50 ging es für Totalenergies, Shell und BP um 0,4 bis 1,4 Prozent aufwärts.
Von einer positiven Studie für Bergbau-Aktien von Jefferies profitierten Rio Tinto, die um 2,3 Prozent nach oben zogen. Anglo American und South32 legten ebenfalls zu. Für Glencore ging es nach einem kräftigen Plus am Vortag um 0,4 Prozent abwärts. Der Rohstoffhändler wird am 20. Juni den deutschen Sportartikelhersteller Adidas im Stoxx 50 ersetzen, wie die Deutsche-Börse-Tochter Qontigo am Vorabend nach Handelsschluss überraschend mitteilte.
In Schweden gerieten die Anteile an der Fluggesellschaft SAS mit minus 14 Prozent kräftig unter Druck. Auslöser war die Ankündigung der Regierung in Stockholm, der verlustreichen Gesellschaft kein weiteres Kapital nachzuschiessen.
In der Schweiz knüpften Zur Rose an ihre jüngste Verlustserie mit einem Abschlag von 4,2 Prozent an. In der vergangenen Woche war das Kursplus angesichts des nun festgezurrten Zeitplans zum E-Rezept in Deutschland schnell wieder abgebröckelt. Analysten wie Otto Sieber von Barclays hatten sich ein schnelleres Tempo bei der Einführung der elektronischen Verschreibung und mehr Verbindlichkeit erhofft. Er senkte daher nun sein Kursziel für die Aktie der Versandapotheke. (awp/mc/ps)